Nach den gezielten Tötungen von Hamas- und Hisbollah-Führern durch Israel in Iran und Libanon wartet die Region gespannt auf die angekündigte iranische Antwort. Bis jetzt ist ein Gegenschlag ausgeblieben und es bleibt unklar, ob dieser mit militärischen Mitteln erfolgen wird.
In den Medien kursieren Gerüchte, das iranische Regime wolle seine Vergeltungsdrohungen in den nächsten Tagen wahr machen. Es werden sogar genauere Daten genannt: So wurde geargwöhnt, dass der Iran, der grossen Wert auf symbolische Ordnungen legt, die Nacht vom 12. auf den 13. August gewählt habe, weil dies dem Tischa B'Av entspricht, dem neunten Tag des Monats Aw im jüdischen Kalender, der feierlich an die Zerstörung des ersten und zweiten Tempels in Jerusalem erinnert. Doch einmal mehr verging die Nacht, ohne dass etwas geschah. Andere vermuten einen Angriff am 15. August, dem Tag, an dem neue Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Freilassung eines Teils der Geiseln stattfinden sollen.
Sogar angebliche iranische Angriffspläne wurden veröffentlicht. Angesichts der verstärkten amerikanischen Truppenpräsenz, der demonstrativen Militärübungen der iranischen Revolutionsgarden in Westiran und der martialischen Äusserungen israelischer Politiker und Militärs sehen sich viele Beobachter in der Auffassung bestärkt, dass es die Konfliktparteien diesmal nicht beim Muskelspiel belassen werden.
Irans taktische Spiele
Doch noch funktioniert das System der gegenseitigen Abschreckung. Die israelische Regierung lässt die iranische Führung wissen, dass ein Angriff auf Israel mit militärischen Gegenschlägen «tief im Iran» beantwortet würde. Iranische Propagandisten ihrerseits unterstreichen, dass Iran in Syrien über geheime Raketenabschussbasen verfüge, die es dem iranischen Militär erlaubten, ohne grosse Vorwarnzeiten israelische Einrichtungen anzugreifen.
Solange ein Angriff auf Israel nicht unmittelbar den ideologischen Zielen des Regimes der Islamischen Republik dient, wird das Regime versuchen, eine militärische Reaktion so zu gestalten, dass sie die Ordnung der Islamischen Republik nicht gefährdet. Dies kann sogar bedeuten, dass das Regime ganz auf direkte militärische Massnahmen verzichtet und stattdessen propagandistisch zum Beispiel einen Waffenstillstand als Erfolg iranischer Vergeltung und psychologischen Drucks feiert. Vielleicht lässt das Ayatollah-Regime die Lage bewusst eskalieren, um einen Waffenstillstand zu erzwingen. Es könnte sich dann als Sieger feiern, weil es die israelische Regierung durch seine Vergeltungsdrohungen zum Waffenstillstand gezwungen hat.
Israelische Prävention
Die israelische Seite wird nicht müde, die Bevölkerung auf eine drohende Konfrontation mit Iran und seinen Proxys vorzubereiten. Dabei wird auch gezielt auf iranische Angriffspläne verwiesen, um die konkrete Bedrohungslage zu begründen. Dies wiederum soll der israelischen Regierung die Option eines präventiven Militärschlags gegen Militäreinrichtungen im Iran, aber auch im Libanon, in Syrien und/oder im Irak offenhalten. Darüber hinaus könnten solche Szenarien aber auch als Ausdruck der Spannungen zwischen den israelischen Sicherheitsbehörden und der Regierung Netanjahu in Umlauf gebracht werden.
Der Mossad und andere Dienste erwarten, dass Netanjahu bei den noch für den 15. August geplanten Verhandlungen in Kairo auf den Geiseldeal eingeht. Doch Netanjahu weigert sich – auch im Einklang mit den religiösen Zionisten und Ultranationalisten, die für den Fall, dass die Regierung einem Waffenstillstand zustimmt, mit dem Austritt aus der Regierung drohen. Da passt es gut, dass ein Angriffsdatum 15. August lanciert wird, um den Geiseldeal zu unterlaufen. Mit der proaktiven Veröffentlichung angeblicher iranischer Pläne soll zudem die Abschreckungsstrategie des Iran untergraben werden, mit der dessen Regime bislang seine Vergeltungsbereitschaft rechtfertigt.
Die Sprecher der Hamas ihrerseits machen darauf aufmerksam, dass die Organisation keine Delegation zu den Verhandlungen nach Kairo entsenden werde, da alle Fragen geklärt seien und kein Verhandlungsbedarf mehr bestehe. Es läge nur noch an Netanjahu, dem Deal zuzustimmen.
