Kofi Annan hatte einen neuen Plan ausgearbeitet. Die Hoffnung war, dass sich alle an Syrien interessierten Mächte darauf einigen könnten. Wenn sie sich wirklich soweit geeinigt hätten, dass sie gemeinsam zur Durchsetzung dieses Planes hätten schreiten können, hätte man auf ein Ende der syrischen Wirren zu hoffen gewagt.
Doch was geschah, war nur eine verbale Übereinkunft, hinter der sich weiterhin gegensätzliche Meinungen gegenüber der syrischen Tragödie verbergen. Die verbale Übereinkunft lautet "die Syrer sollen ihre Probleme unter sich lösen. Sie sollen bestimmen, wie die Übergangsregierung aussehen soll, die einen Übergang zu einer künftigen demokratischen Regierung zu bewerkstelligen hat". Doch die wichtigste Frage, über die die Syrer blutig streiten, wurde nicht beantwortet: "Soll das Asad-Regime gehen oder bleiben!"
Die russische Formel
Vor allem Russland setzte sich dafür ein, dass das Asad-Regimes bleiben soll. Die russische Formel lautet, die Syrer selbst hätten die Zukunft ihres Landes zu bestimmen, keine äusseren Mächte. Auf diese Formel hat man sich nun "geeinigt". Doch diese Formel übersieht den Umstand, dass das Asad-Regime heute mit extremer Gewalt über Syrien herrscht. Sollen die Syrer "selbst" unter der Fuchtel ihrer 13 Geheimpolizeien ihre Zukunft bestimmen?
Rücktrittsforderung der USA
Die USA setzen sich für einen Rücktritt Asads ein. Doch sie tun dies nicht am lautesten. Diese Rolle haben Saudiarabien und Qatar übernommen - und in ihrem Schlepptau die Mehrheit der Arabischen Liga. Diese Mehrheit bringt allerdings wenig. Die Arabische Liga kann nur einstimmig Beschlüsse fassen. Sie ist deshalb gelähmt.
Die Russen setzen sich durch
Kofi Annan hatte den springenden Punkt der Syrien-Diplomatie in vorsichtige, diplomatische Worte gefasst. Sein neuer Plan forderte eine Übergangsregierung in Syrien, von welcher "jene ausgeschlossen sein sollen, deren Präsenz und Mitwirkung die Glaubhaftigkeit des Übergangs untergraben und Stabilität und Versöhnung in Gefahr bringen könnte." Wer diejenigen sind, sagte Annan nicht. Doch die syrischen Aufständischen hatten bereits im Vorfeld der Konferenz erklärt, bevor Asad gehe, seien keine Verhandlungen möglich, und seine Ausschlussformel konnte man sehr wohl als eine diplomatische Umschreibung der Notwendigkeit ansehen, dass Asad zurücktreten müsse.
Doch diese Formel Annans steht nicht mehr in der "Übereinkunft", der Staaten von Genf. Die Russen und ihre Freunde haben durchgesetzt, dass sie verschwand.
"Banden" gegen "Gewaltregime"
Die zentrale Frage im syrischen Bruderkrieg bleibt: Wer sind die "eine Wiederversöhnung verhindernden Personen und Mächte". Die Pro-Regime-Seite antwortet: "Banden", die Asad-kritische: "Das Asad-Regime". Diese Grundfrage wird bleiben, solange beide Seiten in dem syrischen Ringen der Ansicht sind, sie seien in der Lage, den Konflikt zu gewinnen, und solange beide Seiten in Syrien von ihren jeweiligen äusseren Freunden und Stützen in ihrer Ansicht bestärkt werden.
Iran fehlt und wiegt umso stärker
Ein besonderer Schönheitsfehler von Genf war, dass eine der wichtigsten Stützen des Asad-Regimes nicht eingeladen wurde: Iran. Kofi Annan hatte eine iranische Beteiligung gewünscht, doch die USA scheinen sie ausgeschlossen zu haben. Iran ist ein alter und wichtiger Verbündeter des Asad-Regimes, dies nun schon seit 33 Jahren unter Vater und Sohn Asad. Iran ist wahrscheinlich in den praktischen Fragen, Dingen wie Unterstützung mit Waffen, Geld, Erfahrung im Niederhalten einer widerspenstigen Bevölkerung, der aktivere Partner des Regimes als Russland. Nur wenn Russland und Iran gleichzeitig Damaskus bedeutet hätten, ihre Hilfe für das Regime könnte aufhören, hätte das möglicherweise die Siegesgewissheit Asads und seiner Armee- und Sicherheitsdienste zu dämpfen können. Ohne die Mitwirkung Irans konnte man in Genf von vorneherein nicht hoffen, Asad das Gruseln zu lehren. Doch Genf hat gezeigt, dass auch Russland noch immer nicht bereit ist, seine schützende Hand von dem Asad-Regime abzuziehen.
