In gut zwei Wochen wird man wissen, wer in Frankreich von den insgesamt zwölf Kandidatinnen und Kandidaten es in die entscheidende Stichwahl am 24. April um das höchste Amt im Staat geschafft hat. Am Ende eines mehr als ungewöhnlichen Wahlkampfs, der durch den Krieg in der Ukraine auf den Kopf gestellt wurde.
Einen derartigen Präsidentschaftswahlkampf hat Frankreich in der gesamten Geschichte der 5. Republik noch nie erlebt.
Einen Wahlkampf, der normalerweise schon sechs Monate vor den Urnengängen kräftig tobt, diesmal aber, zunächst vor allem angesichts einer erneuten Covid-19-Welle und noch vor dem Ukrainekrieg, auch so schon einfach nicht in Gang kommen wollte.
Extreme Rechte gab Themen vor
Gewiss, im Dezember letzten Jahres stand das Gros der Kandidaten bereits in den Startlöchern und wetzte langsam die Messer für das grosse Stechen. Doch alles wirkte ein wenig wie Schaumschlägerei und das Interesse der französischen Bevölkerung an den ersten Scharmützeln wollte sich einfach nicht einstellen.
Wie auch, wenn die ersten Monate dominiert waren vom Getöns auf der extremen Rechten zu den Themen innere Sicherheit und Immigration, während gleichzeitig seriöse Meinungsumfragen überdeutlich machten, dass die echten Sorgen der Franzosen ganz woanders liegen – 52% sahen die mangelnde Kaufkraft als wichtigstes Thema, fast ebenso viele wie heute den Krieg in der Ukraine als grösste Sorge betrachten.
Doch es tönte um so lauter, als es auf der extremen Rechten plötzlich eine Kandidatin und einen Kandidaten gab.
Fast wie aus heiterem Himmel war Marine Le Pen in der Person des Journalisten, Buchautors und professionellen Polemikers, Éric Zemmour, eine ernsthafte Konkurrenz von noch weiter rechts aussen erwachsen.
Das Resultat: Addiert man die Vorhersagen für die beiden und noch einen 3. Rechtsausleger, Nicolas Dupont-Aignan, käme Frankreichs extreme Rechte diesmal schon im ersten Wahlgang ungefähr auf die 33%, welche Marine Le Pen vor 5 Jahren in der Stichwahl gegen Macron erzielt hatte.
Die Linke
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums musste man monatelang dem traurigen Spektakel der sich selbst sabotierenden Linken beiwohnen, die trotz ihrer katastrophalen Schwäche schlicht unfähig war, sich auf einen einzigen gemeinsamen Kandidaten zu einigen und nun mit sage und schreibe sechs verschiedenen Vertretern in diesen ersten Wahlgang zieht, wo sie alle zusammen – zwei extreme Linke, der Linksaussen, der Grüne Jadot, der Kommunist Roussel und die Sozialistin Hidalgo – nicht einmal 30% der Stimmen holen werden und mit fast hundertprozentiger Sicherheit kein einziger von ihnen es in die entscheidende Stichwahl schaffen wird.
Jean-Luc Mélenchon – La France Insoumise: 12%
Yannick Jadot – Grüne: 7%
Fabien Roussel – Kommunisten: 4%
Anne Hidalgo – Sozialisten: 2,5%
Philippe Poutou – Extr. Linke 1,5%
Nathalie Arthaud – Extr. Linke 0,5%
Mélenchon
Es sei denn, ganz eventuell, der Altlinksaussen und Ex-Sozialist, Jean-Luc Mélenchon, der bereits zum 3. Mal bei einer Präsidentschaftswahl antritt und in diesen Tagen laut davon zu träumen beginnt, dass er es diesmal ins Finale schaffen könnte. Seit zwei Wochen und seitdem er in den Meinungsumfragen auf immer noch sehr magere 12% geklettert ist, beschwört er die linke Wählerschaft, ihre Stimmen nicht zu vergeuden und für ihn, den Bestplatzierten im linken Lager, zu votieren. Sein Vorhaben scheint mehr als utopisch, doch angesichts der zahlreichen Kandidaten und dem in den Meinungsumfragen mit grossem Abstand führenden amtierenden Präsidenten, Emmanuel Macron, liegt die Schwelle für den Zugang zur entscheidenden Stichwahl im 1. Durchgang am 10. April nur noch bei ca. 16 bis 18%.
