An der Konferenz wollen die Aussenminister der USA, Russlands und der Ukraine sowie die Aussenbeauftragte der EU teilnehmen.
Statt auf eine Deeskalation des Streits um die Ostukraine hinzuarbeiten, heizen Moskau und Kiew gerade in den letzten Tagen die Spannungen an. Irgendwelche Ansätze zur Lösung des Konflikts sind nicht zu erkennen. Die jüngsten Verhandlungen im Weltsicherheitsrat und mehrere Telefonate zwischen Barack Obama und Angela Merkel mit Wladimir Putin stellten sich als Dialoge von Gehörlosen heraus. Auf einer eintägigen Konferenz in Genf einen Durchbruch zu bewerkstelligen, würde an Wunder grenzen.
Putin befindet sich klar in der Offensive. In dem bisher regional gebliebenen Machtspiel hat er keine ernsthaften Widersacher zu fürchten. Seine Absichten bleiben aber undurchschaubar. Will er bloss eine Änderung der ukrainischen Verfassung erreichen, die den Staat in eine lockere Föderation seiner verschiedenen Regionen umwandelt? Oder will er den überwiegend russischsprachigen Osten der Ukraine Russland einverleiben? Generell geht es Moskau darum, einen Beitritt der Ukraine zur Nato zu verhindern. Muss aber dafür die Ukraine, deren Name „Grenzland“ bedeutet, zerstückelt und destabilisiert werden? Massgebliche Politiker in den USA vermuten, dass Putin seinen geopolitischen Gegenspieler Obama „testen“ will. Der russische Präsident geht dabei kein Risiko ein, weil er weiss, dass die Amerikaner und Westeuropäer wegen der Ukraine keinen grösseren Krieg auslösen werden.
Diesmal keine "rote Linie"
Die Annexion der Krim schlug in der restlichen Welt keine hohen Wogen. Moskau konnte für diesen Bruch des Völkerrechts, der keine Todesopfer forderte, einige historische und demographische Argumente geltend machen. Insgeheim sind sich alle einig, dass die Krim „organisch“ zu Russland gehört und mit ihrer Annexion nur eine Dummheit Chruschtschows repariert wurde, der die Halbinsel der Sowjetrepublik Ukraine „schenkte“. Funktioniert dieses Szenario jetzt auch gegenüber der Ostukraine?
Obama hat aus seinen Erfahrungen mit dem Bürgerkrieg in Syrien gelernt und diesmal keine „rote Linie“ gezogen, mit der er sich selbst unter Zugzwang setzen würde. Auch Putin hält sich trotz aller Drohgebärden zurück. Diplomaten sprechen von einer „grauen Zone“, innerhalb welcher der russische Präsident handelt. Moskau bestreitet jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Nachbarstaats. Anders als im Falle der Krim gibt es in der Ostukraine keine stichhaltigen Beweise für eine Intervention regulärer russischer Truppen. Aussenminister Sergej Lawrow hat allerdings angedeutet, dass eine militärische Aktion der Regierung in Kiew eine entsprechende Antwort Russlands zu Folge hätte.
"Finstere Machenschaften" der USA
Ungeachtet der russischen Drohungen hat der amtierende ukrainische Präsident Oleksandr Turtschinow jetzt ein Bataillon der neuen Nationalgarde für eine „Anti-Terrorismus-Operation“ in den Osten des Landes beordert. Dieses Freiwilligenkorps soll die „Separatisten“ aus den besetzten öffentlichen Gebäuden vertreiben. Gleichzeitig machte Turtschinow aber auch ein Angebot: Alle Ukrainer sollen am 25. Mai neben der Wahl ihres künftigen Präsidenten über eine begrenzte Autonomie der einzelnen Regionen abstimmen. Die Russen haben ein solches Referendum umgehend abgelehnt. Sie sehen darin kein Instrument, ihre Bestrebungen durchzusetzen.
Ein massiver Einsatz der Regierungstruppentruppen in der Ostukraine könnte Russland veranlassen, das Genfer Treffen in letzter Minute platzen zu lassen. Lawrow hat auch angekündigt, sich sofort auf dem Absatz umzudrehen, falls die Europäische Union in Genf die russischen Erdgaslieferungen aufs Tapet bringen würde. Die russische Propaganda lässt sich auch nicht die Gelegenheit entgehen, die kürzliche Reise des Leiters der CIA, John Brennan, nach Kiew als einen weiteren Beweis für die finsteren Machenschaften der US-Regierung anzuprangern. Washington hat bestätigt, dass sich Geheimdienstchef Brennan letztes Wochenende in der ukrainischen Hauptstadt aufhielt.
Der Westen hat kein Konzept
Wahrscheinlich wird das Genfer Treffen dennoch über die Bühne gehen. Niemand will sich den Schwarzen Peter zuschieben lassen. Doch Russland anerkennt die durch eine Putsch mit westlicher Unterstützung gebildete ukrainische Übergangsregierung nicht und wird nicht mit ihr verhandeln. Für den Fall des Scheiterns in Genf hat die EU für kommende Woche eine Verschärfung der gegen Moskau verhängten sanften Wirtschaftssanktionen angekündigt, was aber auf Widerstand in den eigenen Reihen stösst. Putin kann vorläufig ruhig schlafen, denn der Westen hat kein Konzept, seinen patriotischen Eifer zu bremsen.