Der US-Senat hat die 51-jährige Ketanji Brown Jackson als erste afroamerikanische Richterin am Supreme Court bestätigt. Dies nach kontroversen Anhörungen im Justizausschuss der kleinen Kammer, die aufzeigten, wie dysfunktional und toxisch Amerikas Innenpolitik geworden ist.
Erneut hat in Washington DC die Kunst respektive die Satire das Leben imitiert. Andy Borowitz brachte im «New Yorker» die Bestätigung von Ketanji Brown Jackson im Senat mit 53 zu 47 Simmen im Titel wie folgt auf den Punkt: «Senator Cruz sagt, die Bestätigung einer qualifizierten Nominierten sei ein gefährlicher Präzedenzfall.» Ted Cruz aus Texas ist einer jener republikanischen Politiker, denen jedes noch so transparente Mittel recht ist, wenn es darum geht, bei der Basis zu punkten – in seinem Fall im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 2024.
«Lassen Sie sich nicht täuschen», persiflierte Borowitz den Texaner in seiner Kolumne, «Richterin Jackson ist aus überhaupt nicht nachvollziehbaren Gründen bestätigt worden – weil sie fähig ist. Nachdem nun eine qualifizierte Kandidatin bestätigt worden ist, müssen wir Gleiches auch in Zukunft befürchten.» Ted Cruz, schliesst der Beitrag, trauere den Zeiten nach, bevor die «Tyrannei der Fähigen» in Amerika die Kontrolle übernommen habe.
Der Bestätigung von Ketanji Brown Jackson, der ersten Afroamerikanerin in der Geschichte des Supreme Court, war im 22-köpfigen Justizausschuss des Senats ein zweitägiges, mitunter unwürdiges Spektakel vorausgegangen, in dessen Verlauf Republikaner alles unternahmen, um eine schwarze Frau zu diskreditieren, deren Qualifikation für das höchste Richteramt Rechtsexperten zufolge völlig unbestritten ist. Und die als Harvard-Absolventin, für Karrierejuristinnen eher ungewöhnlich, auch Erfahrung als Pflichtverteidigerin mitbringt. Unter anderem hat Jackson nach 9/11 Guantánamo-Häftlinge verteidigt und bestimmte Verhörmethoden der US-Armee als Folter eingestuft.
Schliesslich aber stimmten im Plenum alle 50 Demokratinnen und Demokraten sowie drei Republikanerinnen und Republikaner für die 51-jährige Juristin, die Präsident Joe Biden nach dem Rücktritt des 83-jährigen Richters Stephen Breyer im Februar nicht ohne Hintergedanken bezüglich schwarzer Wählerstimmen bei den Zwischenwahlen vom Herbst nominiert hatte. Längst vorbei die Zeiten, als die liberale Sandra Day O’Connor als erste Frau 1981 mit überparteilichen 99 zu 0 Stimmen ins Oberste Gericht gewählt worden war. Thurgood Marshall, der erste schwarze Oberste Richter, war 1967 mit 69 zu 11 Stimmen bestätigt worden. Biden nannte Jacksons Wahl auf jeden Fall «einen Moment wirklichen Wechsels in der amerikanischen Geschichte».
Mit Ketanji Brown Jackson, deren Namen die Medien mitunter zu KBJ abkürzen, sitzen erstmals vier Frauen im Supreme Court und stellen weisse Männer nicht mehr die Mehrheit des Gremiums. Doch die konservative Schlagseite des Supreme Court wird auch Richterin Jackson nicht aufrichten können: Sechs Konservativen sitzen noch immer nur drei Liberale gegenüber. Rechtskreise erinnern jedoch daran, dass dissidente Stimmen des Gerichts zwar kaum unmittelbaren Einfluss auf dessen Urteile haben, abweichende Meinungen sich aber längerfristig als vorbildlich auf die künftige Rechtsprechung auswirken können.
Unbeeindruckt von der theatralischen Rhetorik ihrer republikanischen Parteikolleginnen und -kollegen stimmten Mitt Romney (Massachusetts), Lisa Murkowski (Alaska) und Susan Collins (Maine) im Senat für Ketanji Brown Jackson. Das trug ihnen seitens der Abgeordneten Marjorie Taylor Green (Georgia) den Vorwurf ein, «pro-pädophil» zu sein. «Jeder Senator, der für #KBJ stimmt ist ein Pädophiler, wie sie es ist», schrieb Greene auf Twitter: «Entweder unterstützt du als Senator Vergewaltiger von Kindern, Kinderpornographie und schlimmsten Kindsmissbrauch. Oder du bist ein Senator, der Kinder beschützt und Nein zu KBJ sagt.»
