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Kommentar 21

Pressefreiheit und Manieren

10. September 2020
Stephan Wehowsky
Die Freiheit des Wortes und der Kunst sind ein hohes Gut. Dennoch sollten Fragen erlaubt sein.

Der deutsche Presserat hat in dieser Woche entschieden, dass die Bezeichnung der Polizei als „Abfall“ durch die Pressefreiheit gedeckt ist. Anlass dafür war ein Artikel von Hengameh Yaghoobifarah in der „taz“ vom 15. Juni 2020, in dem sie die gesamte Berufsgruppe der Polizei beschimpfte: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Dagegen gab es 382 Beschwerden an den deutschen Presserat, die dieser jetzt als „unbegründet“ zurück gewiesen hat. Schliesslich seien keine einzelnen Polizisten gemeint gewesen. Die Polizei als Teil der Exekutive müsse es sich gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden. – Die Gewerkschaft der Polizei war fassungslos.

In Frankreich sprach Emmanuel Macron im Zusammenhang mit den Mordanschlägen auf Journalisten von Charlie Hebdo vor fünf Jahren vom „Recht auf Blasphemie“. Das Recht auf blasphemische Äusserungen und Darstellungen sei in Frankreich durch die Gewissensfreiheit abgedeckt, betonte der Präsident. Etwas ironisch liesse sich sagen, dass das Freiheitsverständnis in Frankreich und in Deutschland sakrosankt ist.

Dennoch stellen sich jenseits des rein rechtlichen Rahmens Fragen. Ist es wirklich die Aufgabe von Journalisten oder auch von Karikaturisten, ihre Spielräume so weit auszureizen, dass sich die jeweils Betroffenen beleidigt und verletzt fühlen müssen? Betreiben Journalisten damit nicht genau das, was sie gewissen Politikern vorwerfen, nämlich Gräben aufzureissen und die Gesellschaft unnötig zu spalten und Konflikte zu schüren?

Es kann sinnvoll und notwendig sein, manche Praktiken der Polizei heftig zu kritisieren. Aber wenn Journalisten mehr erreichen wollen, als sich bloss vom eigenen Standpunkt zu überzeugen, werden sie nicht als erstes zu Beleidigungen greifen, die nicht mehr steigerungsfähig sind und jede Diskussion mit den Betroffenen von vornherein ausschliessen. Das gilt auch gegenüber anderen Religionen.

Europa besteht nicht nur aus Freiheitsrechten. Kulturgeschichtlich sind auch Fragen des Stils und des guten Geschmacks von Bedeutung. Der gebürtige Äthiopier Asfa-Wossen Asserate hat vor einigen Jahren über dieses Thema in Deutschland einen Bestseller geschrieben. Er trägt den Titel „Manieren“.

Gute Manieren stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schlechte Manieren sind zwar nicht verboten, aber Leute mit schlechten Manieren lädt man auf die Dauer nicht mehr ein. Diese Unterscheidung zu treffen, ist in Bezug auf die Presse und die Kunst eine Gratwanderung. Denn trotz dieses Einwands bleibt die Freiheit unantastbar. Aber sie muss nicht ständig schrill und lärmend auftreten.

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