Kaum hatte die UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit Palästina politisch aufgewertet, verkündete die israelische Regierung den Bau von 3000 weiteren Wohneinheiten in Ost-Jerusalem und in der Westbank sowie die Realisierung der Verbindungsstrecke E-1 zwischen Jerusalem und Maale Adumim, der Großsiedlung mit mehr als 36'000 Einwohnern. Der Ausbau würde die Westbank endgültig in einen Nord- und einen Südteil zerschneiden.
Während Guido Westerwelle zur Begründung der deutschen Stimmenthaltung in New York noch Zweifel daran äußerte, ob der palästinensische „Schritt zum jetzigen Zeitpunkt dem Friedensprozess dienlich sein kann“, durfte er sich mithin umgehend bestätigt sehen – freilich von Benjamin Netanjahu. Der Außenminister servierte ihm eine zusätzliche Vorlage, als er die sorgsame Formulierung „Non-member Oberserver State“ mit „‘Nicht-Mitglied-Beobachter-Status‘ der Palästinensischen Behörde“ übersetzte. Jenseits dieser Eigenwilligkeit vergaß der Amtschef nicht den Hinweis auf die „umfangreiche Hilfe für den Aufbau staatlicher Strukturen der Palästinensischen Behörde“ (sic).
Westerwelles Interpretation bestätigt, dass die deutsche Staatsräson wider alle Rhetorik die palästinensischen Gebiete einschließt. Anders ist das Mantra an die Adresse von Machmud Abbas nicht zu verstehen, unverzüglich in Verhandlungen mit Israel einzutreten, obwohl sie mit der Anerkennung der „facts on the ground“ beginnen müssten. Nicht von ungefähr bemühte sich die israelische Regierung, die UN-Abstimmung politisch herunterzuspielen und sie als eine lediglich technische und prozedurale Angelegenheit zu werten.
Indem der Antrag aus Ramallah weder auf die Vermeidung von Verhandlungen noch auf die Delegitimierung des Staates Israel abzielte, sondern die Anerkennung des Staates Palästina voranbringen sollte, stellte er das Bekenntnis zur Selbstbestimmung und zur Unabhängigkeit in dem 1967 besetzten Territorium mit der Hoffnung in den Mittelpunkt, dass der gegenwärtige Minderstatus eines Tages in die UN-Vollmitgliedschaft übergehen möge – wenn sich bis dahin die Option eines eigenen Staates nicht endgültig erledigt hat.
Denn Israels UN-Botschafter Ron Prosor begründete das Nein seiner Regierung nicht nur mit den „lebenswichtigen Sicherheits- und nationalen Interessen“ seines Landes, sondern ließ es sich nicht nehmen, „das 4.000 Jahre alte Band zwischen dem Volk Israel und dem Land Israel“ zu betonen. Aus dem Jahr 2005 ist vom damaligen israelischen Premier Ariel Sharon die Ankündigung überliefert „Gaza zuerst – Gaza zuletzt“. Außenminister in Berlin war Joschka Fischer. Hamas-Führer Khaled Meshal hat zwar das außenpolitische Verhandlungsmandat an Abbas abgetreten, aber solange die Siedlungspolitik, die amtlichen Schikanen und die Gewalt von Siedlern anhalten, wird sich Hamas den Einsatz von Granaten und Raketen vorbehalten.
„Staat“ oder „Nichtstaat“: Das ist hier die Frage
Der politisch erkämpfte Beobachter-Status öffnet für die Palästinenser den Zugang zu allen UN-Unterorganisationen und berechtigt sie zu internationalen Verträgen. Dagegen muss vor dem palästinensischen Interesse, gegen israelische Staatsbürger wegen behaupteter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu ziehen, die Frage beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen Den Haag tätig werden kann. Im Zweifelsfall wird sich zeigen, ob der Primat der Politik in Gestalt der UN-Vollversammlung stärker ist als juristische Maßgaben, zumal da das internationale Recht in der Gefahr steht, regelmäßig überdehnt zu werden. Die Libyen-Resolution 1973, die keinen „regime change“ legitimieren wollte, ist das jüngste Beispiel, das im Falle Syriens eine Verständigung im UN-Sicherheitsrat blockiert.
Der Beobachterstatus garantiert noch keine ICC-Mitgliedschaft. Bis die nationale Souveränität über ein definiertes Territorium den Palästinensern zuerkannt ist, unterliegt Israels Handeln in den Gebieten nach 1967 gemäß dem „Römischen Statut“ nicht der Haager Rechtsprechung – es sei denn, a) Israel würde dem ICC beitreten oder ad hoc der Einleitung eines Verfahrens zustimmen; b) die Haager Anklage würde die Vergehen als äußerst schwere Verbrechen gegen das internationale Recht bewerten, oder c) der Sicherheitsrat würde israelische Vergehen an den Gerichtshof verweisen. Hier offenbart sich das Versäumnis des obersten UN-Gremiums einmal mehr, den völkerrechtlichen Status der palästinensischen Gebiete zu klären.
Doch immerhin ist für die Palästinenser mit dem 29. November erstmals der völkerrechtliche Topos „Staat“ verbürgt. Welche Konsequenzen dieses Institut nach sich zieht, wird sich zeigen. Zu wünschen wäre, dass Israel aus eigenem Interesse am Frieden mit seinen Nachbarn reinen Tisch macht. Bis es dazu kommt, werden die Regierungen in Jerusalem die Staatengemeinschaft weiter vor sich hertreiben, allen voran die USA und die Bundesrepublik. Am 05./06. Dezember findet in Berlin die vierte deutsch-israelische Konsultationsrunde statt.