Nach sechs Wochen Krieg muss Russland zur Feststellung gelangen: Die bisherige Bilanz ist verheerend: militärisch, diplomatisch, politisch. Putin und Russland können nur Rückschläge vorweisen. Der Kremlherr, einst als «genialer Stratege» bezeichnet, hat sich verspekuliert – und vieles falsch gemacht.
Putin der Lügner
Es begann schon vor dem Krieg. Putin und sein Aussenminister Lawrow wurden sogleich als plumpe Lügner entlarvt. Russland zog Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen und sprach von Manövern. Nein, eine Invasion in der Ukraine sei nicht geplant, sagten der Kreml-Chef und Lawrow immer wieder. Als dreiste Lügner gingen sie in den Krieg.
Blamage gleich zu Beginn
Die ersten Kriegstage waren eine Blamage für Russland. Putin war fest überzeugt, die Ukraine in wenigen Tagen erobert zu haben. Die staatliche Agentur RIA Novosti publizierte wenige Stunden nach dem Überfall eine Siegesmeldung – und musste sie dann kleinlaut zurückziehen. Putin glaubte, seine Truppen würden in Kiew mit Blumen empfangen. Welche Fehlkalkulation!
Das soll die zweitstärkste Militärmacht der Welt sein?
Putin eint die ukrainische Nation
Putin hatte geglaubt, einen Keil zwischen die ukrainische Bevölkerung treiben zu können. Das Gegenteil geschah. Der Krieg hat die ukrainische Nation geeint. Gemeinsam führen sie, inklusive der grosse Teil der Bevölkerung im Osten, einen heldenhaften Kampf gegen die Eindringlinge. Damit hat der Kreml-Despot nicht gerechnet.
Miserabler Zustand der russischen Armee
Das soll die zweitstärkste Militärmacht der Welt sein? Altes Material, Panzer, die stecken bleiben, Achsen, die brechen, Artillerie aus Sowjetzeiten, eine Flugabwehr, die in jedem Drittwelt-Staat besser funktioniert, Grad-Raketenwerfer, die klemmen, abgeschossene Kampfflugzeuge, Cruise Missiles, die schon beim Start explodieren. Der Krieg offenbarte den miserablen Zustand der russischen Armee. «Hätten die Russen keine biologischen, chemischen und atomaren Waffen, würde diese Armee niemand ernst nehmen», sagt ein amerikanischer Militärexperte gegenüber CNN.
Schlecht ausgebildete, unmotivierte Soldaten
Den Soldaten wurde weisgemacht, sie würden an einem Manöver auf russischem Gebiet teilnehmen. Und plötzlich standen sie im Krieg: schlecht ausgebildet, unmotiviert. Abgehörte Telefone der russischen Soldaten zeigen, dass ihre Moral miserabel ist.
Einige desertieren, andere schiessen sich ins Bein, um nicht kämpfen zu müssen. Die Zahl der toten Soldaten übersteigt vermutlich die Zehntausendergrenze, selbst sieben Generäle kamen ums Leben. Andere wurde versetzt. «Wir haben bedeutende Verluste, das ist eine gewaltige Tragödie für uns», gab sogar Kreml-Sprecher Dmitry Peskow am Donnerstag zu. Putin führt der Welt eine Armee vor, die sich in einem maroden Zustand befindet.
Nachschubprobleme
Da die Militärführung glaubte, die Ukraine in wenigen Tagen erobern zu können, wurde die Logistik vernachlässigt. Vorstösse mussten abgebrochen werden, weil der Treibstoff ausging. Ersatzteile für steckengebliebene Panzer und Militärfahrzeuge fehlen. Die Soldaten hatten nicht genug zu essen und tranken geschmolzenen Schnee. All das wird vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausgebreitet.
Eingeschüchterte Militärführung
Putin verlangt einen Sieg, und die Militärführung getraut sich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie füttern ihn mit euphorischen Erfolgsmeldungen. Offenbar herrscht in der Militärführung ein gespenstisches Chaos und ein Klima der Angst. Der Verteidigungsminister macht sich rar. Welch trauriges Bild gibt die russische Militärführung ab!
Rückschläge auf dem Terrain
Und vor allem dies: Die zweitstärkste Armee der Welt wird von den Streitkräften der kleinen Ukraine aus dem ukrainischen Norden davongejagt und muss sich zurückziehen und neu formieren. Selbst die russische Luftwaffe getraut sich nur noch selten in den ukrainischen Luftraum, weil sie fürchtet, ihre Flugzeuge würden abgeschossen. Ausgebrannte russische Panzer, überall herumliegende tote russische Soldaten. Putin hat sich das alles anders vorgestellt.
Homogenes westliches Bündnis
Er rechnete damit, einen Keil ins westliche Bündnis treiben zu können. Er glaubte, die westlichen Länder wären wie immer uneinig und würden sich streiten. Sie würden nach dem Überfall etwas aufheulen, einige neue Sanktionen ergreifen – und das war’s dann, so, wie damals nach der Krim-Invasion. Wie hat er sich verrechnet, der Kreml-Herr! Der Westen hat sich zu einer nie dagewesenen homogenen Front zusammengeschlossen. Ein eigentlicher Anti-Putin-Tsunami fegt rund um die Welt. Der «geniale Stratege» hat vielleicht den grössten Fehler seines Lebens gemacht.