Also posaunt der Volkstribun und begnadete Redner Mélenchon nun seit Tagen, er müsse nur noch 4 Prozent zulegen, um an der derzeit Zweitplatzierten, Marine Le Pen, vorbeizuziehen, die mit 16 bis 18% gehandelt wird, ihr rechtsextremer Widersacher, Éric Zemmour, mit 10 bis 13% und die Kandidatin der traditionellen Rechten, «Les Républicains », Valérie Pécresse, mit für sie sehr enttäuschenden 10 bis 11%.
Emmanuel Macron klar in Front
Was Emmanuel Macron angeht, so sprechen sämtliche Meinungsumfragen der letzten Tage, nach vier Wochen Krieg in der Ukraine, eine mehr als deutliche Sprache: Der amtierende Präsident und nur nebenbei auch Kandidat, würde derzeit im 1. Wahlgang rund 30% der Stimmen auf sich vereinen, was ein fast historisch hohes Ergebnis wäre: mehr als François Hollande 2012, nur knapp weniger als Sarkozy 2007 oder Mitterrand bei seiner Wiederwahl 1988.
Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat Präsident und Kandidat Macron, der gleichzeitig auch noch amtierender EU-Ratsvorsitzender ist und de facto oberster Befehlshaber der französischen Armee ist, rund 5% zugelegt. Er profitiert dabei von dem traditionellen Reflex in der Bevölkerung, wonach man in schweren Krisenzeiten die Fahne hochhält und sich um denjenigen schart, der gerade an der Macht ist.
Zudem erntet Macron für seine diplomatischen Bemühungen in der Ukrainekrise, auch wenn sie nicht vom geringsten Erfolg gekrönt wurden, und er sich letztlich von Putin hat vorführen lassen, die Zustimmung von über 60% der Franzosen.
Mit anderen Worten: Macron profitiert eindeutig vom Krieg in der Ukraine und seiner Rolle als Landesvater, der die Franzosen beschützt. «Je veux vous protéger» ist eine Phrase, die er immer wieder im Mund führt.
Wo ist der Wahlkampf ?
Klar ist: Der 24. Februar und Putins militärische Aggression der Ukraine hat diesen französischen Präsidentschaftswahlkampf vollständig durcheinander gewirbelt.
Er wollte seit Monaten ohnehin nicht in Gang kommen, weil Präsident Macron so lange wie möglich gewartet hatte, um als Kandidat in den Ring zu steigen. Zunächst wegen Corona, um möglichst nahe am Wahltermin einige Lockerungen verkünden zu können, und dann wegen des Kriegsausbruches in der Ukraine.
Wie noch kein Präsident vor ihm, der zur Wiederwahl angetreten war – Mitterrand 1988, Chirac 2002 und Sarkozy 2012 – hat Emmanuel Macron bis zum allerletzten Tag gewartet, um sich dann erst am 4. März in einem offenen Brief an die Franzosen offiziell als Kandidat zu erklären.
Seitdem sind fast drei Wochen vergangen, doch Wahlkampf macht der Kandidat Macron nach wie vor so gut wie keinen. Zwei Ausflüge in die Provinz, wo er mit handverlesenem Publikum in eher kleinem Rahmen diskutierte, sowie eine vierstündige Pressekonferenz in einem nördlichen Pariser Vorort, um sein Programm vorzustellen, und das war es bisher.
Letztlich wird es wohl nur eine einzige, grosse Wahlkampfveranstaltung mit Macron Anfang April geben, mehr auch nicht.
In der Tat – und das trifft nicht nur für Macron zu – ist das diesmal kein normaler Wahlkampf. Grossveranstaltungen mit jubelnden, grölenden, klatschenden Anhängern im Saal wirken in diesen Kriegszeiten fast unappetitlich. Und die Themen, die diesen Wahlkampf eigentlich bestimmen müssten, sie wollen, angesichts des Kriegs in der Ukraine, einfach nicht durchdringen: erscheinen plötzlich völlig belanglos.
Man nehme als Beispiel nur die Klimakatastrophe oder den Ausbau der Atomenergie, die normalerweise im Vorfeld der wichtigsten Wahlen heftig und konträr diskutiert worden wären. Doch von einer echten Wahlkampfdebatte in der breiten Öffentlichkeit über diese Themen kann absolut keine Rede sein.