Wie weit hängt das Regime an Asad?
Eine Grundfrage, welche die heutige Syrien-Diplomatie völlig übergeht, ist die Frage, was denn die Geheimdienste und die Armeeführung Asads unternehmen würden, wenn Asad wirklich zurückträte. Ist es realistisch anzunehmen, sie würden alle ihre Gewehre und Folterwerkzeuge in eine Ecke stellen und nach Hause gehen? Man müsste vielmehr erwarten, dass sie weiter kämpfen würden. Das Wohl Syriens wird ihnen viel weniger wichtig sein, als das Wohl ihrer Gemeinschaft, jener der Alawiten. Und noch mehr werden sie an ihr eigenes Überleben denken.
Ein alawitischer Sicherheitsstaat ohne Asad?
Sie würden sich wahrscheinlich einer improvisierten Führung aus ihren eigenen Kreisen unterstellen, vielleicht fänden sie sogar irgendeinen engen Verwandten Asads, der bereit wäre, ihnen als neue Galionsfigur zu dienen und die bisherige, Präsident Baschar al-Asad, zu ersetzen.
Die Armee würde in diesem Falle gewiss beschleunigt weiter bröckeln. Alle Nicht-Alawiten würden versuchen, sie zu verlassen. Doch weiterhin unter Lebensgefahr, denn die Alawiten würden die schweren Waffen und die Armeepolizei zunächst unter ihrer Kontrolle behalten.
Ende mit Schrecken oder Schreck ohne Ende?
Am Ende würde sich die alawitische Sicherheits- und Krieger-Elite wohl schwerlich gegen die 70 Prozent der Bevölkerung halten können, die zu den Sunniten gehören. Doch sie würde wahrscheinlich bis zum bitteren Ende kämpfen. Lang andauernde, zähe Bruderkämpfe würden die Gefahr bringen, dass auch auf der Gegenseite, die härtesten und die fanatischsten Gruppen auftrumpfen: die sunnitischen Jihadisten und Selbstmordbomber.
Nuancen des Bürgerkrieges
Man kann sagen: gegenwärtig herrscht ein maskierter Bürgerkrieg, weil das Asad-Regime versucht, eine staatliche Normalität wenigsten ausserhalb der jeweiligen Kampfzonen aufrecht zu erhalten, und weil auf der Gegenseite die Rebellion immer noch, so gut sie kann, an den gewaltlosen Protesten festzuhalten versucht, mit denen ihre Bewegung begann.
Die internationale Diplomatie trägt das ihrige zu dieser Maskierung bei. Sie findet unverbindliche Formeln, die ihr erlauben, die internationalen Gegensätze zu verstecken. Was sie unter diesen Formeln verbirgt, ist der Umstand, dass weiterhin die Russen und ihre Freunde Asad unterstützen und die Gegner des Regimes, im Westen und in wichtigen (weil schwer reichen) Teilen der arabischen Welt, seinen Sturz anstreben. Die Verschleierungsbemühungen der – gespaltenen - internationalen Welt haben damit zu tun, dass beide Seiten, die "Freunde Syriens" und die "Verteidiger des Regimes", es vermeiden wollen, und es bisher auch vermieden haben, direkt und offen in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen.
Der maskierte Bürgerkrieg innerhalb Syriens würde in einen vollen landesweiten und offenen Bürgerkrieg umschlagen, wenn Asad ginge, aber wenn seine Armeeführer und Sicherheitsleute weiter zu kämpfen versuchten. Der offene Krieg würde zunächst noch grausamer und verlustreicher ausfallen als der gegenwärtige maskierte. Doch der maskierte droht länger zu dauern und droht Syrien deshalb auf längere Frist nicht weniger Leid und Schaden zu bringen.