Seit der Krim-Annektion durch Russland gibt es in den westlichen Medien ein neues Schimpfwort: Putinversteher. Gern auch geschrieben und gedruckt als „Putinversteher“. Die Anführungszeichen bedeuten in diesem Fall, dass der Begriff absolut pfui ist. Ein Putinversteher verdient nichts als Verachtung. Ein westlicher Putinversteher ist, je nach westlichem Journalist, einfältig, ressentimentgeladen oder krank. Für ihn und seinesgleichen gibt es ein probates, aus den Zeiten des Kalten Krieges stammendes Rezept: „Moskau einfach“.
Nun ist es höchste Zeit, dass der Schreibende erklärt, besser beschwört, dass er mit Putin nichts am Hut hat, dass er dessen Politik nicht billigt und die Krimannektion falsch findet. Trotzdem erlaubt er sich, Putin zu verstehen. Verstehen im Sinn von wahrnehmen, erkennen, geistig auf-fassen, durchdenken, analysieren gehört in die immer nützliche Kategorie der praktischen Vernunft und muss nicht zwangsläufig zu Akzeptanz führen. Im Gegenteil: die vom Gehirn gesteuerte Beschäftigung mit dem inkriminierten Gegenstand kann einem die geeigneten Argumente liefern, um Putins agressiven Akt nicht bloss emotional, sondern rational abzulehnen.
Es gibt jetzt übrigens einen Putinversteher, an dem sich die Gescholtenen und Verachteten aufrichten können, einen Politiker, dessen Urteile für viele wie Weissagungen tönen. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, das Hamburger Orakel, lässt sich in einem ZEIT-Interview mit dem Satz zitieren: „Putins Vorgehen ist verständlich“.