Die Flüge von Bangkok in die Hafenstadt Yangon sind bis auf den letzten Platz belegt. Auch Inlandflüge, etwa in die Wirtschafts- und Kultur-Metropole Mandalay, sind ausgebucht. Die Hotels sind reserviert bis zum letzten Bett zu mehr als doppelt so hohen Preisen wie vor einem Jahr. Hotelprojekte internationaler Ketten spriessen wie Pilze nach dem Monsoon landauf, landab aus dem Boden.
Obama und O-Bamar
Geschäftsleute mit wohl zu grossen Profithoffnungen geben den Ton an. Aber auch der Touristenstrom hat sich in nur einem Jahr seit dem letzten Besuch zu einem wild fliessenden Gewässer entwickelt. Allein im November besuchten nach offiziellen Statistiken 150'000 Ausländer Myanmar.
Der wichtigste Besucher im November war natürlich US-Präsident Obama. Er wurde während seines sechsstündigen Besuchs in Yangon von der Fähnchen schwenkenden Bevölkerung wie ein Popstar gefeiert. Die burmesischen Tageszeitungen titelten auf den Frontseiten mit riesigen Lettern: „O-Bamar“, was so viel heisst wie O Burma. T-shirts mit dem Konterfei des amerikanischen Präsidenten fanden reissenden Absatz.
Burmesisch ein Faux-pas
Myanmars Reform-Präsident und Ex-General Thein Sein buchte mit staatsmännischer Würde einen diplomatischen Erfolg. Im Fokus der westlichen Medien stand natürlich die Begegnung von Obama mit der Friedensnobelpreisträgerin und Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi. Das Blitzlichtgewitter der Photographen hielt den Moment fest, als Obama im Überschwang wohl der Gefühle Suu Kyi ein Küsschen links und ein Küsschen rechts auf die Wange drückte. Im burmesischen kulturellen Umfeld ein Faux-pas sondergleichen.
Doch die eingeflogenen Journalisten und Photographen liess das kalt, das heisst sie merkten es nicht einmal. Obamas Besuch signalisierte den Bewohnern Myanmars und der Welt, dass Burma erfolgreich von der amerikanischen „Achse des Bösen“ auf die „Achse des Guten“ transferiert worden ist.
Die Chinesen nehmen es gelassen
Obamas Besuch freilich galt nicht nur der neu entdeckten Demokratie. Der amerikanische Präsident wollte vielmehr im Zuge seiner vor einem Jahr neu formulierten Aussenpolitik mit Asien im Zentrum der Volksrepublik China ein Zeichen setzen. Die Chinesen nahmen es gelassen. Burma gehört seit Jahrhunderten zum direkten Einflussgebiet des Reichs der Mitte. Und wegen der Sanktionspolitik der USA und der Europäischen Union hat China, was das Business betrifft, heute einen Riesenvorsprung.
Dasselbe lässt sich von den Nachbarn Indien und Thailand sagen. Wenn die von grenzenlosem Optimismus bewegten westlichen Geschäftsleute das realisieren, werden sie sich die Augen reiben.
Auch ein Bundesrat war da
Natürlich gab es noch andere prominente Besucher im November, zumal Aussenminister vieler Länder, die plötzlich Myanmar entdecken. Auch Bundesrat Didier Burkhalter war da, um die neue Schweizer Botschaft zu eröffnen. Die Äusserungen des Schweizerischen Aussenministers waren internationale Dutzendware. Nur ein Jahr früher geäussert, wären sie sogar prophetisch gewesen. Doch eine mutige, vorausschauende Aussenpolitik lässt sich wohl nicht mit Neutralität vereinbaren.
Auf der positiven Seite kann die Schweiz mit Botschafter Christoph Burgener und der für Wirtschaft und Politik zuständigen Corrinne Henchos Pignani auf zwei Diplomaten zählen, die Myanamar realistisch beurteilen und dennoch vorsichtig optimistisch bleiben.
