Die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz seien von herausragender Bedeutung, hämmerte die Kanzlerin Angela Merkel ihren Anhängern schon im vergangenen Jahr ein. Und auch die politischen Auguren aller Richtungen waren sich einig: Hier geht Grosses vor. Konrad Adenauer hätte wohl gesagt: „Die Situation ist da.“
In Baden-Württemberg kassierte die CDU des Ministerpräsidenten Stefan Mappus die erwartete Niederlage von 5 Prozent. Sie bleibt zwar mit 39 Prozent die stärkste Fraktion, aber da die Grünen auf 24,2 Prozent gekommen sind, nützt das wenig. Denn jetzt können die Grünen zusammen mit der SPD, 23,1 Prozent, eine knappe Regierungsmehrheit mit voraussichtlich 71 Sitzen aufbieten. Und da die Grünen mit 36 Sitzen einen Sitz mehr als die SPD-Fraktion haben wird, stellt sie auch gleich mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten. Das ist ein politischer Umsturz, vor dem das Debakel der FDP, die mit 5, 3 Prozent nur mit Ach und Krach ihren Einzug mit gerade mal 7 Abgeordneten in den Landtag geschafft hat, fast schon marginal wirkt.
In Rheinland-Pfalz kassierte die SPD einen herben Verlust von knapp 10 Prozent, bleibt aber mit 35,7 Prozent stärkste Fraktion. Nun muss der Ministerpräsident Kurt Beck, der sich in den vergangenen 5 Jahren in der absoluten Mehrheit sonnen konnte, mit den Grünen, 15,4 Prozent, eine Koalition bilden. Man sah ihm die Erleichterung an, dass er nur diese Pille zu schlucken hat. Julia Klöckner, seine Rivalin von der CDU, hat mit 35,2 Prozent, was lediglich einen Zuwachs von 2,3 Prozent gegenüber den letzten Landtagswahlen bedeutet, Kurt Beck zwar zwicken, aber noch nicht ernsthaft bedrängen können. Dieser Kelch, der für ihn schon aus persönlicher Abneigung allzu bitter gewesen wäre, ging noch einmal an ihm vorbei.
Umdeutung am Wahlabend
Und nun? Bundespolitisch ändert sich so viel, als die Anzahl der politischen Gegner der Bundesregierung im Bundesrat, der Vertretung der Länder, wächst. Vorher wurde aber weit mehr in das mutmassliche Ergebnis hineingeheimnisst. Das sei der Anfang vom Ende Merkels, prognostizierten Kritiker wie der Herausgeber der Wochenzeitung „der Freitag“, Jakob Augstein. Und natürlich das Aus für den FDP-Chef Westerwelle, der mit seiner Enthaltung beim Libyenbeschluss der UN Deutschland diplomatisch isoliert hat. Und die verdiente schallende Ohrfeige für dessen Kollegen, den Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Denn der hatte noch kurz vor der Wahl für einen handfesten Skandal gesorgt, indem er vor vertrauter Runde des Bundesverbandes der deutschen Industrie BDI den von Merkel proklamierten Ausstieg aus der Atomenergie als wahlkampfgeschuldete irrationale Aussage abqualifizierte. Nicht der BDI regte sich auf, sondern die Medien, über die diese Aussage erst an die Öffentlichkeit gelangt ist.
Am Wahlabend selber aber fand bei Siegern und Besiegten eine Umdeutung statt. Die Atomkatastrophe in Japan habe den Ausschlag gegeben, hiess es jetzt. So sei auch die erstaunlich hohe Wahlbeteiligung von 66,3 Prozent in Baden-Württemberg gegenüber 53,4 bei der Wahl 2006 und in Rheinland-Pfalz von 62,3 Prozent gegenüber 58,2 Prozent im Jahre 2006 zu deuten. Es handelt sich vermeintlich um ein Plebiszit zur Atomenergie, oder wie der SPD-Chef Sigmar Gabriel vollmundig erklärte: „Man kann sich nach diesem Wahlabend aus dem Nein zur Atomenergie nicht mehr davonschleichen.“
Japan als Erklärung?
Entsprechend diesen Deutungen sind die Landtagswahlen nach dem Motto gelaufen: „Denke global, handle lokal“. Darüber sind aber lokale Besonderheiten in den Hintergrund getreten. So hat sich die CDU von Stefan Mappus in Baden-Württemberg in den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 zunehmend unbeliebt gemacht. Und nicht wenige CDU-Mitglieder haben sich nicht nur über Mappus geärgert, sondern auch über die Arroganz anderer Führungsmitglieder in der Region. Und wie soll man den leichten Zuwachs der CDU in Rheinland-Pfalz deuten? Als Zustimmung zur Bundespolitik? Wie vertrüge sich eine solche Deutung aber mit der Tatsache, dass in Rheinland-Pfalz die FDP von 8 Prozent (2006) auf jetzt 4,2 Prozent abgesackt ist?
In einem ähnelt Angela Merkel Helmut Kohl: Auch ihm wurde immer wieder ein frühes Ende seiner Kanzlerschaft prophezeit. Tatsächlich regierte er länger als Konrad Adenauer, was seine Kritiker geradezu fassungslos gemacht hat. Politik funktioniert offenbar völlig anders, als kluge Analysen glauben. Und so kann Angela Merkel die CDU entkernt und den Wirtschaftsflügel gegen sich aufgebracht haben, und Westerwelle mag als Aussenminister eine Fehlbesetzung sein und Rainer Brüderle das alternde Enfant terrible geben: Das ist heutige Politik, leider nicht nur in Deutschland.
Die Deutungen der Motive für Wahlentscheidungen mögen durch demoskopische Umfragen unterfüttert sein, aber sie sind keineswegs zwingend. Und es hatte auch ein „Gschmäckle“, wie man im Schwabenland sagen würde, dass nun die atomare Katastrophe Japans als Erklärung für den Ausgang von zwei Landtagswahlen in Deutschland herhalten musste.