Sechzehn Jahre – und wie viele Male die Welt gerettet? Egal, einmal ist’s genug. Nein, die Rede ist nicht von Angela Merkel (bei der wir uns übrigens nicht so sicher sind, ob sie eventuell nicht doch noch etwas hätte wollen mögen …). Die Rede ist von Daniel Craig, der in der Graham-Norton-Show auf BBC One kürzlich von «diesen 16 Jahren» sprach. Nach «Quantum of Solace» (2008), seiner zweiten Auflage, hatte er vertraglich zugesichert, noch drei weitere Folgen der James-Bond-Saga zu absolvieren. Und dann Schluss. Das Endergebnis ist nun mit der Nummer 25 der Franchise zu besichtigen: «No Time to Die». Zwischen 250 und 300 Millionen Dollar soll die Produktion verschlungen haben.
Fast vergessen: das Bond-Girl
Die ein Mehrfaches davon einspielen dürfte. Die Pandemie und die daraus resultierenden ständigen Verschiebungen des Filmstarts sind schuld daran, dass das Publikum möglicherweise mit etwas übersteigerten Erwartungen das jüngste Bond-Vehikel besteigt. Von der darbenden Branche zu Recht als das Ereignis des Jahres propagiert, das die Massen zurück ins Kino zu bringen habe, hat der Film zwar den – schauspielerisch – besten Bond aller Zeiten zu bieten; doch all die Schauwerte, die das Publikum als selbstverständlich voraussetzt: grossartige Landschaften, wilde Stunts, abscheuliche Bösewichte, haben die andern inzwischen längst auch. Ganz im Stil der alten Schinken ist das famose Ding, das von einem Trägerflugzeug aus wie eine Rakete startet, seine Flügel zu einer Art U-2 entfaltet, um sie vor dem Eintauchen ins Meer wieder zusammenzulegen und als Torpedo seine Fahrgäste in die geheime U-Boot-Kaverne zu bugsieren …
Haben wir etwas vergessen? Natürlich, das Bond-Girl. Ganz knapp ist es hier noch vorhanden, nicht nur, was das Textile betrifft: Es heisst Paloma (Ana de Armas) und besteht zur Hauptsache aus Décolleté, aber, und das könnte neu sein, auch aus Dialogwitz, wie er den Film sonst in leider allzu homöopathischen Dosen heimsucht. Die Kubanerin ist zu sehen in der einzigen Sequenz, die noch jenen Uralt-Bond im Casino zelebriert, wo die Damen Roben tragen und die Herren Black Tie und die komplett überflüssig wäre, könnte hier nicht der kriecherische russische Wissenschafter Obruchev (der Schwede David Dencik) sein verbrecherisches Tun zur Abwechslung wieder einmal in den Dienst der (relativ) Guten stellen – und damit verhindern, dass Bond noch vor Spielhälfte einem teuflischen Anschlag erliegt.
