In einem seiner letzten Artikel für „Vanity Fair“ zitierte Christopher Hitchens eingangs den britischen Autor Kingsley Amis zum Thema Sterben: „Über den Tod lässt sich auch Gutes sagen: Du brauchst deswegen nicht vom Bett aufzustehen. Wo immer du bist, sie bringen ihn zu dir – gratis.“ Und kurz bevor die Ärzte seinen Speiseröhrenkrebs diagnostizierten, hatte er in seinen Memoiren „Hitch-22“ geschrieben, er wolle den Tod dereinst bei vollem Bewusstsein und wach erleben, aktiv und nicht passiv sterben.
An diesem Vorsatz änderte auch die unbarmherzige Diagnose nichts: „Ich versuche noch immer, jene kleine Flamme der Neugier und des Trotzes zu nähren: bereit, den Weg zu Ende zu gehen, und wünschend, von nichts verschont zu werden, was zu einem richtigen Leben gehört.“ Eines aber, so Hitchens, habe ihn seine Krankheit gelehrt: Er glaube nicht mehr, wie etwa früher nach Autounfällen oder gefährlichen Einsätzen als Kriegsberichterstatter, an Friedrich Nietzsches Diktum „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Auf die physische Welt, auf die moderne Medizin, treffe das nicht zu: „Es gibt dort viel zu viele Dinge, die dich töten können oder auch nicht und, falls nicht, dich auf jeden Fall um einiges schwächer zurücklassen.“
Im „Guardian“ hat der britische Autor Ian McEwan beschrieben, wie sein Freund Christopher Hitchens die letzten Wochen verbrachte, in einem renommierten Krebszentrum in Houston, „einer Ansammlung von Hochhäusern, wie La Défense in Paris oder die City of London, einer Art Finanzzentrum, wo Krankheit die gängige Währung ist“. In einem Raum der Intensivstation, verstellt mit blinkenden Apparaten und schlängelnden Infusionen, die aber fast dekorativ gewirkt hätten: „Bücher, Zeitungen und die Ideen dahinter eroberten den sterilen Raum oder wärmten ihn; sie erhoben das Zimmer in den Status einer guten Universitätsbibliothek.“
Im Spital schrieb Hitchens, den Infusionsständer zur Seite, auf seinem Laptop an einem kleinen Pult am Fenster: „Zu plaudern und zu dösen war zwar gut, kein Zweifel, aber Christopher blieben nur noch wenige Tage, um 3000 Worte über Ian Kers Chesterton-Biografie zu schreiben. Was immer die Leute über Christophers Journalismus sagen werden, ich werde mich immer an diese Augenblicke erinnern.“ Und daran, wie Hitchens zwischenzeitlich den Kopf senkte, die Augen schloss, sich aber mit übermenschlicher Anstrengung wieder weckte, um eine weitere Zeile zu tippen: „Sein gutes Gedächtnis kam ihm dabei zustatten, denn er hatte nicht wie üblich all seine Bücher zur Hand.“
Christopher Hitchens starb am 15. Dezember nach einer Lungenentzündung im Spital in Houston. „Es ist passend, dass er in der selben Woche starb wie (Vaclav) Havel“, schrieb der „New York Times“-Kolumnist Roger Cohen, ein entfernter Bekannter des Autors: „Im Jahr des arabischen Frühlings, in dem die Menschen von Tunis bis Moskau aufwendig jenes Gut erstreben, das Hitchens über alles schätzte: das Recht, seine Stimme in scharfer Widerrede zu erheben – und weiter zu leben.“ Die „Washington Post“ nannte Hitchens „einen äusserst intelligenten Provokateur, der seine Bildung, seinen beissenden Witz und seine vitale Prosa einsetzte, um seines Erachtens hochrangige Heuchler, feige Lakaien der Linken und der Rechten, des ‚Islamofaschismus’ und jeglicher Glaubensrichtung zu entlarven“.
