Das Manövergebiet liegt nur 110 km südlich der von Nordkorea beschossenen Insel Yeonpyeong. Die Amerikaner wollen mit den verbündeten Südkoreanern militaerische Übungen abhalten. „Rein defensiv“ und zur „Abschreckung Nordkoreas“ hiess es im Pentagon zu den bereits vor der Krise gepanten viertägigen Manövern.
Nordkorea gibt in aggressiver Propagandarhetorik zurück. Man befinde sich „am Rande eines Krieges“ und falls es zum letzten komme, werde Nordkorea einen „totalen Krieg gegen die US-Imperialisten und ihre südkoreanischen Marionetten“ führen. In Soeul drohte seinerseits der Kommandant der Marineinfanterie General Yoo Nak Joon in Anwesenheit des neuen Verteidigungsminister General Kim Kwan-jin beim Begräbnis von zwei gefallenen Soldaten mit „tausendfacher Vergeltung“ und „sicherer Rache“.
Selten ein Versprechen gehalten
Wie immer bei Krisen-Situation um Nordkorea bemühen sich Peking und Washington trotz der schrillen Worte südlich und nördlich der Demarkationslinie, trotz nordkoreanischem Artilleriebeschuss und Urananreicherung durch Nordkorea, der Diplomatie wieder zum Durchbruch zu verhelfen. Das Aussenministerium in Peking hat nach Gesprächen mit dem US-Sondergesandten für Nordkorea, Stephen Bosworth, mitgeteilt, dass die USA und China überzeugt sind, dass “alle Parteien gemeinsame Anstrengungen unternehmen sollten, um die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der Sechser-Parteien-Gespräche wieder zu schaffen”.
Diese Bedingungen zu schaffen, genau da liegt das Problem. Nur eben, seit die Pekinger Gespräche 2003 ihren Anfang nahmen, hat Nordkorea viel versprochen, selten ein Versprechen gehalten, viel bekommen und nie etwas zurückgegeben.
Ziel Pjoengangs sind nicht multilaterale Gespräche, sondern Direktkontakte auf gleicher Augenhöhe mit Washington. Die USA haben unter verschiedenen Administrationen einmal härtere, ein andermal sanftere Taktiken eingeschlagen. Ohne Erfolg. Ein militärisches Szenario à la Irak ist im ostasiatischen Pulverfass schlicht nicht denkbar. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Nordkorea sein Atomprogramm, inklusive zweier Explosionen 2006 und 2009, ohne Rücksicht auf die Pekinger Gespräche, konsequent Schritt für Schritt gegen alle am Verhandlungstisch abgegebenen Versprechen ausgebaut hat.
Mangels besserer Alternativen setzen Peking und Washington auf Verhandlungen. Erklärtes Ziel der seit 2003 laufenden und seit über einem Jahr unterbrochenen Sechser-Gespräche: Beendigung des nordkoreanischen Atomprogramms im Austausch gegen Wirtschaftshilfe für das hungernde, mausearme Nordkorea.
Einfluss Chinas wird überschätzt
US-Praesident Obama hat neben den sanften Tönen seines Nordkorea-Beauftragten Bosworth zugleich der Führung in Nordkorea unmissverständlich den Tarif durchgegeben. “Südkorea ist unser Bündnispartner seit dem Koreakrieg”, sagte Obama und “wir werden Schulter an Schulter” diese Krise bewältigen.
Auch jetzt setzt Washington auf die guten Dienste Pekings, mit Druck Pjoengjang gefügig zu machen. Der Einfluss Pekings auf Nordkorea wird allerdings im Westen masslos überschätzt. Pjoengjang lässt sich als selbstdeklarierte Atommacht nichts, aber auch gar nichts mehr vorschreiben, auch von China nicht.
Peking freilich hält zu seinem Verbuendeten Nordkorea, wenn auch nicht mehr so klar wie einst. Premier Wen Jiabao ruft – etwas zweideutig – nach dem nordkoreanischen Artilleriebeschuss „alle Seiten zum Dialog“ und zu „maximaler Zurückhaltung“ auf.
Der Artilleriebeschuss - "eine öffentliche Demütigung der Nachbarländer"
Nicht mehr so eindeutig ist die Unterstützung in den Medien. Die „Global Times“, eine offizielle englischsprachige Tageszeitung schreibt, der nordkoreanische Artilleriebeschuss helfe weder der darniederliegenden Wirtschaft Nordkoreas, noch führe er dazu, dass andere Nationen Nordkorea besser verstünden. Auf der Website der gleichen Zeitung kommt es auf Chinesisch noch härter: die nordkoreanische Aktion sei eine öffentliche Demütigung fuer die Bemühungen der grossen Nachbarländer um eine diplomatische Lösung.
