Wir erinnern uns: Im April veröffentlichten zahlreiche Medien Aufsehen erregende Informationen über unzählige Briefkastenfirmen, die die Anwaltsfirma Mossack Fonseca in Panama für Kunden aus aller Herren Länder eingerichtet hatte. 11,5 Millionen E-Mails, Briefe, Verträge, Rechnungen usw. im Zusammenhang mit diesen Einrichtungen waren über einen geheimnisvollen Whistleblower namens Joe Doe zunächst der „Süddeutsche Zeitung“ zugespielt worden. Ein internationales Konsortium von Zeitungen und Rundfunkanstalten machte sich an die Auswertung dieser Datenmasse und verbreitete im Frühjahr unter dem Stichwort „Panama Papers“ erste Ergebnisse.
Die Putin-Connection
Die Geschichte erregte zunächst riesiges Aufsehen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil damit auch einige bekannte Namen von Politikern im Zusammenhang mit diesen Dokumenten aufgetaucht waren – unter anderen der damalige britische Premier Cameron, der isländische Regierungschef und der argentinische Präsident Macri. Als politisch spannendste Verbindung bei dieser Story erschien zunächst diejenige zum Kremlchef Putin. Kein Wunder, dass viele Zeitungen ihre Berichte in Sachen Panama Papers denn auch mit dieser Putin-Connection aufmachten.
Das ist journalistisch verständlich, denn die Rechercheure hatten zutage gefördert, dass über die zahllosen Briefkastenfirmen, die die in Panama angesiedelte Anwaltsfirma Mossak Fonseca aufgegleist hatte, mehr als zwei Milliarden Dollar von Leuten aus dem engeren Umkreis Putins geschleust worden sind. Zwar taucht der Name des russischen Präsidenten selber in den durchgeackerten Dokumenten nicht auf. Dafür aber neben andern bekannten Personen aus Putins Umfeld besonders häufig dessen Freund seit Jugendzeiten in Petersburg, der Cellist Sergei Roldugin. Mindestens drei unter den aufgedeckten Briefkastennamen lauten auf seinen Namen. Gemäss diesen Papieren hat er über diese Firmen Transaktionen von Dutzenden von Dollarmillionen abgewickelt.
Abgeflauter Informationsfluss
Interessanterweise hat Putin ein paar Tage nach diesen Enthüllungen solche Geschäfte Roldugins sogar bestätigt, dies aber teilweise mit dem Kauf kostbarer Musikinstrumente begründet, die er dem russischen Staat schenken wolle. Beim gleichen Auftritt behauptete Putin kühl, der ganze Rummel um die Panama Papers sei eine hauptsächlich amerikanisch orchestrierte Geheimdienst-Verschwörung. Da die „Süddeutsche Zeitung“ bei dieser Geschichte eine führende Rolle spielt, fügte er passenderweise hinzu, es sei ja bekannt, dass diese Zeitung Teil einer Medienholding sei, die der US-Bank Goldman Sachs gehöre. Zu diesem letzteren Punkt erklärte der Kremlsprecher tags darauf, er bedaure, dass er diese falsche Behauptung ungeprüft an den Präsidenten weitergegeben habe.
Seit jenem Frühjahrswirbel ist es in den Medien ziemlich still geworden um die Panama Papers. Der isländische Ministerpräsident ist deswegen zwar zurückgetreten und in einer Reihe von Ländern wurden offizielle Untersuchungen angekündigt. Die Erwartungen auf schonungslose Aufklärung von dieser Seite sollte man besser auf bescheidenem Niveau ansetzen. Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der Schweizer Rechtsprofessor Mark Pieth, zwei prominente Mitglieder einer Expertenkommission, die das Finanzsystem in Panama kritisch durchleuchten soll, sind Anfang August zurückgetreten. Sie protestierten mit diesem Schritt gegen die Weigerung des panamaischen Präsidenten, eine Veröffentlichung des Expertenberichts zu garantieren.
Mehr und genauere Fakten, bitte
Unser Interesse gilt aber vielmehr den Medien, die die ihnen zugespielten Panama Papers durchforstet und im Frühjahr an die grosse Glocke gehängt haben. Wo sind weitere und vertiefte Auskünfte über die versteckten Geschäfte und Steuermanipulationen, die die ermittelten Personen von Cameron bis zu den Putin-Freunden über die dubiosen Briefkastenfirmen abgewickelt haben? Dass dieses Panama-Netzwerk existiert und dass damit lichtscheue Finanzmanöver abgewickelt wurden, haben einige der involvierten Profiteure und deren Spezis bis hin zu Putin ja bestätigt.
Doch man möchte mehr und Genaueres darüber wissen. In welchen Jahren hat der Putin-Freund Roldugin seine Briefkastenfirmen eröffnet? Gibt es in den 11,5 Millionen Dokumenten, die die rund 400 Journalisten der an der Aufklärung beteiligten Zeitungen durchforsten, nähere Informationen darüber, ob dieser Roldugin tatsächlich so teure Musikinstrumente gekauft hat, aus welchen Konten seine Briefkastenfirmen gespeist wurden, welche Schweizer Finanzdienstleister in welchem Auftrag und über welchen Zeitraum hinweg in dem verschlungenen Panama-Netzwerk agiert haben.
Steilpass für Verschwörungstheoretiker?
Fragen über Fragen. Darf man annehmen, dass die der Durchleuchtung der Panama Papers angeschlossenen Medien – in der Schweiz ist es die „Sonntagszeitung“, in Grossbritannien der „Guardian“ und die BBC , in Frankreich „Le Monde“, in Russland die „Nowaja Gaseta“ – dazu Stellung beziehen werden? Wenn dies nicht geschieht, steht zu befürchten, dass der Sturm um die Panama Papers mehr oder weniger folgenlos bleiben und halb vergessen wird. Verschwörungstheoretiker und Demagogen aller Art werden dann mit Gusto und mit dem Beifall von Kreml-Propagandisten behaupten, die Aufregung um die Panama Papers sei ein weiteres Beispiel dafür, wie „die Mainstream Medien“ als „Lügenpresse“ funktionierten.