An sich ein einfaches und schönes Stück Musik, millionenfach missbraucht und verhunzt durch Kirchenorgeln und andere Arrangements bei weltweit stattfindenden hochzeitlichen Anlässen. „Treulich geführt ziehet dahin, / wo euch in Frieden die Liebe bewahr!“. Leider bleibt dies oft ein frommer Wunsch, denn im sogenannten Brautgemach bricht das Unheil nicht nur in der Oper schneller als erwartet aus. Die zweite Szene des 3. Aktes, der Dialog zwischen Lohengrin und Elsa, gehört musikalisch zu den kompositorischen Höhepunkten, zumal wenn man bedenkt, wie wir hier in wenigen aufeinanderfolgenden Minuten von vermeintlich heiler Liebe in gegenseitiges Ungenügen und in zerstörerisches Misstrauen geraten.
Geheimnisse lüften
„Lass dein Geheimnis mich durchschauen, dass, wer du bist, ich offen seh!“ verlangt Elsa. Wissen wollen, statt vertrauen. Lohengrins Versicherung, er komme nicht „aus Nacht und Leiden“, sondern aus „Glanz und Wonne“: das genügt der fragenden Frau nicht. Sie will seinen Namen kennen, wissen, woher er kommt. „Woher die Fahrt? Wie deine Art?“ Elsa bohrt immer weiter. Wie könne sie die Gewähr haben, dass seine Liebe keine Täuschung sei? Alles will sie aus ihm holen: „Den Namen sag mir an!“ und auch, „Woher die Fahrt? - Wie deine Art?“ Der gottgesandte Ritter weiss es sogleich: „Weh, nun ist all unser Glück dahin!“
Wagner hat diese Szene fabelhaft aus dem seligkeitstrunkenen harmonischen Beginn in das unruhig sich erhitzende Palpitieren des Fragens und Drängens geführt. Alles wissen wollen ist ein Wahn. Es gibt dafür nur das böse Erwachen. Wir kennen es aus vielen Märchen und Zaubergeschichten. Geheimnisse schützen den Schenkenden und den Beschenkten. Ist einmal alles ausgeplaudert, so ist auch schon der Zauber dahin.
Der Weg dahin ist kürzer, als man glaubt. Elsa spricht einmal von der „Liebesstille“, zu der das Aussprechen des Namens des Geliebten führe. Wer das Geheimnis des anderen um jeden Preis durchschauen will, zerstört offenbar das, was nur vertrauende Liebe zu bewahren vermag. Nach dem Verlust des Geheimnisses helfen weder Nähe noch Umarmung. Zur Liebesstille wird Elsa nie finden.
Wo die Liebe verspielt ist, tritt das Mitleid an ihre Stelle. Eine triviale Welt bleibt übrig. Die Liebesgeschichte in Lohengrin geht als Entzauberungs- und Verlustgeschichte zu Ende.
Gralserzählung und Abschied
Das wagnersche Erlösungsthema – beinah in jedem seiner Werke aufzuspüren - ist in dieser Oper ein vollkommen Überraschendes. Erlöst werden hier weder Elsa noch Lohengrin, sondern nur der stumme Gottfried, Elsas Bruder, der aus seiner Verwandlung durch die dämonische Ortrud in einen Schwan am Ende wieder zu Menschengestalt zurück findet. Lohengrin, der göttliche Gralsgesandte, muss wieder zurück zur Gralsburg. Elsa findet Erlösung nur im Tod, was wir zwar als eine „Lösung“ gelten lassen müssen, wenn auch nicht als jene Erlösung durch Liebe, die allein zu Glück, innerer Ruhe und Daseinsdankbarkeit führt.
Wagner hat in seiner berühmten Schrift aus dem Jahr 1851 Mitteilung an meine Freunde angedeutet, worin das Erlösungsthema hier zu suchen sei: Die Liebe eines Menschen sei die einzige Macht, die einen Gott – in Wagners Verständnis wohl auch: einen Künstler – aus seiner Einsamkeit zu erlösen vermöge. „Verstandensein durch die Liebe“, dies sei die höchste denkbare Form der Erlösung. Lohengrin ist der durch Elsa Nicht-Verstandene, darum auch der unerlöst bleibende traurige Gott, der in die hehre Einsamkeit des Gottesdaseins in die Gralsburg zurückkehren muss. Selbst ein Gott verliert seine Macht, wo sein Geheimnis auffliegt, - bei Menschen kann er dann nichts mehr ausrichten und hat abzutreten.
Für diesen Fortgang des einsamen göttlichen Ritters Lohengrin hat Wagner am Schluss der Oper eine wundersame Passage geschrieben. Lohengrin ruft den Schwan, dieser kommt, der Ritter begrüsst ihn, seine Trauer bekundend, da ihm kein Jahr an Elsas Seite vergönnt war. In ergreifend aufwühlenden Tönen lässt er für Elsas Bruder Gottfried Horn, Schwert und Ring – Sinnbilder für die Abwendung von Gefahr und von Treuegelöbnis - zurück, damit dieser, wenn er wiederkehre, des Mannes gedenke, der doch einmal seine Schwester „aus Schmach und Not befreit“ habe. Kann man göttliche Trauer über die Kleingläubigkeit der Menschen gültiger in Musik setzen, als es Wagner hier bei Lohengrins Abschiedsgesang gelungen ist? Man muss diese Arie vielleicht mehrmals hintereinander hören, um diese Musik eines verzweifelnden Gottes ganz zu begreifen.
Der traurige Gott
Der Gott nimmt Abschied. Zauber setzt ein: anstelle des Schwans steht Gottfried da. Elsa ruft noch ausser sich: „Mein Gatte! Mein Gatte!“, und sinkt „entseelt“, wie Wagner in der Regieanweisung schreibt, in Gottfrieds Arme. Lohengrin entschwindet in weiter Ferne. Wir bleiben sinnend zurück. So setzen Menschen Göttliches aufs Spiel!
Die grossen Wagnertenöre - von Lauritz Melchior zu Jussi Björling und Wolfgang Windgassen bis zum heutigen grandiosen Jonas Kaufmann - haben Lohengrins Erzählung und Abschied von Elsa singen wollen. Man kann ihre Interpretationen allesamt auf Youtube hören. Und dabei entdecken, dass grosse Sänger selbst einem Gott, der bei den Menschen kein Glück fand, mit ihrer Stimme Glaubwürdigkeit und erschütternde Trauer zu verleihen vermögen.
Richard Wagner - Vorspiel und Brautchor aus Lohengrin - Matthias Georg Kendlinger - K&K Philharmoniker - K&K Opernchor - 6. April 2010 im MUK Lübeck - DVD "Kendlinger - Die schönsten Opernchöre II"