Als der nachmalige US-Präsident Bush Senior als Chefdiplomat des US-Verbindungsbüros in Peking Mitte der 1970er-Jahre mit chinesischen Beamten auf rotem Sand Tennis spielte, war das noch mehr als exklusiv. Auch Bush Junior, etwas sportlicher als sein Vater, schwang das Tennis-Racket auf dem Jianguomen-Platz im Zentrum der chinesischen Hauptstadt. Hin und wieder spielte er diplomatisch, denn gewinnen durfte er – die sino-amerikanischen Beziehungen verbesserten sich gerade rasant – ja nun wirklich nicht immer.
Erinnerung an die Ping-Pong-Diplomatie
Dass der alte und junge Bush auch Ping-Pong spielten, darüber ist nichts überliefert. Erstaunlich eigentlich, denn der Kontakt zwischen dem kommunistischen China des Grossen Steuermanns Mao Dsedong und dem kapitalistischen Amerika von Präsident Nixon wurde durch ein amerikanisches, nach China eingeladenes Ping-Pong-Team hergestellt. Dieser Akt wurde in den historischen Annalen als Ping-Pong-Diplomatie festgeschrieben. Der Rest ist – wie das sprachliche Klischee es ausdrückt – Geschichte.
Viele Chinesinnen und Chinesen sind mittlerweile vom Fahrrad aufs Auto umgestiegen. Doch Ping-Pong und Federball spielen sie noch immer. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Frühmorgens im Park, im Hinterhof, auf wenig befahrenen Strassen, in Tiefgaragen, im Altersheim, am Arbeitsplatz oder zu Hause. Im Spitzensport sammeln chinesische Ping-Pong-Spieler und Federball-Spielerinnen regelmässig Gold, Silber und Bronze. Ihre Klasse ist unerreicht.
14 Millionen im Tennisverband
Zwar überträgt der Sportkanal des chinesischen Staatsfernsehens CCTV5 regelmässig und umfassend Ping-Pong und Federball. Doch die Einschaltquoten halten sich mit ein paar Dutzend Millionen in Grenzen. Die beliebteste TV-Sportart aber ist mit Abstand Fussball, wobei heimisches, von Wettskandalen gebeuteltes Kicken weit hinter den europäischen Wettbewerben (Spanien, England, Deutschland und Italien) steht. An zweiter Stelle in der Beliebtheitsskala steht Basketball. An dritter Stelle kommt bereits Tennis.
Seit die beiden Bushs mit dem Tennisschläger die Bälle in Peking den roten Mandarinen um die Ohren schlugen, hat sich der Sport schnell entwickelt. Zählte der chinesische Tennisverband 1988 noch eine Million Spieler und Spielerinnen, waren es zu Beginn des laufenden Jahres bereits 14 Millionen. Tendenz steil ansteigend. Ähnlich wie vor sechzig, siebzig Jahren in Europa hat sich die vermögende Mittelklasse dem Tennis verschrieben. Die Gründe sind dieselben: eine gewisse Exklusivität verglichen mit Ping-Pong oder Federball und dank Mitgliedschaft im teuren Tennisclub sozialer Status.
Spitzenkräfte aus dem Ausland
Inzwischen ist Tennis auch ein wirtschaftlicher Faktor geworden. Im vergangenen Jahr setzte der Riesenmarkt mit Tennis-Zubehör bereits umgerechnet vier Milliarden Schweizer Franken um. Tendenz auch hier steil Richtung Norden.
Der chinesische Tennisverband fördert den Sport mit viel Enthusiasmus und noch mehr Geld. Ausländische Coaches wurden verpflichtet, eine nationale Amateur-Liga wurde gegründet. Die Zusammenarbeit mit Spitzenkräften in Amerika und Europa läuft auf Hochtouren. Jugendliche im Alter von 12 Jahren an werden, unterstützt von deutschen Sponsoren aus der Autobranche, besonders gefördert. Bereits gibt es auch private Initiativen. Der amerikanisch-chinesische Tennisstar Michael Chang – in China sehr populär und unter dem Namen Zhang Depei bekannt – betreibt seit 2008 im südlichen Shenzhen eine Tennis-Akademie mit 50 Plätzen.