Gentechnik, Giftanschläge, Nanobots
Alle scheinen sie ihm an die DNA zu wollen, Gentechnik ist Trumpf, Hochsicherheitslabore wechseln den Besitzer, Giftmischungen sind unterwegs und diese Nanobots, die in den Blutkreislauf, das Erbgut oder alles zusammen eindringen sollen. Dahinter muss Spectre stecken, die kriminelle Organisation des Vorgängers von 2015. Das Publikum ist aufgerufen, den Überblick zu behalten zwischen den Aktivitäten des in einem Superhochsicherheitsgefängnis einsitzenden, mittlerweile einäugigen Blofeld (Christoph Waltz), einem zuletzt endlich ebenfalls einäugigen Kerl namens Primo (Dali Benssalah), dem Bond mittels Armbanduhr (Achtung, Produktplatzierung!) spät, sehr spät das fatale «bionische» Auge entfernt, und denjenigen eines gewissen Lyutsifer Safin (Rami Malek), dessen zu Beginn durch eine schneeweisse japanische Maske verdeckte entstellte Visage auf ein Dioxin-Dessert zurückzuführen ist, das er als einziger seiner Familie überlebt hat und dessen Urheber der Vater von Madeleine (Léa Seydoux) war, die als kleines Mädchen zu Beginn nur knapp seiner Rache entrinnt …
Ein Bond mit etwas wie Familiensinn
Ja und diese Dr. Madeleine Swann soll unsern Helden nun endlich von der Trauer um Vesper Lynd (die göttliche Eva Green, in «Casino Royale», 2006) erlösen, weshalb sie ihn zu Beginn zu deren Grabstätte im Matera in der Basilicata bringt. Hier darf die Kamera des Schweden Linus Sandgren in malerischen Stadtlandschaften schwelgen und in der Erscheinung eines fast schon überirdisch schönen, silbern metallisierten Aston Martin DB5 – an dem der Kugelhagel der schwarzvermummten Gangster wirkungslos abprallt. Auf das Flehen Madeleines hin wird ein teilnahmsloser Bond endlich doch noch die bewährten Abwehrfunktionen des Gefährts in Gang setzen.
«Fünf Jahre später» ist er in jenem Jamaica angekommen, in dem schon Ian Fleming jeweils die Wintermonate verbrachte, in der Hand «Birds of the West Indies», das Bestimmungsbuch eines amerikanischen Ornithologen namens James Bond … Unser Pensionär scheint’s nicht so mit den Vögeln zu haben, dafür sehen wir ihn beim entspannten Segeln. Das jäh unterbrochen wird durch einen Besuch aus der Vergangenheit. Felix Leiter (wiederum Jeffrey Wright), sein alter Freund von der CIA, braucht seine Hilfe. Und so geht’s denn los um den Erdball, nach Kuba, nach Norwegen, wo versteckt Madeleine mit Töchterchen Mathilde lebt, dem er einen Apfel schält (und fast schon könnten wir uns Bond als Familienvater vorstellen), zuletzt dann ins japanisch-russische Grenzgebiet (das auf den Färöern gefunden wurde), wo Safin seine Giftküche betreibt, die zur obligaten Gefahr für die Menschheit zu werden droht.
007 – schwarz und erst noch eine Frau
Und selbstverständlich geht’s immer wieder nach London, an den Sitz des MI6. Hier sieht sich ein ob einer fahrlässigen Operation nachdenklich gewordener M (immer noch Ralph Fiennes) veranlasst, Bond zu reaktivieren. 007 ist inzwischen freilich ein anderer geworden: nicht nur schwarz, sondern gleich auch noch Frau. Lashana Lynch ist diese Nomi, die Bond zunächst arrogant die neue Hierarchie mitteilt: «Ist ja bloss eine Nummer.» Selbstverständlich fährt auch sie Aston Martin. Doch der DBS Superleggera, das jüngste Topmodell, hat einen blassen Auftritt, kein Vergleich mit dem legendären Vorgänger. Geläutert wird Nomi später M bitten, «Commander Bond wieder die 007 zuzuteilen» … «No time to die?». Doch die Uhr der Ablösung tickt: «What time is it? Time to die», heisst es einmal.
Cary Joji Fukunaga, 1977 in Kalifornien geboren, hat sich, nebst «Jane Eyre» (2011), mit Filmen wie «Sin nombre» (2009) und «Beasts of No Nation» (2015) einen Namen als Regisseur geschaffen, der einen wachen Sinn für die gesellschaftlichen Umbrüche in einer globalisierten Welt zeigt. «No Time to Die» tut selbstverständlich nichts dergleichen. Trotz einigen Längen bietet er aber Daniel Craig die Bühne für einen Abgang, der jedenfalls das Ende einer Ära im filmischen Leben des populärsten Geheimagenten aller Zeiten markiert.
Ab 30. September in den Schweizer Kinos