Frühstück auf der Panossière-Hütte um 5.30 Uhr, Abmarsch um 6.15. Es ist noch dunkel, und man geht vorsichtig mit Stirnlampen.
SILENCE
Die Gruppe besteht aus 22 Leuten, die meisten sind erfahrene Alpinisten. Im Rucksack haben sie aber nicht nur Seile und anderes Sicherungsmaterial, sondern auch zusammengerollte Transparente mit der Aufschrift „Stop Heliskiing“. Alle sind Mitglieder von Mountain Wilderness.
Arnaud ist 14, er ist der jüngste, sein Vater Bertrand ist dabei. Sie haben Banner mit einzelnen Buchstaben im Rucksack. Daraus wird man auf dem Gipfel das Wort bilden, das allen wichtig ist: SILENCE.
Seit seiner Gründung vor drei Jahrzehnten setzt sich Mountain Wilderness dafür ein, dass der Bergsport sein Kapital – die Gebirgslandschaft – massvoll nutzt, statt es zu zerstören. Der Kampf gegen Helikopter-Skifahren bildet eine Konstante in diesem Engagement.
40 Landeplätze
Der Grand Combin beherrscht das Unterwallis. Ein gigantisches Gletschermassiv, das zu den schwierigsten Skitourengipfeln der Schweizer Viertausender zählt. Einer seiner Nebengipfel, der Petit Combin, gehört zu den 40 Landeplätzen, die das Bundesamt für Zivilluftfahrt für touristische Helikopterflüge freigegeben hat.
Der vierstündige Aufstieg zum Landeplatz ist mühsam. An einem Pass müssen die Ski aufgeschnallt werden und es geht steil zu Fuss hinauf. Ab halb zehn hört man den Lärm der Rotoren, und bald kommen schon die ersten Skifahrer – gut ausgeruht und munter – von oben herunter. An einer Engstelle treffen zwei Gruppen aufeinander, ein Bergführer mit seinen Heliski-Gästen und die Demonstranten, die ihre Transparente ausgerollt haben: „Stopp Heliskiing“. Man ist fast auf Tuchfühlung, doch es gibt kein Hauen und Stechen. Man ist bemüht um Zivilisiertheit.
Knochenarbeit
„Ihr seid zu spät dran“, freut sich der Bergführer, „ihr hättet früher aufstehen sollen“. Bertrand sagt zu seinem 14-jährigen Sohn Arnaud: „Siehst du, du schaffst es ohne Helikopter. Darauf kannst du stolz sein.“ Er sagt es so laut, dass alle es hören können.
Als die erste Gruppe von Mountain Wilderness den flachen Landeplatz auf dem Gipfel erreicht, setzt gerade wieder ein Heli auf. Schnell nimmt einer das Transparent hervor, doch in der Eile steckt er es verkehrt herum auf die Stange. Demo-Stress auf 3660 Meter Höhe. So gibt es wohl auf beiden Seiten der politischen Kontroverse auch etwas zu lachen..
Doch der Protest gegen die touristische Gebirgsfliegerei ist kein lustiger Job, sondern Knochenarbeit. Seit fast zwei Jahrzehnten geht nun die politische und juristische Auseinandersetzung zwischen dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) und den Umweltorganisationen. Letztere versuchen, den ausufernden Heli-Tourismus mit Einsprachen und Beschwerden einzugrenzen, UVEK und BAZL blocken ab. Vergangenen Februar hat das Bundesgericht in letzter Instanz eine Beschwerde von Mountain Wilderness abgewiesen. Eine Überprüfung oder Reduktion der 20 Landeplätze, die in geschützten Berglandschaften liegen oder an sie angrenzen, kommt demnach nicht in Frage. Es bleibt also alles beim Alten.
Dekadentes Treiben
Maren Kern, Geschäftsführerin von Mountian Wilderness, sagt, es dürfe doch einfach nicht wahr sein, dass in der Schweiz immer mehr Heliskiing betrieben wird, während es in den umliegenden Ländern seit langem verboten oder stark eingeschränkt ist: „Ich finde, es ist eine Dekadenz, dass dieser Unfug in der Schweiz weitergeht.“
Die Alpenschützer müssen sich immer wieder gegen den Vorwurf wehren, sie hätten etwas gegen Helikopter oder Piloten. Mountain Wilderness betont, die Arbeit der Helipiloten zur Hüttenversorgung und Bergrettung sei unverzichtbar und bewundernswert. Es gehe auch überhaupt nicht darum, der Menschheit die Freude am Fliegen zu verderben. Zweifellos ist ein Heliflug über die Gletscherlandschaften ein grossartiges Erlebnis.
