Monique Siegel ist keine jener verstaubten Feministinnen, die alle Schuld bei den Männern sieht und ihnen den Marsch bläst. Eigentlich bläst sie den Frauen den Marsch.
Die Frauen hätten einen Megatrend gestartet: „Female Shift“. Darunter versteht die Autorin „eine unaufhaltsame Verlagerung von Kompetenzen, Einflussnahme und Entscheidungsverantwortung von den Männern zu den Frauen“.
Auf der ganzen Welt hätten junge Frauen ihre männlichen Zeitgenossen in Bezug auf Bildung überholt, stellt Monique Siegel in ihrem neuesten Buch fest *). Jetzt stünden viele „hervorragend ausgebildete, engagierte und ambitionierte Frauen für anspruchsvolle und gutbezahlte Arbeitsplätze zur Verfügung“.
Doch anstatt stolz darauf zu sein und endlich Forderungen zu stellen und ihren Einfluss geltend zu machen, verfolgten viele Frauen noch immer „eine Strategie der Anpassung“. Anstatt das System in Frage zu stellen, duckten sie sich.
Fleissige Frauen, apathische Männer
Statt ihre Bildung und ihre Fähigkeiten auszuspielen, würden sich die Frauen stets unüberhörbar beklagen. „Geradezu masochistisch“ würden sie auf Statistiken starren, die immer noch zeigen, wie untervertreten Frauen in Führungsetagen sind – „als ob die weibliche Berufswelt nur aus Geschäftsleitungs- und Vorstandsmitgliedern bestünde.“
Noch nie seien so viele Frauen so hervorragend ausgebildet gewesen, stellt die Trendforscherin Siegel fest. Sie stünden heute einer eher apathischen jungen Männergeneration gegenüber – Männer, „deren Demotivation und Antriebslosigkeit“ die Frauen „hinsichtlich schulischer Leistungen und anschliessender Ausbildung kaum konkurrenzfähig macht“. Siegel zitiert einen Zeitungsartikel: „Fleissige Mädchen und gamende Knaben“.
Selbst in Iran hätten heute 70 Prozent aller jungen Frauen einen Hochschulabschluss. Die Männer würden bildungsmässig stark zurückliegen.
Anpassung an ein kaputtes System
Frauen hätten ein Geschenk bekommen, das sie noch nicht ausgepackt und dessen Wert sie noch nicht erkannt hätten. Das Loslassen von über Jahrzehnten und Jahrhunderten antrainierten Bewusstseinsstrukturen „dauert seine Zeit“.
Siegel behandelt detailliert alle Themen, die bei diesen Diskussionen immer wieder aufkommen: Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie, Betreuung von Kindern, Krippenplätze, Frauenquote etc.
Den Geschlechterkampf bezeichnet sie als „unverständlich. Weil Frauen glaubten , sie müssten mit Männern konkurrieren, passen sie sich nach wie vor einem kaputten System an, anstatt es „aus der Pole-Position heraus in Frage zu stellen“.
Noch immer gebe es Frauen, die die Machtspiele der Männer mitspielten und mit Statussymbolen protzten. Sie zitiert eine dieser Frauen, die sagt: „Man sinkt im Ansehen, wenn man nicht mitmacht. Man wird von den Männern nicht als gleichwertig anerkannt, wenn man ein kleineres Auto fährt und im kleineren Büro sitzt“. Es käme dieser Frau offenbar nicht in den Sinn, schreibt Siegel, dieses Theater zu hinterfragen.
"Männer allein schaffen das nicht"
Siegel ist auch überzeugt, dass es der Wirtschaft besser ginge, wenn mehr Frauen am Ruder wären.
Frauen seien „aufgrund ihrer anderen Lebensentwürfe und ihrer traditionellen Vielseitigkeit sowohl näher an den Mitarbeitenden als auch näher an den Konsumenten“.
Frauen hätten einen längeren Überlebenskampf hinter sich. In dessen Verlauf seien sie mit einer Vielfalt von Menschen und Problemen konfrontiert gewesen. Sie hätten Lösungen finden müssen. Sie haben gelernt zu verhandeln und kreativ auf Unvorhergesehenes zu reagieren.
Siegel zitiert den Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx: „Nur wenn die Frauen ihren Siegeszug auf dem Arbeitsmarkt fortsetzen, könnte sich die Konjunktur dauerhaft erholen. Männer allein schaffen das nicht“.
Was brauche es eigentlich noch, fragt Monique Siegel, „bevor sich in der Businesswelt die Erkenntnis durchsetzt, dass gemischte Teams an der Spitze eines Unternehmens profitabler sind als männliche Monokulturen“.
Doch Siegel ist keine Träumerin, sie kennt die Widerstände. „Es scheint, dass die derzeitigen Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen in den grossen Firmen ihre Macht nicht teilen wollen, selbst wenn es der Firma mit gemischten Teams besser ginge. Good governance?“
„Frauen, wacht auf!“ ist die Botschaft des kämpferisch und farbig geschriebenen Buches. Die Autorin richtet sich immer wieder an die „lieben Leserinnen“. Eigentlich sollte sie sich vor allem auch an die „lieben Leser“ richten.
*) Monique R. Siegel: War's das schon? Wie Frauen ihre Chance verpassen, Orell Füssli, September 2014, CHF 26.90, ISBN 978-3-280-05550-2
Dr. phil. Monique R. Siegel, geboren in Berlin, studierte Anfang der 1960er in den USA. Seit 1971 lebt sie in Zürich. Sie gründete unter anderem das internationale "Management-Symposium für Frauen" und zählt zu den bekanntesten Wirtschaftsethikerinnen und Trendspezialistinnen der Schweiz. www.siegel.ch