Auch Aung San Kyi war für Wahlboykott
Noch vor ein, zwei Jahren hätte die jetzige schnelle Entwicklung im Westen niemand für möglich gehalten. Schon gar nicht Experten und Kommentatoren westlicher Qualitätsmedien. Schliesslich, so die Argumentation, lebten Burmesinnen und Burmesen seit gut einem halben Jahrhundert unter der Fuchtel der Militärs. Die allgemeinen Wahlen Ende 2010 wurden deshalb kurzerhand als Fassade und Betrug abqualifiziert, was zu einem Teil auch zutraf. Auch Friedensnobelpreisträgering Aung San Suu Kyi, die betrogene Wahlsiegerin von 1990, diente als Referenz.
Sie und die Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) boykottierten den Urnengang und sprachen sich weiter gegen eine Aufhebung des Wirtschaftsboykotts durch die USA und die Europäische Gemeinschaft aus. Jüngere NLD-Vertreter nahmen jedoch unter dem Parteinamen „Nationale Demokratische Kraft“ an der Wahl teil. Zwanzig Jahre nach dem von den Militärs gestohlenen Wahlsieg, sagten sie, müsse sich endlich etwas bewegen.
Sie verzeichneten dann einen bescheidenen Wahlerfolg, der im Westen nicht zur Kenntnis genommen worden war.
Ein General schlüpft aus der Uniform
Immerhin, kurz nach der „Wahlfarce“ wurde Aung San Suu Kyi – in Myanmar liebvoll von allen die „Lady“ und „Tantchen Suu“ genannt – aus ihrem langjährigen Arrest in ihrem Haus an der University Road 54 in Yangon entlassen. Das war ein erstes Anzeichen für eine Lockerung des Regimes mit internationalem Paria-Ruf. Im März 2011 dann trat der ehemalige Premierminister und General Thein Sein sein Amt als vom Parlament in der Hauptstadt Naypyidaw gewählter Präsident an.
Than Shwe, General Nummer Eins, der seit 1992 Myanmar mit eiserner Faust regierte, zog sich in den Ruhestand zurück und überliess die Zügel seinem engen Gefolgsmann und Freund. Der entledigte sich der Generalsuniform und kleidete sich fortan in feinstes ziviles Tuch. Eine Zivil-Regierung also. Alles Fassade, alles Betrug – so der Tenor von Experten und Medienkommentatoren in Europa und Amerika. Ein genauerer Blick und Reisen nach Burma allerdings hätten schon damals genügt, um festzustellen, dass, wenn auch langsam und behutsam, etwas in Bewegung geraten ist.
Jetzt sitzt Suu Kyi doch im Parlament
Unterdessen hat sich in Myanmar Monat für Monat und in kleinen Schritten vieles verändert. Aung San Suu Kyi sitzt nach Nachwahlen im April als Oppositionsführerin mittlerweile selbst im Parlament. Suu Kyi bezeichnet heute Ex-General und Präsident Thein Sein als „ehrlich und vetrauenswürdig“. Schlagzeilen gab es im Westen immer wieder wieder bei der Freilassung eines Teils der rund zweitausend politischen Gefangenen. Die letzte Amnestie wurde kurz vor Obamas Besuch erlassen.
Andere Reformschritte dagegen erschienen kaum auf dem Radar der internationalen Presse. Erstaunlich, denn die sachte Öffnung der Medien mit mehr Pressefreiheit gingen unter, ebenso die Zulassung von Gewerkschaften und Versammlungsfreiheit. Dazu kam manche Wirtschaftsreformen. So fand kurz vor den Nachwahlen im letzten April die Währungsreform – ein ganz wichtiger, vom Internationalen Währungsfonds IMF begleiteter Schritt – in den westlichen Medien meist nur im Kleingedruckten statt.
Nachbarn investieren in Bodenschätze
Gerade die Währungsreform und das eben im November verabschiedete neue Investitionsgesetz aber sind ebenso wichtig wie die demokratische Reform. Ohne wirtschaftlichen Erfolg in einem der ärmsten Länder der Welt – werden auch Vertreter der Opposition nicht müde zu betonen – wird es in Myanmar niemals Demokratie geben.
