Wer hinter dem Titel des eben erschienenen Ogi-Buchs grosse Enthüllungen oder gar eine Abrechung mit politischen Gegnern vermutet, wird enttäuscht. Und da sei die Frage erlaubt, ob es ein 7. Buch über den alt Bundesrat braucht. Die Lektüre lohnt sich alleweil: Persönliche Details und noch unbekannte Fakten finden sich – reich illustriert - in dieser Hommage zum 70. Geburtstag von Dölf Ogi.
„Nicht nur besitzt er aussergewöhnliche Führungsqualitäten, er hat auch ein echtes Interesse an Menschen und die Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen“, schreibt kein Geringerer als Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär und Freund Ogis im Vorwort. Und tatsächlich: Ogis Popularität und Präsenz in der Öffentlichkeit sind auch heute noch so, wie wenn er eben erst aus dem Bundesrat ausgetreten wäre und nicht bereits über zwölf Jahr dazwischen liegen. Oder wie die Schweizer Illustrierte auf der Titelseite schreibt: „Ogi beliebt wie nie!“.
Bloss ein Jubelband?
Marc Walder, CEO und Vorsitzender der der Konzernleitung Ringier AG – die zusammen mit Weltbild das neue Ogi-Buch verlegt – ergänzt: „Das liegt an seinem Chrisma. Er mag die Menschen – und die Menschen mögen ihn. Er ist glaubwürdig, authentisch“.
Aber: Braucht es deswegen ein siebtes Ogi-Buch? Die Frage geht an den Autor und ehemaligen Bundeshausjournalisten Georges Wüthrich: „Es gab bis heute noch keine zusammenhängende Biografie. von der Gegenwart bis zurück in die Kindheit. Es ist eine autorisierte Biografie, die den Vorteil hat, dass Ogi seine Familienalben, sein Privatarchiv öffnet und seine persönlichen Erinnerungen frei gibt“. Und Dölf Ogi selber bestätigt, was an diesem neusten Werk wirklich neu ist: „Unveröffentlichte Anekdoten, unveröffentlichte Geschichten, unveröffentlichte Bilder, Dinge, bei denen ich allein dabei war und kein Journalist darüber berichtet hat.“
Also keine Enthüllungen von Staatsgeheimnissen, sondern bisher unbekannte Einzelheiten aus einem engagierten Leben und damit wohl das ehrlichste und authentischste aller Ogi-Bücher.
Als Delamuraz sein Rücktrittsschreiben zerriss…
Eine bisher unbekannte Episode war zum Beispiel, als Delamuraz, durch eine für ihn höchst unbefriedigende Departementszuteilung im März 1993, sein Rücktrittsschreiben bereits schriftlich abgefasst hatte und Bundespräsident Ogi ihn bei einem nächtlichen privaten Besuch dazu brachte, es zu vernichten: „Ogi weist ihn immer wieder an, den Brief in noch kleinere Stücke zu zerreissen. Damit er ihn nicht wieder zusammensetzen kann“.
Oder wie der alt Bundesrat den damals durch öffentliche Proteste höchst erzürnten chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin besänftigen konnte und ihm zur endgültigen Versöhnung spontan jenen Bergkristall schenkte, den er meistens in seiner Hosentasche trug.
Interessant auch zu lesen - und in der beiliegenden DVD zu sehen und zu hören, wie Ogi mit seinem verunglückten "Arena"-Auftritt zur Alpeninitiative umgeht, was hinter der berühmt-berüchtigten verschneiten Neujahrsansprache zum Jahrtausendwechsel vor dem Lötschberg-Nordportal stand und wie im Sommer 1992 ihm ungeplant-zufällig jenes Bonmot „Freude herrscht“ entfuhr, das später nolens volens zu einem nachhaltigen Markenzeichen wurde.
Neben zahlreichen Begegnungen mit vielen Grossen dieser Welt, wird im Buch auch das fast innige Verhältnis des SVP-Bundesrats Ogi zu seiner SP-Kollegin Ruth Dreifuss gezeigt, obwohl sie „keine politischen Zwillinge“ waren.