Eigenwilliger weiblicher Star
Inzwischen tragen die breit angelegten Bemühungen bereits sportliche Früchte. Bei den Frauen erscheinen bereits drei Spielerinnen in den Top 50 des WTA-Rankings. Der absolute Star ist Li Na. Sie gewann 2011 den Grand-Slam in Roland Garros und stand im Halbfinal am Australian Open und in Wimbledon. Li ist auch die erste Chinesin in den Top 10 des WTA-Rankings. Li Na ist in ganz China sehr beliebt. Sie hat auch einen eigenen Kopf – in Chinas Sport noch immer selten. Mit dem Tennisverband hat sie sich überworfen und organisiert mit ihrem Mann, der gleichzeitig ihr Trainer ist, in Eigenverantwortung Preis- und Reklamegelder sowie Training.
Ihr Privatleben, sagt sie, gehe den Verband gar nichts an. Dann setzte sie für chinesische Verhältnisse doch sehr mutig noch eins drauf, ohne bei den Fans an Sympathie zu verlieren: „Warum sollte ich auf meinen Schultern das ganze Land tragen? Ich bin ja nur eine Tennisspielerin“.
Aber auch Zheng Jie hat sich zum Star entwickelt. Auch sie stand im Halbfinal des Australian Open und von Wimbledon und brachte es bis zur Nummer 15 im WTA-Ranking. Mit Yan Zi im Doppel gewann sie 2006 das Australian Open und Wimbledon. Zwei weitere chinesische Tennis-Frauen, Li Ting und Sun Tiantian wurden in Athen 2004 sogar Olympiasiegerinnen im Doppel.
Shanghai noch vor Peking
Bei den Männern freilich sieht es noch zappenduster aus. Gerade einmal zwei Spieler sind in den Top 200 klassiert und einer in den Top 300. Die derzeit grösste Hoffnung ist der 23 Jahre alte Zhang Ze (ATP 148), für den mittlerweile – wie die jüngsten Resultate in Wimbledon und Hamburg zeigen – auch Roger Federer nicht mehr unerreichbar ist. Der chinesische Tennisverband jedenfalls hat hohe Ziele: Bis zum Ende des Jahrzehnts soll ein Weltklassespieler China zumindest in den Top 10 vertreten. Die Infrastruktur ist in China vorhanden. Seit 2004 wird das Peking Open ausgetragen. Der jeweils im September ausgetragene Wettbewerb ist ein ATP-500- und ein WTA-1-Turnier (Preisgeld insgesamt 6,6 Millionen Dollar).
Das Stadion „Diamond Court“ auf dem Pekinger Olympia-Gelände wurde vor zwei Jahren mit umgerechnet 75 Millionen Franken auf den neuesten Stand gebracht mit einem Schiebedach und 15‘000 Sitzplätzen. In Sachen Infrastruktur hat Shanghai allerdings die Hauptstadt noch übertroffen. Auch das Qi Zhong-Stadion verfügt über 15‘000 Sitzplätze, einem verschiebbaren Magnolien-Dach benannt nach der Stadtblume Magnolia und ist – dies vor allem – nach allen Regeln der Feng-Shui-Kunst gebaut. Mit zwei Dutzend Nebenplätzen ist es der grösste Tennis-Komplex in Asien. 2004 sowie von 2005-2008 wurde in diesem Roger Federer wohlbekannten Stadion die Masters zum Jahresende ausgetragen. Heute ist das im Oktober ausgetragene Shanghai Open das einzige 1000-Turnier ausserhalb von Europa und Amerika mit einem Preisgeld von 3,24 Millionen Dollar.
Der heimliche Traum
Der chinesische Tennisverband denkt und träumt – eben echt chinesisch – gross. Der heimliche Traum: nach dem Australien Open in Melbourne, Roland Garros in Paris, Wimbledon und dem US-Open in New York vielleicht ein fünftes Grand-Slam-Turnier in Peking oder Shanghai. Da kann man mit dem Klang von Roger Federers neuem Bratpfannen-Racket im Ohr nur noch ausrufen: Ping! Pong!! Päng!!!