Mit meinem Redaktionskollegen Heiner Hug gehe ich grundsätzlich einig in seiner Einschätzung: Der Dreiervorschlag der SVP zur Wahl des neuen Bundesrates am 9. Dezember ist eine Art „Diktat“ oder jedenfalls eine Zumutung. Indessen ist das „Diktat“ nicht im Vorschlag selbst begründet (andere Parteien machen ja auch personelle Vorschläge für die von ihnen beanspruchten Sitze). Die Zumutung liegt in dessen Zusatzklauseln: Jedes Parteimitglied, das ausserhalb des offiziellen Dreiervorschlags zum Bundesrat gewählt wird, soll aus der SVP ausgeschlossen werden. Ausserdem mussten alle im Vorfeld gehandelten SVP-Kandidaten unterschreiben, dass sie eine eventuelle Wahl ablehnen würden.
Sprengkandidaten-Szenario funktioniert nicht
Dennoch bin ich nicht der Meinung, dass die Nicht-SVP-Mitglieder der Bundesversammlung (die gut 70 Prozent der Wähler vertreten) ganz bewusst keinen der drei von der Blocher-Partei vorgeschlagenen Kandidaten zum Bundesrat wählen sollten. Warum bin ich da anderer Ansicht? Aus drei Gründen.
Erstens, weil ich nicht daran glaube, dass es diesmal gelingen wird, einen mehrheitsfähigen Sprengkandidaten aus den SVP-Reihen zu finden, den diese Partei dann auch als „ihren“ Bundesrat anerkennen würde. Der Bündner Nationalrat Heinz Brand, der eine Zeitlang offenbar mit dem Sprengkandidaten-Szenario liebäugelte, hat inzwischen unmissverständlich erklärt, dass er eine Wahl ablehnen würde, die seine Partei nicht unterstützt.
Zweitens, weil ich aus pragmatischen Gründen dafür bin, dass die SVP als stärkste Partei mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten ist. Mit diesem vielleicht etwas biederen und glanzlosen „Zauberformel“-System, bei dem die vier grössten Parteien in der Regierung – aber nicht im Parlament – eine grosse Koalition bilden, ist die Schweiz im Ganzen gut gefahren. (Die Abweichung von der „klassischen“ Zauberformel während der Amtszeit von Widmer-Schlumpf war zwar auch ein Erfolg, aber dieses Muster wird in der heutigen Konstellation kaum zu wiederholen sein.)
Mit einer Zweiervertretung im Bundesrat könnte sich die SVP auch weniger profitabel als bisher als Oppositions- oder Märtyrer-Partei aufspielen, die angeblich exklusiv die Interessen „des Volkes“ vertritt aber von der unheiligen Allianz der Konkurrenzparteien daran gehindert wird, ihre Regierungsrezepte mit dem ihr zustehenden Gewicht zu vertreten.
Gegen den „Aeschi first“-Schlachtplan
Drittens: Der SVP-Dreiervorschlag ist bei näherer Betrachtung kein einheitliches Angebot. Nicht wenige Beobachter kamen zunächst zum Schluss, es handle sich um ein Scheinangebot. Die SVP-Oberen seien gemäss Blochers Regie eigentlich nur an der Wahl seines Zuger Zöglings Thomas Aeschi interessiert. Parmelin und Gobbi wären demnach mehr oder weniger Alibi-Kandidaten.
Manches spricht dafür, dass dieses „Aeschi first“-Szenario tatsächlich dem Schlachtplan des Blocherschen Machtzirkels entspricht. Und daraus ergibt sich auch die Chance, diesen Plan wenigstens teilweise zu durchkreuzen – durch die Wahl des lebenserfahrenen Waadtländer Winzers und Sozialpolitikers Guy Parmelin. Inzwischen hat sich ja herumgesprochen, dass drei Romands in der Landesregierung überhaupt keine Neuheit wären – und sogar ein kleines Trostpflaster für die Tessiner, wenn man Tessiner und Romands als Lateiner zusammenfasst.
Dass Norman Gobbi, Exponent der lokalchauvinistischen Lega dei Ticinesi und gleichzeitig frisch getauftes SVP-Mitglied als Bundesratskandidat keine ernsthafte Chance hat, wissen natürlich auch die SVP-Kommandeure, insofern ist er tatsächlich ein Alibi-Nomination.
Nicht „Blochers Pudel“
Der 57-jährige Parmelin aber wäre weit über das SVP-Umfeld hinaus eine vernünftige Wahl. Er vertritt zwar eine konservative Grundhaltung, ist aber offenkundig kein nationalistisch verbohrter Ideologe. Anders als bei seinem jungen Konkurrenten Thomas Aeschi käme niemand auf die Idee, Parmelin als „Blochers Pudel“ oder als „Blochers Meldeläufer“ zu titulieren. Die Tatsache, dass der Waadtländer SP-Regierungsrat Pierre-Yves Maillard in der Zeitung „Le Temps“ dazu aufgerufen hat, Parmelin in den Bundesrat zu wählen, spricht Bände für die Umgänglichkeit und die kollegialen Qualitäten dieses Kandidaten. Sie sind für ein konstruktives Klima in einem Koalitionsgremium wie dem Bundesrat wichtiger als Spezialistentum mit Tunnelblick und jugendliche Turbo-Hektik.
In der Politik geht es bei sehr vielen Entscheidungen um die Wahl des kleineren Übels. Man kann das SVP-Diktat als „Aeschi-Diktat“ ablehnen und die SVP-Ausschlussklausel als Zumutung empfinden, aber trotzdem der Meinung sein, der nationalkonservativen Partei sollte aus Gründen der innenpolitischen Balance und aus taktischem Interesse ein zweiter Sitz in der Regierung eingeräumt werden. In diesem Dilemma halte ich die Wahl des welschen Pragmatikers Guy Parmelin für das kleinere unter verschiedenen Übeln.