Jetzt hat Putin wieder über 100’000 amerikanische Soldaten vor der Haustür.
Gestärkte Nato
Er spekulierte damit, dass die Nato-Staaten wieder einmal uneins seien. Jetzt hat er genau das erreicht, was er unter allen Umständen verhindern wollte: dass die Nato-Staaten sich zusammenschliessen wie noch nie, dass die Nato aufrüstet, dass die USA ein klares Bekenntnis zur transatlantischen Allianz geben, dass die Nato-Ostflanke mit hochmodernen Waffen ausgerüstet wird. Putin hat jetzt wieder über 100’000 amerikanische Soldaten vor der Haustür.
Isoliertes Russland
Selbst während des Kalten Krieges war Russland nicht so isoliert wie jetzt. Sogar seine einst treuesten Staaten haben sich von ihm abgewendet. Wenn in der Uno-Vollversammlung nur noch Nordkorea, Eritrea, Syrien und Belarus für ihn stimmen, ist das eine krasse Demütigung. Ein solches Land will eine Weltmacht sein?
Wirtschaftliche Sanktionen
Putin rechnete damit, dass der Westen keine ernsthaften wirtschaftlichen Sanktionen ergreift, weil sich der Westen damit selbst schadet. Wie hat er sich verschätzt! Obwohl auch der Westen darunter leidet, hat die westliche Staatengemeinschaft äussert brutale, schmerzhafte Sanktionen ergriffen, die das Land tief ins Mark treffen. Ein russischer Staatsbankrott ist nicht mehr auszuschliessen.
Die hässliche Fratze gezeigt
Mit seiner barbarischen Politik hat Putin demonstriert, dass nicht die Ukrainer Nazis und Faschisten sind, sondern die Kreml-Besatzung. Der polnische Ministerpräsident hat recht, wenn er Russland als einen «faschistisch-totalitären Staat» bezeichnet. Alexej Nawalny hatte Putin als «offensichtlich wahnsinnigen Zaren» bezeichnet.
Weltweiter Image-Verlust
Doch nicht nur die Politik und die Diplomatie hat Putin gegen sich aufgebracht: auch das Volk im fast gesamten Westen. Die Sympathien, die Russland da und dort genoss, sind verflogen. Die Beschiessung von Spitälern, Schulen, Wohnhäusern, einem Theater in Mariupol, Waisenhäusern und sogar Friedhöfen haben ihn in die Ecke eines entmenschlichten Diktators katapultiert, der über Leichenberge geht.
Und jetzt noch Butscha
Als hätte der Beweis noch erbracht müssen, dass Putin und seine Schergen Kriegsverbrecher sind. Was die Russen in Butscha angerichtet haben, werden sie nicht so schnell loskriegen. Butscha ist zum Schandmal der russischen Barbarei geworden. Die Russen wissen das, deshalb reagieren sie so nervös und unbeholfen. Ihre Version, dass die Ukrainer selbst über 400 Menschen getötet hätten, glauben sie selbst nicht. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das zu tun, was man im Kreml seit Wochen tut: Man lügt.
Putin, der «geniale Stratege», hat der ganzen Welt in den ersten sechs Kriegswochen demonstriert, dass er sich verspekuliert hat: dass er vielleicht eben doch nicht so genial ist. Er hat all das zustande gebracht, was er à tout prix vermeiden wollte: Blamage auf dem Terrain, ein dramatischer Image-Verlust seiner Armee, einen geeinten Westen, eine gestärkte Nato, schmerzhafte Wirtschaftssanktionen gegen sein Land, eine fast totale Isolierung Russlands.
Das Einzige, was er erreicht hat: In Russland selbst steigen seine Beliebtheitswerte. Dies auch deshalb, weil die Russinnen und Russen durch eine strikte Medienzensur gar nicht erfahren, was in der Ukraine wirklich geschieht.
Viele Butschas in Sicht
Natürlich kann Putin die Schmach, die er in den ersten sechs Kriegswochen erlitten hat, nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt wird er neuen Anlauf nehmen und erst recht losschlagen. Neue Panzer und neue Truppen sind auf dem Weg in die Ukraine, neue, grausame Waffen werden eingesetzt. Die Gefahr ist gross, dass der Krieg jetzt noch schrecklicher wird: dass es noch viele Butschas geben wird.
Am Schluss wird Putin vielleicht triumphieren. Was für ein Triumph, gebaut auf Leichenbergen und Ruinen – gebaut auf dem Elend einer ganzen Bevölkerung, die ihn hasst, und einer internationalen Staatengemeinschaft, die ihn verabscheut.
Jetzt konzentrieren sich die Russen auf das, was sie meisterhaft beherrschen: Sie bombardieren die ukrainischen Städte in Schutt und Asche.
Und nennen das dann: Sieg.