Die Aussichten, dass sich die Lage an der letzten Grenze des Kalten Krieges bald beruhigen wird, sind gering. Nach dem II. Weltkrieg teilten die Sieger die koreanische Halbinsel 1948 unter sich auf, in ein kommunistisches Nordkorea und ein kapitalistisches Südkorea. Der Koreakrieg 1950-53 zwischen den von den USA geführten UNO-Truppen und den von Maos chinesischen Truppen unterstützten Nordkoreanern endete mit einem Waffenstillstand, der heute noch gültig ist. Es gibt weder de jure noch de facto Frieden. Während Südkorea sich von der Diktatur zur Demokratie mit einer blühenden Wirtschaft mauserte, versank Nordkorea in Armut und Hunger und hängt heute am Tropf internationaler Nahrungshilfe.
Nordkorea ist trotz Globalisierung und Internet nach aussen hermetisch abgeschottet. Spekulationen schiessen deshalb ins Kraut. Niemand weiss wirklich, was nördlich des 37. Breitengrades vor sich geht, wer die Enscheide trifft, ob die Militärs stärker sind als die politische Führung und wie es tatsächlich mit der Nachfolgefrage steht.
Warum Nordkorea gerade jetzt wieder zu einer bewaffneten Provokation Zuflucht genommen hat, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ist Nordkorea wirtschaftlich am Ende? Gibt es in der nordkoreanischen Führung Meinungsverschiedenheiten über die Nachfolge des „Geliebten Führers“ Kim Jong-il?
Plastische Chirurgie zum höheren Wohl
Ist der Artillerie-Beschuss ein Signal fuer die Pekinger Sechser-Gespraeche über Nordkoreas Atomprogramm? Ist Pjoengjang über Washington frustriert, das erst dann auf Augenhöhe Gespräche führen will, wenn Nordkorea endlich zu seinen Zusagen steht, sein Atomprogramm verifizierbar und endgültig abzubauen? Hat Nordkorea seine Geduld mit dem Süden verloren, weil Soeul zwar Hilfe gibt und mehr verspricht aber auf Gegenleistungen pocht?
Fragen über Fragen, auf die auch Pundits, Nordkorea-Experten, Politik-Wissenschafter oder Medien-Korrespondenten kaum gültige Antworten finden. Nur eines ist sicher: der “Junge General” Kim Jong-eun, jüngster Sohn und mutmasslicher Nachfolger des “Geliebten Fuehrers” Kim Jong-il sieht seinem legendären Grossvater und Staatengründer Kim Il-sung, “Präsident in Ewigkeit”, verblüffend ähnlich. Nordkorea-Experten schliessen nicht aus, dass plastische Chirurgie zum höheren Wohl des Staates ein wenig nachgeholfen habe…..
Unterdessen besichtigte Nordkoreas „Geliebter Führer“ Kim Jong-il mit dem „Jungen General“ Kim Jong-eun - wie wenn nichts geschehen wäre – eine Soya-Fabrik. Sohnemann Kim mit Könizer Schulvergangenheit hat in den letzten Wochen Militäreinheiten inspiziert und soll bei der Uralt-Generalität mit knallharte Sprüchen – und Taten? – gepunktet haben.
Eine Kettenreaktion ist möglich
Kim Myong Chol, der Kim-Dynastie nahe stehend, formuliert zuhanden der ausländischen Medien ein Profil des „Jungen Generals“. Seit der junge Kim zum Nachfolger bestimmt wurde, herrsche in Nodkorea „Euphorie“, eine „helle und rosige Zukunft für die Demokratische Volksrepublik“ sei damit „garantiert“. Im übrigen sei der „Junge General“ keineswegs erkoren worden, weil er der Sohn des „Geliebten Führers“ sei noch weil er seinem Grossvater so ähnlich sehe. Vielmehr sei es der Wille des Volkes. Der „Junge General“ gehöre in die gleiche Kategorie wie sein Grossvater Kim Il-sung und habe „totale revolutionäre Aufopferung“ zum obersten Führer Kim Jong-il. Schliesslich habe der „Junge General“ eine „grenzenlose Liebe zum Volk“, einen „unwiderstehlichen magnetischen Charme“ sowie „Charisma“.
Was immer dies Lobhudeleien im buntesten, so typisch norkoreanischen Propaganda-Lingo bedeuten mögen, Nordkoreas Freund Nummer 1 China und Feind Nummer 1 Amerika haben ein erklärtes Interesse, Spannungen auf der koreanischen Halbinsel abzubauen und den gegenwärtigen Konflikt zu entschärfen. Stabilität und Wohlstand Asiens, ja der ganzen Welt stehen auf dem Spiel. Es wird kaum zum Krieg kommen. Bei der derzeitigen Spannung mit hohem Konfliktpotenzial kann eine Kettenreaktion jedoch nicht ausgeschlossen werden. Kriege, auch in Asien, sind schon aus geringerem Anlass vom Zaun gebrochen worden.