Mit dem Raketenangriff auf das Konsulat Irans in der syrischen Hauptstadt Damaskus und der Tötung von Mohammed Reza Zahedi, eines Generals aus dem Führungskreis der iranischen Revolutionsgarden, hat Israel bewusst die Gefahr einer Eskalation des Nahost-Konflikts provoziert.
Irans oberster Führer, Ali Khamenei, liess sich zwar einen Tag Zeit für eine erste Stellungnahme («Israel wird für dieses Verbrechen seine Strafe erhalten.») und er liess keinen Zweifel daran, dass aus seiner Sicht eine Reaktion unvermeidbar ist.
Auch wenn Israels Regierung sich nicht öffentlich zum Angriff bekennt, gibt es doch keinen Zweifel, auch nicht in Israel, an der Urheberschaft. Die israelischen Strategen könnten argumentieren, General Zahedi habe sich in Damaskus aufgehalten, um mit führenden Militärs der libanesischen Hizbullah Angriffe gegen Israel zu bereden. Das macht allerdings wenig Sinn aufgrund der Erfahrung, dass Hizbullah sich seit dem 7. Oktober, also seit der Hamas-Massenmord-Attacke gegen Israel und dem danach ausgebrochenen Gaza-Krieg, auf einer gesichtswahrenden Gratwanderung befindet. Sie besteht in sporadischen Feuerwechseln mit der israelischen Armee im Grenzbereich (damit beweisen die Libanesen eine begrenzte Solidarität mit Hamas im Gaza-Streifen) und dem Vermeiden von grösseren Angriffen gegen Israel, die einen offenen Krieg zur Folge hätten. Diese Gratwanderung wollten die Hizbullah-Militärs offenkundig nicht verlassen. Sie haben kein Interesse, den ohnehin schon ruinierten Staat Libanon noch tiefer ins Elend zu reissen – Hizbullah ist ja nicht nur eine (schwer bewaffnete) Miliz, sondern auch eine politische Partei, die Mitverantwortung in der labilen Regierung in Beirut trägt.
Scheu vor einer Eskalation
Aber Hizbullah ist aufgrund der Bindung an das Regime in Teheran auch Mitglied der so genannten Achse des Widerstands. Zu ihr zählen auch die Huthi in Jemen, zahlreiche Milizen im Irak, die Regierung Syriens und Hamas. Sie alle erhalten von Iran Geld, Waffen und militärtechnisches Know-how. Für die iranische Regierung wäre es von Vorteil, könnte sie alle diese Kräfte als Allianzpartner im nicht offen erklärten Krieg gegen Israel einsetzen – doch das hat sich bisher als unmöglich erwiesen. Alle haben ihre eigenen Prioritäten: Die Huthi wollen sich im innerjemenitischen Kräftemessen als dominierend profilieren und geniessen jetzt offenkundig ihren Prestige-Zuwachs als Resultat der Raketen- und Drohnenangriffe auf Schiffe im Roten Meer; die irakischen Milizen wollen sich im eigenen Land als Stabilitätsfaktor gegenüber einer schwachen Regierung in Szene setzen und diese Regierung zwingen, die 2500 US-amerikanischen Soldaten auszuweisen; die Regierung al-Assads in Syrien will ihren blutig errungenen Erfolg im Bürgerkrieg im eigenen Land nicht durch einen offenen Konflikt mit dem Nachbarn Israel aufs Spiel setzen. Also: Alle halten gerne die Hand auf, wenn es um Geld oder andere Gaben aus Iran geht, aber niemand will einen die eigene Existenz bedrohenden Konflikt riskieren.
Auf Risiko «spielen» will nur Israel – Premier Netanjahu rechnet damit, dass die USA, dass auch die meisten Regierungen in Europa ihn mit harten Worten wegen der Art seiner Kriegführung im Gaza-Streifen abstrafen, aber das prallt an ihm offenkundig ab. Denn er bekommt ja weiterhin von den USA all die Flugzeuge und Bomben, die auf seiner Wunschliste stehen (Washington bewilligte eben militärische Güter im Wert von 2,5 Milliarden Dollar); Grossbritannien liefert ebenfalls weiterhin Waffen, und Deutschlands Regierung bleibt, neben kritischen Sätzen zur Kriegführung und der Betroffenheit über die humanitäre Not der Menschen im Gaza-Streifen, bei seiner Doktrin, Israels Sicherheit sei identisch mit der Sicherheit Deutschlands. In diesem Satz steckt angesichts der aktuellen Situation allerdings ein Problem: Israels Sicherheit ist nicht unbedingt identisch mit der Politik von Benjamin Netanjahu …
Was zurück zur Eingangsfrage führt: Was bezweckt Netanjahu mit dem direkten Angriff auf Iran, also mit der Attacke auf die diplomatische Vertretung Irans in Damaskus? Mir fällt nur ein: Wer so handelt, erhofft sich eine Eskalation, weil er erkennt, dass seine Strategie gegen die Hamas-Terroristen nicht funktioniert. Weil er sieht, dass das Gaza-Problem mit dieser Art von Kriegführung nicht gelöst werden kann.