Täglich kann man erleben, sehen, hören und lesen, wie schwer sich Politiker tun, um mit Intellektuellen, Schriftstellerinnen, Philosophen in ein vernünftiges Gespräch, den Krieg in der Ukraine betreffend, zu kommen. Umgekehrt bezeugen Theoretiker, Freunde der Aufklärung wie der Utopie grosse Mühe, sich für die Anliegen, die Ideen und Rezepte der Politiker auch nur zu interessieren.
Da kommt eine kleine Ausstellung im Max-Frisch-Archiv (in der ETH) wie gerufen. Ein Blick zurück, ins Jahr 1977, zeigt einem, wie das gehen könnte, das notwendige, nützliche und deshalb sinnvolle Gespräch zwischen dem Politiker und dem Schriftsteller.
Die Ausstellung ist der Freundschaft zwischen Max Frisch und dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt gewidmet. Sie kulminiert im Bericht über ein fünfstündiges Treffen Schmidts mit Frisch, Heinrich Böll und Siegfried Lenz im Oktober 1977 im Kanzleramt, und zwar genau an dem Tag, an dem der Terror in Deutschland mit der Entführung einer Lufthansa-Maschine seinen Höhepunkt erreichte. Schmidt hielt am Termin mit den Intellektuellen fest, diskutierte mit ihnen über die Ursachen des Terrorismus – und musste sich gelegentlich entschuldigen, um in einem Nebenzimmer schwerstwiegende Entscheidungen zu treffen, die zur Erstürmung der Maschine in Mogadischu führten.
Schmidt, Prototyp des Realpolitikers, des entscheidungsfreudigen Machers, kein Freund von umständlichen Theorien und schon gar nicht von Utopien, empfand es doch als Bedürfnis, intellektuelle Sichtweisen, auch radikale und revolutionäre, zur Kenntnis zu nehmen, sich die entsprechenden Gedankenfabrikate anzuhören. Mit Frisch traf er sich da auf höchster Ebene. Der wiederum war sich sein Leben lang nicht zu schade, am politischen Alltag teilzunehmen, klare Standpunkte einzunehmen und zu verteidigen. Beide Seiten, Schmidt und Frisch, blieben ihren tiefsten Ueberzeugungen treu. Schmidt vergass nie zu betonen, dass er es für notwendig halte, sich die Meinungen Frischs und anderer Intellektueller anzuhören, dass er diese Meinungen aber nicht teilen müsse. Und Frisch wiederum war es möglich, Entscheidungen des Realpolitikers Schmidt nachzuvollziehen, was nicht hiess, dass er sie befürwortete. Beide waren bewegliche Geister, konnten mit Widersprüchen umgehen und haben sich punktuell gewiss vom anderen auch umstimmen und beeinflussen lassen.
Anders als in der Schweiz, wo sich Schriftsteller, Philosophen hinsichtlich des Ukraine-Krieges mehrheitlich vornehm zurückhalten, streiten sie sich in Deutschland heftig und stetig, entwickeln radikale, auch utopische Meinungen und Theorien. Zu einem fruchtbaren Diskurs mit Machern, mit Realpolitikern, nach dem Modell Frisch-Schmidt, haben ihre Bemühungen bis heute nicht geführt. Was man nur bedauern muss.