Diplomaten haben drei Aufgaben. Zwei davon sind klassisch, aber in moderner Form weiterhin gültig. Ein Diplomat, heute häufiger auch eine Diplomatin, ist zunächst einmal Verbindungsperson, oder neudeutsch und genauer ausgedrückt, Networker. Er oder sie bringt Regierungen, Organisationen, Gruppen und Personen miteinander in Verbindung. Diese wollen das oft, manchmal aber auch nicht. Im letzteren Fall ist dann eben «Diplomatie» angesagt.
Ein Diplomat ist zweitens Berichterstatter, «unser Mann in Havanna», welcher dank genauen Orts- und Personenkenntnissen und seiner speziellen Funktion Informationen erhält und diese an seine Entscheidungszentren weitergibt, wie sie aus keiner Cloud heruntergeladen werden können. Wie «Wikileaks» gezeigt hat, sollen und sind Diplomaten in ihrer internen Berichterstattung oft direkt, undiplomatisch eben, und haben auch eigene Meinungen.
Klare Kommunikation
Merke: Diplomatie ist die hohe Schule der eleganten, wenn möglich nicht verletztenden Form, nicht die Kunst der Weisswäscherei klarer Sachverhalte. Ein Diplomat, der spricht, um nichts zu sagen, ist schlimmer als ein entsprechender Politiker. Letzterer muss halt wiedergewählt werden und scheut vielleicht deshalb das klare Wort. Wenn aber ein Diplomat nicht den Mut aufbringt, seiner eigenen Seite auch Informationen und Empfehlungen weiterzugeben, von denen er weiss, dass sie zuhause nicht goutiert werden, ist entweder ein schlechter Berufsmann oder arbeitet im nordkoreanischen Aussenministerium.
Diplomaten sind schliesslich, und dies ist eine relative neue Aufgabe, nationaler Markenpflege, neudeutsch der «public diplomacy» verpflichtet. Dies in Form von eigenen Auftritten aller Art – lieber in der «Sternstunde» als bei Gottschalk – , aber am effektivsten, wenn sie den Auftritt Dritter aus ihrem Herkunftsland in ihrem Gastland ermöglichen und erleichtern.
At arms length vom Gastland
Warum eigentlich wird ein Diplomat von der Zentrale ins Ausland und wieder zurückversetzt, um dann nach rund vier Jahren erneut ans andere Ende der Welt geschickt zu werden, zu einem Zeitpunkt wo er die lokale Sprache,Szene und Problematik erst so richtig erfasst zu haben scheint? Auch das hat seinen guten und entscheidenden Grund. Diplomaten sollten in aller Regel das Gegenteil von Spezialisten sein, von denen hat jede Verwaltung genug, sondern was die Engländer im positiven Sinn «gifted amateurs» nennen. Jemand nämlich, der sich an einem Ort, in einer Situation, mit einem Dossier instinktiv und rasch auskennt und sich einarbeitet, ohne aber – bewusst oder unbewusst – lokaler Optik zu verfallen. Um diese «arms length» Distanz zu bewahren, braucht es Wechsel.
Diplomatenleben. Akteure, Schauplätze, Zwischerufe. Ein Lesebuch, Max Schweizer (Herausgeber), Chronos Verlag 2013, 463 Seiten, Fr. 54.00
Das gosse Verdienst des hier anzuzeigenden Buches ist es, all dies an konkreten Beispielen aufzuzeigen. Ein Lesebuch mit sehr zahlreichen Texten von und über Diplomatie und Diplomaten, welches fast die gesamten internationalen Beziehungen der Schweiz seit dem zweiten Weltkrieg abdeckt. Allerdings nur fast, denn beispielsweise über die für einmal international nicht unbedeutende Rolle, welche die Schweiz im Bereich KSZE/OSZE («Helsinki») gespielt hat, ist nur wenig zu lesen.
Dies ist aber eine der wenigen Ausnahmen, welche der mit der Materie nicht ganz unvertraute Rezensent gefunden hat. Zudem ist sie allenfalls darauf zurückzuführen, dass Texte, welche in dieses Kaleidoskop der schweizerischen Diplomatie gehört hätten, nicht publiziert werden konnten. Der Herausgeber weist in seinem Vorwort denn auch darauf hin, dass sich die Veröffentlichung seines Lesebuches durch Bedenken im schweizerischen Aussenministerium EDA um einige Jahre verzögert hat. Bei den meisten der Texte könnte man sich fragen warum, bei wenigen allerdings nicht. Diese und zahlreiche andere sind zumindest interessant, oft für den am Hintergrund von Geschichten und Geschichte der Diplomatie Interessierten zudem höchst aufschlussreich und manchmal sogar amüsant.
Ein Metier wie andere auch
Immer lustig und glamourös ist das Diplomatenleben allerdings keineswegs. Ein weiteres Verdienst dieses Buches ist der Nachweis, dass Diplomatie ebenso Beruf wie Berufung ist, wie andere Metiers auch. Ein Handwerk eben, das gelehrt sein will und dann mit mehr oder weniger Erfolg ausgeübt wird. Im Gegensatz zur «bottomline» im Privatsektor ist der Erfolg indes weniger klar und unmittelbar messbar. Was wiederum den Beruf interessant und immer wieder neu herausfordernd macht. Dies zeigt das Lesebuch an zahlreichen Fallbeispielen auf. Der typische Diplomat existiert entgegen einem landläufigen Vorurteil kaum.
Die umfangreiche Textkollektion in Schweizers Wälzer reicht nicht nur von diplomatischen Straftätern zu ebensolchen Paradiesvögeln, sondern präsentiert auch grosse schweizerische Diplomaten von Alfred Zehnder über Edouard Brunner zu Franz von Däniken. Zu ihren Lebzeiten verkannte Helden schweizerischer Diplomatie im Zweiten Weltkrieg wie die Konsule von Wyss und Lutz werden gewürdigt, und ebenso findet deren Widerpart Fröhlicher Erwähnung. Aber auch helvetische Diplomatenpersönlichkeiten der jüngeren Geschichte fehlen nicht, etwa August Lindt und Heidi Tagliavini. Kurz, eine bunte, unterhaltsame aber auch heterogene, mitunter ausufernde Auswahl von ausschliesslich schon anderenorts publizierten Texten.
Verglichen mit den sechs Bänden Neutralitätsgeschichte von Bonjour und den x Bänden der offiziellen Herausgabe diplomatischer Dokumente der Schweiz ist dieses diplomatische Lesebuch von über 400 Seiten bloss ein luftiger Klacks. Dafür leichter lesbar.