Der jetzt von den USA und Russland gekündigte INF-Vertrag war schon längst aus der Zeit gefallen. Seit Jahren hat Moskau den Vertrag gebrochen und neue atomare Mittelstreckenraketen in Position gebracht. Und die USA wussten das und blieben nicht untätig. Kriege werden heute anders geführt als vor 31 Jahren, als der Vertrag in Kraft trat. Heute geht es nicht mehr um Raketen gegen Raketen, heute geht es um Satelliten-gesteuerte High-Tech-Systeme, die Raketen von irgendwo her zielgenau steuern und andere abfangen.
Die Kündigung des INF-Vertrags hat also kaum militärische Auswirkungen und öffnet nicht Türen und Tore für eine neue Aufrüstung. Diese Türen und Tore sind längst offen. Niemand ist so naiv zu glauben, die USA und Russland seien nicht dabei gewesen, neuartige Waffen zu entwickeln und teils in Stellung zu bringen. Neu ist jetzt nur, dass dies nicht mehr im Geheimen geschehen muss. Trump hat jetzt freie Hand, seine Rüstungsmaschinerie voll laufen zu lassen. Das soll auch eine Warnung an die Chinesen sein.
Putin lacht sich ins Fäustchen
Die Annullierung des INF-Abkommens hat vor allem symbolische Bedeutung. Sie ist Ausdruck dafür, dass internationale Abkommen, mit denen versucht wurde, die Welt etwas sicherer zu machen, über Bord geworfen werden. Diese Verträge und Abkommen, die oft in jahrzehntelangen mühsamen Verhandlungen von Diplomaten und Politikern ausgehandelt und an Gipfeltreffen unterzeichnet wurden, waren und sind nicht perfekt, aber sie haben die Welt etwas sicherer gemacht, oder zumindest – in halbgeordnete Bahnen gelenkt. Diese Weltordnung wird mehr und mehr beschädigt.
Die Nato bröckelt auseinander, Trump hat sich laut Washington Post gar überlegt, aus dem Nordatlantischen Bündnis auszutreten. Die USA ziehen sich unter Trump vermehrt zurück und lassen Europa im Regen stehen – und dieses Europa schaut hilflos zu. Die EU zeigt Lähmungserscheinungen und wirkt konzeptlos. Dass es ihr nicht gelang, Grossbritannien zumindest grösstenteils in der Union zu halten, manifestiert die Kurzsichtigkeit des Brüsseler Direktoriums. All das schafft Instabilität. Und wenn die Populisten bei den Europawahlen im Mai wie erwartet an Terrain gewinnen, wächst das Durcheinander noch weiter. Auf der anderen Seite lacht sich der geniale Stratege Wladimir Putin ins Fäustchen. Ein schwaches West- und Mitteleuropa ist das Beste, was ihm passieren kann.
Zurück in die Kalte-Krieg-Rhetorik?
Die Annullierung des INF-Vertrags ist ein Steinchen im Mosaik und Ausdruck dafür, dass längst ein anderer Wind weht. Nicht nur weil der INF-Vertrag Makulatur ist und weil Russland einige SSC-8-Cruise-Missiles an der Grenze zu Westeuropa stationiert hat, ist Europa verwundbar, sondern weil Trump offenbar immer weniger bereit ist, Europa zu verteidigen. Dass sich die drei baltischen Staaten mit ihrer teils russischen Bevölkerung vor Putin und einem schwachen Europa fürchten, ist verständlich.
Findet das uneinige Europa eine Antwort auf die neue Herausforderung? Werden bald wieder „kalte Krieger“ eine atomare Aufrüstung Westeuropas fordern? Oder gelingt es Europa, Putin in einen konstruktiven Dialog einzubeziehen? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch aus einer Position der Schwäche heraus verhandelt es sich schlecht.