Allen Elogen und hochkarätigen Freunden, vor allem unter Schriftstellerkollegen, zum Trotz, mangelte es Christopher Hitchens nicht an Feinden. Denn so überschwänglich er preisen konnte, so scharf kritisierte er mitunter, wobei er auch – oder gerade – vor Leuten mit Rang und Namen nicht Halt machte. Er nannte Henry Kissinger einen Kriegsverbrecher, Mutter Theresa „einen diebisch-fanatischen albanischen Zwerg“, mokierte sich über Ronald Reagan und Bill Clinton, den er aus gemeinsamen Studientagen in Oxford kannte, und ereiferte sich nach 9/11 über „Islamofaschisten“, die darauf aus waren, die Werte der westlichen Welt zu zerstören.
Er legte sich selbst mit seinem jüngeren Bruder Peter, einem bekennenden Katholiken, an und stritt mit ihm am Fernsehen während 90 Minuten über Gott und Glauben. „Hitchens“, schreibt der britische Historiker Simon Schama, „wollte nie ein konventioneller Journalist sein. Aber er wollte andern nicht nur die Hölle heiss machen, sondern deren Gestank auch selbst einatmen.“ Deshalb sei er, so Schama, „in die Sümpfe des Despotismus und der Grausamkeit“ gereist und habe von dort einige seiner eindrücklichsten Berichte zurückgebracht. Feinde machte sich Hitchens in erster Linie 2003, als er George W. Bushs Krieg im Irak befürwortete - aus der Überzeugung, dass radikale Islamisten westliche Errungenschaften wie die Meinungs- und Gewissensfreiheit bedrohten, und bestärkt durch Ayatollah Khomeinis Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Hitchens, der frühere Sozialrevolutionär und Trotzkist, hatte nach 9/11 auch seine Beziehungen zum linksliberalen US-Magazin „The Nation“ abgebrochen, zu dessen populärsten Kolumnisten er einst gehörte.
Das veranlasste Alexander Cockburn, einen ebenso radikalen Kollegen aus „Nation“-Tagen, dazu, ihn „einen lügenden, egoistischen, fettarschigen, kettenrauchenden, besoffenen Opportunisten und Zyniker“ zu nennen. Hitchens, der in der Tat masslos rauchte (er tat das angeblich selbst unter der Dusche) und trank, dürfte das als Kompliment verstanden haben. Er streite sich lieber, als sich zu langweilen, hatte er 2010 einem Reporter der „Washington Post“ anvertraut: „Es ist meinerseits wohl eine Art Unsicherheit. Ich habe Probleme damit, nicht zu gewinnen. Ich mache nicht gerne Zugeständnisse. Das macht es nicht leicht, mit mir zu leben.“ Er suche nicht ständig Streit – im Gegenteil, der Streit finde ihn.
Die Freunde auf der Linken warfen Hitchens damals vor, seine Überzeugungen über Bord geworfen zu haben, um Zugang zu den Reichen und Mächtigen des Landes zu erhalten. Im Juli 2003 zum Beispiel flog er mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der ihn zuvor im Pentagon zu einem vertraulichen Gespräch empfangen hatte, nach Bagdad. „Es ist recht aussergewöhnlich zu erleben, wie die amerikanischen Soldaten begrüsst werden“, erzählte Hitchens danach auf Fox News: „Zu sehen, wie sie ihren Job machen und nicht nur diese schmierigen Netzwerke von Baathisten und Jihadisten aufrollen, sondern auch Schulen bauen, Fussballstadien eröffnen und den Leuten helfen, ins Internet zu kommen. All das zu sehen, heisst zu realisieren, dass es (im Irak) sowohl ein durchdachtes politisches Programm wie auch hartes militärisches Vorgehen gibt.“
Auch Jahre später war Christopher Hitchens, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, nach wie vor überzeugt, dass der Krieg im Irak eine gute und gerechte Sache sei, allen blutigen Rückschlägen und peinlichen Pannen zum Trotz. Obwohl er die Besetzung des Landes nicht in allen Aspekten und Auswirkungen guthiess. Für einen Artikel, der 2008 in der August-Ausgabe von „Vanity Fair“ erschien, unterzog er sich freiwillig einem „Waterboarding“, jener von der Regierung Bush gebilligten „verstärkten Verhörmethode“, die das Ertrinken simuliert. Doch anders als Vizepräsident Dick Cheney kam Hitchens eindeutig zum Schluss, dass Waterboarding Folter sei.