Es handelt sich indessen in vielen Fällen um Landschaften, welche die Schweiz als Naturdenkmäler von Nationaler Bedeutung unter Schutz gestellt hat, und für Mountain Wilderness ist klar: Dort müssen keine Helis landen, um Skifahrern eine problemlose Tiefschneeabfahrt zu ermöglichen. Wenn der Helikopter den Skilift ersetzt, wird der Lärm zum Ärgernis für ganze Talschaften. In einer Zeit, in der sich selbst Wirtschaftskapitäne und freisinnige Politikerinnen für Nachhaltigkeit und umweltschonende Politik stark machen, ist die ausufernde touristische Heli-Fliegerei der Bevölkerung nicht mehr zu erklären.
Nur kurz überflogen
Es gibt auch ein ethisches Problem. Skitouren, Klettern und andere Arten des Bergsports sind wesentlicher Teil der Kultur der Alpenländer. Man hat den Eindruck, heutzutage foutiert man sich um diese Tradition. Es wird Mode, Bergsteigen durch den Helikopter zu ersetzen. Denn es muss ja alles schnell gehen. Die Heliski-Fans nehmen sich nicht die Zeit, auf den Berg zu gehen. Es ist ihnen zu mühsam, mit dem Berg Bekanntschaft zu machen. Sie sind typische Figuren einer Gesellschaft, die keine Zeit mehr hat zu lesen: Man hat den Text nur „kurz überflogen“. Der Berg und sein Schnee werden zum Konsumartikel, den man kaufen kann, wie man vor Feierabend schnell eine Flasche Bier kauft.
In vielen SAC-Hütten und anderen Berggasthäusern herrscht wenig Begeisterung über die Heli-Skifahrer. Früher stiegen die Leute zu Fuss auf den Berg, und die Hütte war ihre erste Etappe. Oft übernachteten sie dort. Heute fliegen sie mit dem Heli drüber, und viele halten nicht mal bei der Abfahrt an, um auf der Hütte einen Kaffee zu trinken. Das sagte mir schon vor ein paar Jahren ein Gastwirt auf der Fafleralp im Lötschental: „Sie fliegen rein und wieder raus, und das war’s.“
Schnellster Skilift der Welt
Die Heliski-Fliegerei ist seitdem nicht weniger geworden. Seit neuestem wird nicht nur Heliskiing angeboten, sondern auch Heli-Hiking und Heli-Biking. Wer einen schnellen Downhill braucht, der nimmt den Heli und muss sich nicht mehr den Berg hinauf plagen. Und Zermatt wirbt mit Videos für „den schnellsten Skilift der Welt: Vom Rhonetal in nur 20 Minuten auf die Testa Grigia in 3500 Metern Höhe und dann die Abfahrt nach Cervinia geniessen!“ Für nur 333 Schweizerfranken gibt es Flug, Tageskarte, Leihski und Abholdienst: „Das Abenteuer mit der Air Zermatt!“
Immerhin hat selbst das Bundesgericht in seinem jüngsten Urteil in Sachen Gebirgslandeplätze festgehalten, Helikopterlandungen in Schutzgebieten seien eine „schwerwiegende Beeinträchtigung von Natur und Landschaft“.
Regula Rytz von der Fraktion der Grünen hat kürzlich eine Interpellation eingereicht, in der dem Bundesrat die Frage gestellt wird, was er zu tun gedenke, um den Konflikt zwischen Tourismus-Fliegerei und Landschaftsschutz zu lösen.
Ist das wirklich nötig?
Die Antwort ist vorauszusehen. Sie wird so ähnlich lauten wie das Mail, das mir heute Morgen das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) geschickt hat. Auf meine Frage, wie es möglich sei, dass in geschützten BLN-Gebieten immer noch Heliskiing betrieben werde, wird mir beschieden: Der Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) „sieht unter anderem vor, dass auf den dafür geeigneten GLP weiterhin Heliskiing betrieben werden kann, sofern dafür ein gesamttouristisches, qualifiziertes Interesse, bspw. mittels eines regionalen oder kantonalen Tourismuskonzepts nachgewiesen wird. Für sämtliche für das Heliskiing in Frage kommenden GLP liegt ein derartiger Interessennachweis vor.“
Alles klar? Auf gut deutsch heisst das: Es bleibt alles so wie es ist. Der Interessennachweis ist in dem Fall wohl der Nachweis der Interessen von Air Glacier und Air Zermatt.
Maren Kern von Mountain Wilderness sagt mir: „Es gibt sicher Leute in der Schweiz, die genug Geld haben und nicht mit den andern im Gondeli hocken wollen. Da können die Leute im Heli fliegen und ein Foto auf Instagram posten. Aber man muss sich schon fragen: Ist das wirklich nötig, für mich als Einzelperson einen Helikopter durch die Berge fliegen zu lassen?“