Greens Vorwurf bezog sich auf die in der Anhörung wiederholt geäusserte Unterstellung, Jackson habe in Fällen von Kindsmissbrauch oder von Kinderpornographie im Internet zu leichte Urteile gesprochen – Behauptungen, denen Fact Checker umgehend widersprachen. Aufgrund ihrer Tätigkeit als Pflichtverteidigerin von Guantánamo-Häftlingen wurde seitens von Republikanern auch der Vorwurf laut, Jackson habe gegenüber Terroristen ein Auge zugedrückt. Senator Tom Cotton (Arkansas) bemerkte, sie hätte seinerzeit in Nürnberg wohl auch Nazis verteidigt. Oder, so hiess es weiter, KBJ stehe linken Gruppen nahe, die versuchten, an Schulen aufgeklärte Lehrpläne durchzusetzen.
Gemeint war in Sachen Unterricht vor allem die Critical Race Theory (CRT), die kritische Auseinandersetzung mit Amerikas rassistischer Vergangenheit, die aber entgegen anderslautenden Behauptungen von Republikanern an Schulen gar nicht als Fach gelehrt wird. Trotzdem entblödete sich Senator Cruz nicht, Jackson zu fragen, ob denn Babys bereits rassistisch sein könnten.
Am lächerlichsten aber waren wohl die Vorwürfe von Republikanern, Ketanji Brown Jackson habe es versäumt, die Frage von Senatorin Marsha Blackburn (Tennessee) überzeugend zu beantworten, wie sie das Wort «Frau» definiere. Jackson, leicht irritiert, hatte gesagt, sie könne den Begriff nicht definieren, weil sie keine Biologin sei. Was wiederum zeige, argumentierte Blackburn, wie gefährlich jene progressive Schuldbildung sei, über die sie heute so viel höre – ein Lieblingsthema der republikanischen Partei im Hinblick auf die Zwischenwahlen 2022.
Gemeint war auch ein Gesetz, das der Staat Florida unter Gouverneur Ron de Santis jüngst verabschiedet hat. Es untersagt Lehrpersonen, auf unteren Schulstufen über sexuelle Orientierung und Genderfragen zu sprechen. Der Bürgerrechtsorganisation «Human Rights Campaign» zufolge stehen derzeit in den USA mehr als 300 Anti-LBGTQ-Gesetze zur Diskussion.
Ketanji Brown Jackson blieb allen Widrigkeiten zum Trotz ruhig, überlegt und souverän. Auf die Frage von Senator Josh Hawley (Missouri), welches ihrer Urteile sie am meisten bereue, antwortete die Richterin, sie bedauere es, dass man in einer Anhörung über ihre Eignung als Mitglied des Supreme Court so lange auf eine kleine Zahl ihrer Urteile fokussiert habe. Sie folge als Juristin keiner allumfassenden Philosophie, sondern fälle ihre Urteile aufgrund einer bestimmten Methodik: «Richterinnen sollten keine Politik machen. Das ist ihr verfassungsmässiger Auftrag und dieser Auftrag hindert die Regierung daran, zu mächtig zu werden und individuelle Freiheiten zu stark einzuschränken.»
Der republikanische Senator Mitch McConnell (Kentucky) sah die Wahl von Ketanji Brown Jackson als weiteres Indiz dafür, dass in den USA Extremisten die Kontrolle über die demokratische Partei übernommen hätten: «Die Linksaussen haben jene unverantwortlich inflationären Ausgaben gekriegt, die sie wollten. Die Linksaussen haben jene unsicheren Grenzen gekriegt, die sie wollten. Und heute kriegen die Linksaussen jene Oberste Richterin, die sie wollten.»
Die demagogische Rhetorik der Republikaner in Sachen Supreme Court verheisst wenig Gutes, sollten sie im Herbst in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit übernehmen, was nach heutigem Stand der Dinge nicht auszuschliessen ist. Die Gräben der amerikanischen Gesellschaft würden sich wohl weiter vertiefen und die nationale Politik noch dysfunktionaler werden, als sie es heute schon ist. Woran allerdings nicht allein die republikanische Partei schuld ist. Auch Präsident Joe Biden und die Demokraten haben Fehler gemacht und machen welche.
Zu denken geben aber sollte der Umstand, dass sich in Washington DC die Zahl jener Republikanerinnen und Republikaner mehrt, die wie Josh Hawley oder Marjorie Taylor QAnon nahestehen, einer Sekte, deren Verschwörungstheorie zufolge demokratische Parteispitzen Mitglieder einer finsteren Kabale sind, die den Teufel anbetet und mit Kindern handelt. Der linken medienkritischen Vereinigung «Media Matters» zufolge haben bereits 59 Kandidatinnen und Kandidaten für die Zwischenwahlen 2022 Sympathien für QAnon geäussert.
«Ich sage seit Jahren, dass der Senat kaputt ist», meint Jim Manley, der einst Berater des demokratischen Mehrheitsführer Harry Reid war: «Was ich nun aber während dieser Anhörung (zum Supreme Court) gehört habe, lässt mich zweifeln, was unsere grundsätzliche Fähigkeit betrifft, Gesetze zu erlassen.» Sollte die Fraktion der QAnon-Anhänger im Kongress tatsächlich wachsen, würde die Irrationalität, wie sie sich Ketanji Brown Jackson gegenüber geäussert hat, wohl bald noch relativ harmlos erscheinen. Gute Nacht, Amerika!