Während die lettische Wirtschaft wieder zu wachsen beginnt, gibt es im Land Anzeichen für einen politischen Kraftakt, der nicht weniger bedeutsam sein dürfte. Es geht um die Einbindung der russischsprachigen Minderheit.
Der 38jährige Regierungschef Valdis Dombrovskis musste seit seinem Amtsantritt im März 2009 das lettische Budget um 8,5 Prozent korrigieren, indem er unter anderem die Beamtengehälter bis zu 30 Prozent senkte und Steuern erhöhte. Trotz den unpopulären Massnahmen konnte seine Parteiengruppe „Einheit“ jetzt bei den Neuwahlen im Oktober ihre Position stärken und Dombrovskis wurde am 2. November erneut als Regierungschef eingesetzt.
Mit den 22 Sitzen des Bündnispartners „Grüne und Bauern“ und den 33 Sitzen von „Einheit“ verfügt die Regierung über 55 der 100 Parlamentssitze. Sie ist zumindest bei den erneuten Kürzungen des Budgets 2011 auf passive Unterstützung oder zumindest Stillhalten der übrigen Parteien angewiesen. Dabei dürfte ihr allerdings mithelfen, dass die Wirtschaft nach einem Einbruch von 18 Prozent im Jahr 2009 inzwischen wieder wächst und die Arbeitslosigkeit von fast 20 Prozent wieder abnimmt.
Schwierige Partnersuche
Gescheitert ist Dombrovskis mit seinem Anliegen, für die schwierige Durststrecke eine breitere Basis zu finden. Und dies obschon allen klar ist, dass Lettland angesichts des vom Währungsfonds gewährten Kredits keine Alternative hat. Die Opposition droht nicht mit einem totalen Widerstand, will aber wegen der Sanierung nicht ihre politischen Positionen opfern.
Den grössten Stimmenzuwachs bei den Wahlen im Oktober erzielte das hauptsächlich von der russischsprachigen Minderheit unterstützte „Harmoniezentrum“ mit jetzt 25,7 Prozent der Wähler. Der Schulterschluss mit der Minderheitspartei wurde verhindert durch Dombrovskis’ Vorbedingung, dass diese Epoche als Sowjetrepublik fortan als „Besetzung“ bezeichne, Lettisch als „einzige“ Staatssprache und die lettische Sprachprüfung als Voraussetzung für die Gewährung der Staatsbürgerschaft akzeptiere.
Diese Haltung wird von den meisten Letten unterstützt und ist samt der schrittweisen Lettisierung der russischsprachigen Schulen bereits Wirklichkeit. Differenzen gibt es unter den Letten bloss beim Tempo der Lettisierung und bei der Frage, ob die Einstufung der jüngsten Geschichte ein Politikum sein soll. Während Dombrovskis Kompromissbereitschaft signalisiert, würde der konservative Flügel mit den Gruppierungen „Alles für Lettland/Für Vaterland und Freiheit“ keine Zugeständnisse an die russischsprachige Minderheit dulden. Diese rechte Gruppierung repräsentiert 15 Prozent der Wählerstimmen und neigte zum Schulterschluss, der aber von liberalen Aktivisten aus Dombrovskis „Einheit“ verhindert wurde.
Dem bisher erfolgreichen Regierungschef mit seiner wirtschaftsorientierten Partei „Einheit“ bleibt daher als Regierungspartner einzig die schon bisher angeschlossene Gruppe „Grüne und Bauern“ mit einem Stimmenanteil von 15 Prozent. Diese wird geführt und finanziert von Aivar Lemberg, dem Bürgermeister der Hafenstadt Ventspil. Der Politiker ist populär bei der Landbevölkerung, gilt aber in der Hauptstadt Riga als „lettischer Berlusconi“, gegen den ein Verfahren wegen Bestechung und Geldwäscherei läuft. Das politische Umfeld ist für Dombrovskis daher wenig komfortabel und er wird mittelfristig die politische Auseinandersetzung mit dem bei den Wahlen am meisten zulegenden „Harmoniezentrum“ nicht vermeiden können. Diese Partei vertritt neben auf Ausgleich bedachten Letten in der Hauptstadt vor allem die russischsprachige Minderheit, deren Anteil an der Bevölkerung in der vermutlich manipulierten offiziellen Statistik mit 27 Prozent, von Insidern aber mit 37 Prozent angegeben wird.
Ratschläge aus USA und der Schweiz
Für die auf ihre Mehrsprachigkeit stolze Schweiz ist das Beharren auf „einer Staatssprache“ schwer verständlich. Pro Helvetia finanzierte vor ein paar Jahren eine Demonstration unserer viersprachigen Idylle in Tallinn, das ebenfalls auf der Unterdrückung der russischen Sprache beharrt. Die von der Schweizer Botschaft in Helsinki betreute Aktion endete mit einem Eklat. Die Einmischung aus der sicherheitspolitisch so komfortabel eingebetteten Schweiz wurde abgewiesen. Während die Mehrsprachigkeit für uns zu den Rezepten einer 700jährigen Unabhängigkeit gehört, haben Letten und Esten aus einer 700 Jahre dauernden Erfahrung als Untertanen nur ihre Sprache gerettet. Diese ist in der durchmischten Bevölkerung bisher auch der wichtigste Faktor für eine nationale Identifikation.
Unverständnis zeigen auch die USA, deren Sicherheitsfirma Rand Corporation den beiden baltischen Staaten schon nach dem Wechsel riet, die Minderheit so schnell wie möglich zu integrieren und sich durch das Anlocken westlicher Investitionen die sicherheitspolitische Involvierung des Westens zu sichern. Die Ostseehäfen in Lettland und Estland sind nach der Rand Studie für Russland so wichtig, dass Moskau diese zurückholen wird, sobald der Westen sich - wie bei der Suezkrise von 1956 - als handlungsunfähig erweist. In einer diskriminierten Minderheit könnte Moskau jederzeit Unzufriedene zu Unruhen anstiften, um ihnen dann als grosser Bruder zu Hilfe zu kommen. Zwar sind Letten und Esten seit 2004 in der NATO und verlassen sich auf die im Artikel V zugesagte Hilfe. Aber wie diese Hilfe in der Praxis aussehen könnte bei Kleinstaaten, die innert Stunden besetzt werden können, bleibt offen.