Zwar empfehlen Bundesrat und Parlament für die Eidgenössische Abstimmung vom 24. November ein Ja, doch ausgerechnet Bundesrat Albert Röstis Umwelt- und Verkehrsdepartement (UVEK) schockiert mit neuen Zahlen über die Folgekosten des Autoverkehrs.
Eigentlich wussten wir es schon längst: CO2-Ausstoss, Lärm- und Schadstoffemissionen schaden unserer Gesundheit. Autobahnausbau und Mehrverkehr sind also ein «Mehr desselben» (aus Paul Watzlawicks «Anleitung zum Unglücklichsein»). Nun zeigen interne Protokolle des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), dass die Folgekosten des Autoverkehrs bisher nicht korrekt berechnet worden sind. Sie fallen wesentlich höher aus als bis dato publiziert. Und jetzt?
4,9 Milliarden Franken sind viel Geld
In Zeiten, da das Thema Sparen in der Schweiz die Gemüter erhitzt und die eidgenössische Expertenkommission 60 Sparmöglichkeiten geortet hat – darunter die Nationalstrassen –, weht dieser Vorlage ein rauer Wind entgegen. Die geplanten Kosten von 4,9 Milliarden Franken (plus 500’000 Franken für bereits ausgegebene Planungskosten) dürften erfahrungsgemäss nach Beendigung der Bauarbeiten mit Begründungen aller Art überschritten werden. Der Ausbau von sechs Autobahnabschnitten sollte eigentlich Engpässe und Staus beseitigen. Doch die Erfahrung zeigt, dass beides sich nicht so leicht beseitigen lässt – die Staus verlagern sich einfach.
Das Argument der Befürworter, der Verkehr nehme weiter zu und die Nationalstrassen wären deshalb an verschiedenen Stellen überlastet, ist keine stichhaltige Begründung. Dasselbe trifft auch auf Dutzende von Hauptverkehrsstrassen im Land zu. Wer zudem die stillstehenden, kilometerlangen Autoschlangen vor dem Gotthardtunnel aus dem Zugfenster des mit 80 Stundenkilometern vorbeifahrenden Zug betrachtet, mag sich kopfschüttelnd fragen, ob die Beseitigung von Staus überhaupt einem Bedürfnis entspreche.
Mit dem vorgesehenen Bundesbeschluss würden 400’000 Quadratmeter Kulturland vernichtet, aber auch weitere Flächen für den Naturschutz wären zerstört oder versiegelt – und das in Zeiten des fortschreitenden Artensterbens. Pro Natura äussert sich besorgt zur Vorlage: Die Folge wäre eine weitere negative Beeinflussung der Klimasituation, nicht zu reden von der Biodiversität, einer Grundlage für das menschliche Wohlergehen. Vertieftes Nachdenken über die Opportunität dieser Investition ist offensichtlich nicht abwegig.
Die externen Verkehrskosten
Eine neue Berechnungsmethode der externen Verkehrskosten zeigt auf, was früher ignoriert wurde. Denn bisher rechnete der Bund mit einem Satz von rund 140 Franken pro Tonne CO2, neu sind es, gemäss internen Protokollen, 430 Franken (NZZ am Sonntag). Die dafür benutzte Klimaformel stammt vom politisch unabhängigen kalifornischen Forschungsinstitut Resources for the Future und ist umstritten. Sie gilt in den USA als hochpolitisch und ist, wie die geharnischten Reaktionen der Schweizer Wirtschaft zeigen, auch bei uns heftiger Kritik ausgesetzt.
Ehrlicherweise muss an dieser Stelle gesagt werden, dass wir Normalverbraucher nicht in der Lage sind, zu entscheiden, wer bei den strittigen Berechnungen Recht hat, welche Methode korrekter, welcher Umrechnungsfaktor genauer ist. Schon gar nicht, ob die Berechnungsgrundlagen eventuell ideologisch gefärbt sein könnten. Wir sind aber sehr wohl berechtigt, die Argumente für ein Ja zur Vorlage auf die Waage zu legen und uns eine Meinung zu bilden zur Frage, was denn gesellschaftlich und wirtschaftlich nachteiliger wäre: Ausbau oder kein Ausbau? Dazu braucht es keine komplexe Formel. Abstimmende können autonom darüber entscheiden.
Bundesrat Albert Rösti in der Zwickmühle
Dem Vernehmen nach wurde in Röstis Departement hinter den Kulissen hin und her debattiert: Sollten diese neuen Ergebnisse zu den Folgekosten des Autoverkehrs bis nach der Abstimmung vom 24. November 2024 geheim gehalten werden? Eigentlich war man sich jedoch bewusst, dass solche Zahlen sofort publiziert werden müssten. Aber noch im August hiess es, man wolle abwarten, und auch im September liess das UVEK den Zeitpunkt für eine Publikation offen. Dann kam alles anders: Das Generalsekretariat des UVEK entschied, die Zahlen vor der Abstimmung zu veröffentlichen.
Wer dieses Hin und Her beobachtete, konnte sich fragen, was da los war. Öffentlichkeits- und Transparenzgesetz gebieten eigentlich, schnell und neutral zu informieren. Hat schliesslich ein Bundesrat kalte Füsse bekommen?
Wie immer in unserem Land wächst in den Wochen vor einer eidgenössischen Abstimmung die politische Polarisierung. SVP-Politiker und ihnen nahestehende Wirtschaftsprofessoren kritisieren natürlich den Entscheid zur Publikation der heiklen Informationen. Werden wir vielleicht bei der offiziellen Präsentation des Zahlenwirrwarrs noch vor der Abstimmung durch Albert Rösti aufgeklärt?
Befürworter und Gegner
SVP, FDP, die Mitte und Wirtschaftsverbände befürworten den Nationalstrassenausbau; SP, Grüne, GLP und Umweltverbände sind dagegen. Befürworter führen neben den primären Gründen der Verkehrsentlastung auch das Argument ins Feld, der Ausbau der Nationalstrassen würde zur Verminderung von Unfällen beitragen und durch Verhinderung von Ausweichverkehr die Lebensqualität in ländlichen Regionen schonen. Auf der Gegnerseite erinnert man daran, dass man das viele Geld auch in dringendere Projekte investieren könnte und die ganze Übung natürlich im Widerspruch zu den schweizerischen Zielen des Klimaschutzes stünde.
Wie immer bei solchen nationalen Urnengängen ist ein Teil der Argumente auf beiden Seiten gut begründet, andere spiegeln eher Wunschträume oder entspringen schlicht der Propaganda involvierter Lobbyisten. Was aber im Umfeld der hitzig geführten Diskussionen ums Sparen im Bundeshaushalt naheliegt, ist der Gedanke, es gäbe wohl bei anderen Staatsaufgaben dringenderen Bedarf an diesen fünf Milliarden Franken.