Hinter dem Propagandaschleier
Die Transparenz der israelischen Öffentlichkeit erlaubt eine recht genaue Einschätzung der innenpolitischen Auseinandersetzungen um einen drohenden Regionalkrieg. Demgegenüber verbergen sich die Ziele und Konfliktstrategie des iranischen Regimes hinter einem Schleier aus wortgewaltiger und symbolträchtiger Kriegspropaganda, die wenig Aufschluss darüber gibt, wie ernst es dem Regime mit seinen Vergeltungsdrohungen ist.
Wir unterschätzen den ideologischen Hintergrund, vor dem das Regime in Teheran agiert. Unterschätzt wird auch die innere Zerrissenheit der iranischen Politik, die sich in der ambivalenten Haltung des iranischen Präsidenten Peseschkian zeigt. Unterschätzt wird zudem die Rolle der Islamischen Revolutionsgarden, die im Iran eine Schattendiktatur errichtet haben und in besonderer Weise die ideologische Ausrichtung der Islamischen Republik tragen und bestimmen.
Weiter wird auch die Konkurrenz zwischen der regulären iranischen Armee und den militärisch hochgerüsteten Revolutionsgarden unterschätzt. Die Garden werden zwar bei der Verteilung von Rüstungsgütern bevorzugt, haben aber in den letzten Jahren durch katastrophale Fehlschläge ihr Image der Professionalität und damit ihr Renommee deutlich beschädigt. Die Armee hingegen verfügt über eine hohe Professionalität und eine gewachsene Struktur. Sicher, das letzte Wort hinsichtlich eines militärischen Vorgehens hat der iranische Revolutionsführer Khamenei. Doch wird es keine einsame Entscheidung sein, sondern eine Entscheidung, die dieser hochkomplexen inneriranischen Machtordnung Rechnung trägt.
Schwierige Neutralität
Sollte ein iranischer Angriff Israel in einer Weise treffen, die seine Sicherheit strukturell gefährdet, würden die USA in jedem Fall strategische Ziele im Iran angreifen. Dies würde zwangsläufig zu einer Regionalisierung des Kriegs führen und alle nahöstlichen Staaten, einschliesslich der Türkei, auf den Plan rufen. Irans Alliierte sind in erster Linie parastaatliche Verbände wie die Hisbollah im Libanon. Reguläre staatliche Verbündete hat Iran kaum. Einzig auf eine allerdings nicht militärische Unterstützung durch Oman könnte die iranische Führung hoffen.
Saudi-Arabien hat für den Fall eines regionalen Krieges vorsorglich seine bewaffnete Neutralität erklärt. Da Ägypten, Jordanien, die VAE, der Südjemen und Bahrain die engsten Verbündeten Saudi-Arabiens sind, müssten sie sich dieser Neutralität anschliessen. Ob sie eingehalten werden kann, ist fraglich. Solange diese Neutralität aber besteht, dürfte es für den Iran sehr schwierig sein, militärisch zu operieren, da nur der Luftraum über dem Südirak, Syrien und dem Libanon offen stünde.
Die Neutralitätshaltung könnte sich aber schnell ändern, da eine US-Intervention natürlich auch über die zehn US-Basen (davon acht am Golf) und elf weitere Militärposten (davon fünf im Irak, in Syrien und Jordanien sowie zwei in Saudi-Arabien) erfolgen würde. Theoretisch müsste Saudi-Arabien dann auch gegen US-Flugzeuge vorgehen, sollten diese im saudischen Luftraum operieren. Das dürfte wohl nicht geschehen, und wie schon im April im Falle Jordaniens wird es eher zu einer militärischen Kooperation kommen.
Schliesslich ist zu bedenken, dass derzeit über ein enges russisch-iranisches Bündnis verhandelt wird. Sollten die USA im Iran intervenieren, könnte es sogar zu einer Kollision mit Russland kommen. Wie die Türkei auf einen regionalen Krieg reagieren würde, ist völlig unklar. Manche erwarten, dass die Türkei eine solche Konfrontation nutzen würde, um die eigenen expansiven Absichten in Syrien und im Irak umzusetzen.
Sollte es tatsächlich zu einem regionalen Krieg kommen, dürften vor allem die «neutralen» Staaten und ihre Regime profitieren. Zu den Verlierern zählten dagegen Israel und der Iran: Der Iran, weil er seine ideologischen Ziele unter den gegebenen Bedingungen in einem Krieg nicht verwirklichen kann, und Israel, weil es sein Staatsziel, den Jüdinnen und Juden langfristig eine sichere und friedliche Heimstatt zu bieten, durch einen Krieg nicht erreichen kann. Verlierer wären auch die Palästinenserinnen und Palästinenser, die nach einem solchen Krieg ihre Hoffnungen auf eine eigene staatliche Souveränität wohl endgültig begraben müssten.