Wer sich im Land umsieht, bemerkt bald, wie gross in den nächsten Jahren die Herausforderungen für die Regierung sind. Die Infrastruktur – Elektrizitäts-Netze, Strassen, Eisenbahnen und Flussschifffahrt – muss mit gigantischen Investitionen auf ein für eine moderne Wirtschaft adäquates Niveau gehoben werden. Myanmar ist im Prinzip ein reiches Land mit vielen Bodenschätzen. Die Nachbarn Thailand, Indien und vor allem China haben in Erdöl und Erdgas aber auch im Abbau von Kupfer grosse Investitionen getätigt.
Neue Presse- und Versammlungsfreiheit
Doch dank der neuen Presse- und Versammlungsfreiheit wird nicht mehr alles widerspruchslos hingenommen. Bei einer Demonstration gegen die geplante Monywa-Kupfermine in Sagaing bei Mandalay wurde auf zwei Punkte hingewiesen, die in den kommenden Jahren prägend sein werden. Zum einen die Kompensation für enteignetes Bauern-Land, zum andern Umweltverträglichkeit. Ein Drittes kommt hinzu: Schutz der Minderheiten.
Diese Gebiete winden sich wie ein Kranz um das burmesische Kerngebiet und macht einen Bevölkerungsanteil von rund dreissig Prozent aus. Alle drei Punkte spielen beim Bau von zwei Erdöl- und Gaspipelines durch die energiehungrigen Chinesen eine Rolle. Dank Internet und Mikroblogs wird jetzt neu auch in Myanmar mobilisiert.
**Tödlicher Konflikt zwischen Buddisten und Muslimen
Der Bau eines gigantischen Wasserkraftwerks im Norden, das Strom für China produzieren soll, wurde von Präsident Thein Sein selbst vorerst unterbrochen. Es soll weiter verhandelt werden, nicht zuletzt über den Schutz der dort ansässigen Minderheiten und über Landrechte. Der Konflikt im Rakhinestaat zwischen der buddhistischen Mehrheit und den rund 800'000 muslimischen Rohingyas, der seit Juni Tod und Verwüstung gebracht hat, ist noch immer ungelöst.
Selbst Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mag sich dazu nicht äussern. Ein Einstehen für die rechtlosen Rohingyas würde ihre Chancen bei den Wahlen im Jahre 2015 bereits jetzt zunichte machen. Suu Kyi ist also, wohl im Interesse Myanmars , bereits zur Politikerin mutiert.
Keine Angst mehr vor Spitzeln
Im Alltagsleben drückt sich der neue Geist in banalen Dingen aus. Angst und Paranoia sind verschwunden. Burmesinnen und Burmesen reden auch mit Ausländern wieder offen und ohne Furcht vor Spitzeln der Staatssicherheit. Alte Bekannte, jetzt meist bei der „Neuen Demokratischen Kraft“ engagiert, muss ich nicht mehr konspirativ irgendwo in einem Hinterhof oder einer Wohnung treffen. Auf der Strasse schliesslich werden T-Shirts, Kalender und andere Polit-Devotionalien mit dem Konterfei von Aung San Suu Kyi und ihrem Vater, dem Staaten- und Armee-Gründer Aung San, feilgeboten.
Kein Zurück mehr?
Dafür wäre man noch 2010 für lange Jahre ins Gefängnis gewandert. Auch am Arbeitsplatz , in Büros, Restaurants oder Busstationen sind Vater und Tochter Aung San sowie das gelbe Pfauen-Emblem der Nationalen Liga für Demokratie allgegenwärtig.
Noch könnten die Militärs nach dem Buchstaben der Verfassung das ganze Reformprojekt mit einem Federstrich zunichte machen. Vor einem Jahr sagten mir viele Bekannte, dass das durchaus im Bereich des Möglichen liege. Heute dagegen sind sich alle übereinstimmend einig, dass das definitiv nicht mehr möglich sei. Der entscheidende Punkt sei überschritten.