Die Amerikaner sind eigentlich an allem schuld. Sie wollen Russland strangulieren und riskieren einen grossen Krieg. Die USA sind schuld an der Flüchtlingsmisere im Mittelmeer, am Krieg in Syrien und im Irak, am Auseinanderbrechen Libyens und am Erstarken des „Islamischen Staats“.
Dass die Flut von Zuschriften zum grossen Teil gesteuert ist, nicht nur von St. Petersburg aus, wissen wir: oft gleicher Tenor, gleiche Formulierungen, gleiche Hetze.
Obama ist einerseits der bad guy, der dreckige Gringo – und anderseits eine lahme Ente und ein Schaumschläger. Auch besonnene Menschen im Westen waren enttäuscht von Obama. Manche seiner Versprechen hat er nicht eingelöst. Und die NSA-Spionagegeschichte ist tatsächlich keine nette Geschichte und zeugt von einer ungezügelten Arroganz amerikanischer Kreise. Man spioniert keine Freunde aus.
Und doch: Jetzt erstaunt der Mann im Weissen Haus. Selten wirkte er so entspannt wie in jüngster Zeit. Gegen Ende seiner Amtszeit hat er nichts mehr zu verlieren. Er muss nicht wiedergewählt werden; er muss es nicht mehr allen recht machen. Jetzt hat er Dinge zustande gebracht, die vor ihm keiner schaffte. Endlich haben die USA die lächerliche 54-jährige Embargo-Politik gegen Kuba aufgehoben. Obama schaffte auch eine Gesundheitsreform, an der sich die Clintons die Zähne ausbissen.
Und endlich auch gibt es ein Abkommen mit Iran, auch wenn Netanjahu und jüdische Kreise dagegen Sturm laufen. Das kümmert den Präsidenten nicht mehr. Auch wenn das Atomabkommen im Kongress scheitert, wird der Präsident das Veto einlegen – und dieses wird kaum überstimmt werden können. Doch selbst wenn die USA dem Abkommen nicht zustimmen: die andern Mächte, die an den Atomverhandlungen teilnahmen, werden das Abkommen einhalten und mit Iran ins Geschäft kommen.
Unter Obama hat das Oberste Gericht auch grünes Licht für die Schwulenehe gegeben. Ein „historisches Ereignis“ für das konservative Land. Und wenn Obama jetzt noch, wie es Anzeichen gibt, sein Versprechen endlich einlöst und Guantanamo schliesst, wird er wohl doch als markanter Präsident in die Geschichte eingehen – dem Geheul der orchestrierten Leserbriefschreiber zum Trotz.