Unterschätzter UNO-Friedenseinsatz
Ausgiebig korrigiert das Buch sodann das Bild von Ogis Engagement als UNO-Sonderbeauftragter für Sport, Frieden und Entwicklung. Eine Berufung von „Dolfi“ für dieses Mandat durch Kofi Annan - das symbolisch mit einem Dollar pro Jahr entschädigt wird…
Noch heute ist alt Bundesrat Ogi überzeugt, dass sein UNO-Einsatz in der Schweiz zu wenig wahrgenommen wurde. Etwas enttäuscht meint er zu Journal21: “Die Bedeutung dieses Auftrags hat man hier nicht zur Kenntnis genommen, wollte man auch nicht zur Kenntnis nehmen. Zum Glück kam jetzt mal einer von New York und hat gesagt, wie der Ogi dort gearbeitet hat. Da kamen die Chinesen, die Russen, die Amerikaner, Afrikaner und Europäer – die Schweiz hat das gar nicht richtig wahrgenommen“.
Peter Maurer, früher Staatssekretär, Schweizer Missionschef bei der UNO und seit einigen Tagen Präsident des IKRK, doppelt nach: „Dort habe ich das ‚animal politique’ Dölf Ogi kennengelernt. Ihm gelang es, konkrete Projekte in die Wege zu leiten, Fussballspiele von grossem symbolischen Wert, z.B. zwischen Israeli und Palästinensern, zwischen Indern und Pakistani, das Verteilen von Fussbällen an Slumkinder. Dabei entstehen andere, wichtige politische Koalitionen, das läuft nicht mehr nach dem Schema rechts-links, nord-süd, oben-unten.“
Nicht mehr im Sandwich zwischen Fleisch und Käse
Der leicht ergraute Volksliebling, der am 18. Juli seinen 70. Geburtstag feiert und mittlerweile auch eine Lesebrille benützt, ist etwas stiller und nachdenklicher geworden, vor allem, wenn er die Rolle der heutigen Schweiz international betrachtet.
Im Sonntags-Blick sagte er kürzlich: „Wir müssen aussenpolitisch aus der Defensive herausgehen und zu den umliegenden Staaten sowie England und Amerika wieder gute Beziehungen aufbauen. Sie beschäftigen sich mit sich selber und kümmern sich nicht mehr um uns. Wir sind nicht mehr das Land der guten Dienste, das Helmut Kohl und François Mitterand liebten. Unsere Sandwich-Position – nahe am Fleisch, nahe am Käse – ist weg. Sarkozy kam nie in die Schweiz. Frau Merkel hat kaum Zeit für uns. Obama war nie hier“. Als eine mögliche Lösung sieht Ogi, die Bundespräsidenten in der Schweiz auf drei, vier Jahre zu wählen.
Ogi berührt mit Gefühlen
Ein weiteres Geheimnis der Ogi’schen Beliebtheit und Akzeptanz bei breiten Bevölkerungskreisen: Er kann Gefühle zeigen. Dass ein NZZ-Redaktor ihm seinerzeit schrieb, er habe zuwenig intellektuelles Potential zum Bundesrat, dass die Prüfung in die Sekundarschule misslang, dass man nie richtig zur Kenntnis nahm, wie er sich später weitgebildet hat: All das hat ihn im stillen Kämmerlein mehr gekränkt, als die Öffentlichkeit wahrgenommen hat. Geholfen hat ihm ein Wort seines Vaters, als er ihm - bei der Bundesratswahl - den „Unterschied zwischen Intelligenz und Weisheit aufgezeigt“ hat. Auch dass er später ausgerechnet im Sport nicht als IOK-Mitglied gewählt wurde, wurmt ihn. Ogi steht zu diesen Gefühlen.
Am meisten getroffen in seinem Leben hat ihn jedoch der frühe Tod seines Sohnes Mathias, der vor drei Jahren noch jung an einem heimtückischen Krebsleiden starb. Ogi kann das noch immer nicht akzeptieren und steht zu seiner Trauer. Noch heute kriegt er feuchte Augen, wenn er davon spricht. Dies macht Volks-Dölf so menschlich, so beliebt und so greifbar nah. Das Buch ist Sohn Mathias gewidmet.
Georges Wüthrich (Text) / André Häfliger (Bildredaktion) Dölf Ogi So wa(h)r es! inkl. DVD „Ogi hie, Ogi da“ (40 Min.) Ringier AG (Schweizer Illustrierte) und Weltbild-Verlag ISBN 978-3-03812-427-6