Heftige Kritik
Seine wichtigsten Konkurrenten werfen Macron seit Monaten vor, dass er sich zunächst durch seine späte Kandidatur und auch jetzt noch in den Wochen danach jeder Konfrontation und konträrer Diskussion mit seinen Gegnern entziehe und letztlich ein Feigling und Angsthase sei. Zumal der Präsident und Kandidat Anfang März auch klargestellt hatte, dass er vor dem ersten Wahlgang an keiner Fernsehdiskussion mit allen anderen Konkurrenten teilnehmen werde. Es folgte ein entrüsteter Aufschrei der Gegner, der sogar so weit ging, dass Gerard Larcher, der Präsident des Senats und als solcher die Nummer 2 in der staatlichen Hierarchie, sich zu der Aussage verstieg, wenn Macron sich weiterhin einer demokratischen Debatte verschliesse, müsse man sich die Frage stellen, welche Legitimität er dann überhaupt habe, sofern er gewählt werden sollte.
Macron verwies kühl darauf, dass sich auch keiner seiner Vorgänger, die als amtierende Staatspräsidenten zur Wiederwahl angetreten waren, auf eine derartige Diskussion vor dem ersten Wahlgang eingelassen hatte.
Eine Meinungsumfrage an diesem Montag sagt ganz klar: Das französische Wahlvolk ist vor allem müde, zutiefst besorgt und ausgepowert nach zwei Jahren Covid-19, wozu jetzt auch noch Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mit allen seinen Nebenwirkungen kommt.
Die höchst wahrscheinliche Folge dieser Stimmung unter den generell schon extrem pessimistischen Franzosen: Die Wahlbeteiligung dürfte laut allen Meinungsforschungsinstituten historisch niedrig ausfallen und nicht mal 70% betragen, was für französische Präsidentschaftswahlen tatsächlich sehr wenig wäre.
Drei Blöcke
Wenn man will, könnte man die derzeitige Ausgangslage, etwas mehr als zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang, so umschreiben: Nach der Zerstörung der traditionellen französischen Parteienlandschaft durch Macrons Wahlsieg 2017 gibt es fünf Jahre später, vor der jetzigen Wahl im April, vereinfacht gesagt drei Blöcke.
- Zum einen die ramponierte Linke, die mit allen ihren Komponenten – es sind deren sechs – insgesamt nicht mal auf 30% kommt.
- Zum anderen das Establishement mit Macron auf der einen und der konservativen Kandidatin Pécresse auf der anderen Seite, die zusammengerechnet rund 40% der Stimmen erzielen könnten.
- Und schliesslich die nationalistische, extreme Rechte von Le Pen und Zemmour , die es insgesamt auf beachtliche 30% bringen dürften.
Angestaubte Demokratie
Angesichts dessen und des französischen Systems mit seinen zwei Wahlgängen und dem Mehrheitswahlrecht, das auch für die kommenden Parlamentswahlen im Juni gilt, werden am Ende zwei von diesen drei Blöcken so gut wie nirgendwo entsprechend ihres Gewichtes repräsentiert sein.
Die extreme Rechte z. B. kann in diesem System bei der Präsidentschaftswahl, wie Marine Le Pen vor fünf Jahren, im zweiten Wahlgang 33% der Stimmen erzielen, nach den anschliessenden Parlamentswahlen am Ende aber gerade mal 2 von 596 Abgeordneten in der Nationalversammlung stellen.
Seit zwei Jahrzehnten weiss man, dass das französische Präsidialsystem mit einem Parlament, das so gut wie nichts zu sagen hat, die politischen Kräfteverhältnisse im Land in keiner Weise wiederspiegelt und in dem der Präsident sich fünf Jahre lang vor niemandem zu verantworten hat, wahrscheinlich hauptverantwortlich dafür ist, dass das Vertrauen der Franzosen in die Politik und in ihre Vertreter dramatisch abgenommen hat.
Und natürlich – möchte man sagen – hat auch Emmanuel Macron, der 2016 eine neue Welt in Aussicht gestellt und sein damaliges Buch zum Wahlkampf gar «Révolution» getauft hatte, während seiner Amtszeit fünf Jahre lang schlicht nichts getan, um an diesem Zustand etwas zu ändern. Vielmehr hatte er sich gleich nach seiner Wahl zum Jupiter aufgeschwungen, der die Wahrheit gepachtet hat und am besten weiss, was gut oder was schlecht ist für sein Land.
Und grundsätzlich wird Macron, sollte er aller Wahrscheinlichkeit nach wiedergewählt werden, auch an seinem einsamen und vertikalen Stil der Machtausübung, sicherlich nicht viel ändern.