Christopher Hitchens, 1949 in Portsmouth als Sohn eines britischen Marineoffiziers und einer, wie er erst nach ihrem Tod erfuhr, jüdischen Mutter geboren, war 1982 in die USA emigriert und hatte sich in Washington DC niedergelassen, weil „die Anziehungskraft des Planeten Amerika“ damals unwiderstehlich geworden sei, wie er Jahre später einem BBC-Interviewer verriet. Doch am Potomac glaubte er erst, „in einer Industriestadt gelandet zu sein, in der nichts je produziert wird“. Während auf den Strassen New Yorks seine Sinne ständig bombardiert worden seien, könne er in Washington DC fast die ganze Connecticut Avenue entlang laufen, ohne sich auch nur ein einziges Mail umdrehen zu müssen.
Doch mangelte es in der amerikanischen Hauptstadt weder an Parties noch an Alkohol, so dass sich Hitchens, der Brite in Amerika, relativ rasch zu Hause fühlte und unter den nationalen Medien willige Abnehmer für seine meist brillanten Artikel, Essays und Reportagen fand. Auch in den Talkshows des Fernsehens war er ein gern gesehener Gast und immer für eine Pointe gut. Bei seinen abendlichen Auftritten in Jon Stewarts „Daily Show“ pflegte er auf die Frage des Gastgebers, wie es ihm gehe, zu antworten, es sei wohl noch zu früh, um Schlüssiges zu sagen. Im Klartext: Stellen Sie dieselbe Frage einige Gläser oder Flaschen später.
Doch Christopher Hitchens war auch sich selbst gegenüber grundehrlich. In einem ironischen Artikel, den er für „Vanity Fair“ über den Besuch einer exklusiven Schönheitsfarm in Kalifornien schrieb, kam er zum Schluss, dass die meisten seiner Laster mit der einzigen Art zu tun hätten, auf die er sein Leben verdienen könne: „Um weiter lesen und schreiben zu können, brauche ich die geballte Energie, die ein Scotch liefern kann, und die intensive, kurzzeitige Konzentration, die mir Nikotin beschert. Über ein Buch oder eine Tastatur gebeugt zu sein, halb träumend, halb wachend, ist für mich das höchste Glück.“ In seinem Nachruf auf Christopher Hitchens schreibt Graydon Carter, der Chefredaktor von „Vanity Fair“: „Er war ein Mann von unersättlichem Appetit - auf Zigaretten, auf Scotch, auf Gesellschaft, auf gute Literatur und, vor allem, auf Konversation. Dass er soviel von sich gab, wie er sich nahm, grenzt bei dem Mann an ein Wunder.“
Am Schluss, im Krebszentrum in Houston, blieben Hitchens von allen Süchten lediglich noch die Literatur und das Gespräch. „Mein hauptsächlicher Trost während dieses Jahres des sterbenden Lebens war die Präsenz von Freunden“, schrieb er in der Juni-Ausgabe von „Vanity Fair“. In den letzten Wochen vor seinem Tod hat er noch erfahren, dass ein Asteroid nach ihm benannt worden war, was ihn freute. Gleichzeitig fürchtete er sich davor, eines Tages der Schmerzen wegen nicht mehr schreiben zu können: „Ich sage oft grossspurig, dass Schreiben nicht nur mein Lebensunterhalt und mein Lebenszweck, sondern mein Leben selbst ist, was stimmt.“ Und zumindest einer Sünde hat sich Christopher Hitchens während seines intensiven Lebens nie schuldig gemacht. „Die einzige unverzeihliche Sünde ist es, ein Langweiler zu sein“, pflegte seine Mutter zu sagen. Er, dem sonst nichts heilig war, hat ihr geglaubt. Und bis zuletzt gehorcht.