Frankreich und England sprechen sich für eine Aufhebung. Die beiden Grossstaaten haben auch schon angedeutet, wenn das Embargo nicht aufgehoben würde, sähen sie sich frei, ihrerseits so zu handeln, wie es ihnen gut scheine. - Ist das eine Erpressung "Europas"?
Russland hat erklärt, Waffenlieferungen an die syrische Rebellion wären ein klarer Bruch der internationalen Legalität. Diese lässt allerdings zu, dass Russland und Iran und an Asad Waffen liefert. Diese Waffenlieferungen erlauben es dem syrischen Präsidenten, grosse Teile seines eigenen Volkes mit dem Einsatz niederzuhalten. Dies gilt formal als "legal", weil die syrische Regierung als eine Regierung eingestuft wird, die von der internationalen Staatengemeinschaft als eine solche anerkannt werde. Bei der Gegenseite handelt es sich legal, oder legalistisch gesehen, um "Rebellen".
Asad selbst erklärt bei jeder Gelegenheit, es handle sich um "Banden", die auch noch vom Ausland unterstützt würden. Dieses „Ausland“ verfolge damit seine eigenen politischen, ja imperialistischen, Ziele.
Mir scheint wahr, was ich glauben will
Ob Asad und seine Anhänger dies wirklich glauben oder nicht, lässt sich nicht sagen. Die Menschen glauben leicht, was sie glauben wollen. Und die wirkliche Lage ist unübersichtlich genug, dass sie sich so oder so interpretieren und darstellen lässt. Die Propagandisten auf beiden Seiten sind dazu da, um die jeweils gewünschten Interpretationen vorzukauen und einzuflössen.
Es herrscht Krieg, und im Krieg scheuen die Propaganda-Fachleute noch weniger als in normalen Zeiten davor zurück, ihr allerschwerstes und allergröbstes Geschütz aufzufahren. Etwas bleibt immer hängen. Der Krieg selbst zwingt nicht nur alle Soldaten, sondern auch alle Gehirne dazu, Stellung zu nehmen, auf dieser oder jener Seite.
Propaganda-Schlachtfeld
Das bereitet den Propagandisten das Bett. Sie finden noch mehr Zustimmung und noch viel weniger kritische Aufnahme ihrer Behauptungen als in Friedenszeiten. Nicht nur Asad, auch wir könnten von dieser Art Blindheit befangen sein. Allerdings, hoffen wir, doch in einem etwas geringeren Ausmass.
Die Diskussion dreht sich darum, was wir tun sollen, heute und morgen. Es geht nicht darum, was wir hätten tun sollen, als vor zwei Jahren die Protestwelle losbrach, oder als drei Monate später im Sommer 2011, die Proteste schrittweise in bewaffnete Kämpfe ausarteten - was damals im Wesentlichen geschah, weil syrische Soldaten sich weigerten, die Befehle auszuführen, nach denen sie auf die eigene Bevölkerung hätten schiessen sollen. Stattdessen liefen sie über. Ihre Waffen brachten sie mit. Sie sagten, sie wollten die Bevölkerung "verteidigen". Doch ihre Verteidigung führte dazu, dass der Protest sich zum Bürgerkrieg wandelte.
Was sollen wir heute tun?
Dies jedenfalls scheint mir noch immer die glaubwürdigste Version vom Ansatzpunkte des Krieges. Man kann diskutieren darüber, ob und wann auch Waffenhilfe und Geldhilfe und von aussen einsetzte, sowie wann und wie propagandistische Modulationen der Lage im Inneren und im Äusseren begannen. Auch darüber, welches Gewicht die Bewaffnung und welches die Propaganda zu welcher Zeit für den Gesamtentwicklung besassen. Doch dies ist eine andere, historisch ausgerichtete, Diskussion. Die Grundfrage gegenwärtig ist und bleibt: was sollen wir heute tun?
Beantworten kann man sie nur auf Grund der heute bestehenden Lage. Auch über sie kann man streiten - und darüber wird in Syrien selbst heftig gestritten. Doch gewisse Gegebenheiten darf man als faktisch voraussetzen. Ein bedeutender Teil der syrischen Bevölkerung hat sich gegen die Regierung erhoben. Die Mehrheit? Die Minderheit? - Wahrscheinlich schwanken die Zahlen von Tag zu Tag. Vermutlich waren sie grösser, als mehr Hoffnung bestand, dass die Regierung bald gestürzt werden könnte. Vermutlich gibt es inzwischen viele, die denken oder es nicht zu sagen wagen: „Wenn nur der Krieg bald zu Ende ginge und wir nicht mehr fürchten müssten, wie Millionen von anderen, Teile unserer Familie, unser Haus, unsere ganze Existenz zu verlieren, das wäre das wichtigste; Asad hin oder her.“
Beide Seiten glauben an ihren Sieg
Doch es gibt die Bewaffneten beider Seiten, deren Waffen den Ton angeben. Beide sind überzeugt, dass der Krieg nur dadurch beendet werden kann, dass ihre Seite gewinnt. Beide Seiten glauben auch immer noch, dass sie gewinnen werden. Die einen pochen auf ihre schwere Bewaffnung, militärische Ausbildung, Disziplin und Führung und auf die "Heldenhaftigkeit unserer Armee".
Die Gegenseite ist überzeugt, dass "das syrische Volk" hinter ihr stehe, und dass aus diesem Grund, die Regierung früher oder später stürzen werde.
Die militärische Situation ist derart, dass beide Seiten Grund haben, an ihren Sieg zu glauben. Die Aufständischen sind in der Lage, an vielen Stellen im Land Widerstandsherde zu schaffen: im Süden, wo Deraa noch immer nicht zur Ruhe gezwungen werden konnte; im Norden, wo die halbe und mehr als halb zerstörte Grossstadt Aleppo von ihnen beherrscht wird; im Zentrum, wo, wie in Homs, ihre Widerstandsnester zusammengeschossen wurden, doch wo es ihnen zur Zeit noch einmal gelungen ist, das zerstörte Quartier Baba Amr erneut zu infiltrieren. Woraufhin erneut die Beschiessung der zerschossenen Häuser begonnen hat. In der nördlichen Gebirgsprovinz Idlib, beherrscht die Opposition die meisten Dörfer, und rund um die Hauptstadt Damaskus, sind die Aussenquartiere zerschossen, werden aber immer wieder neu infiltriert und bleiben umkämpft. Im Osten, am Euphrat, ist kürzlich die Provinzhauptstadt Raqqa, ganz oder weitgehend, in die Hände des Widerstandes gefallen. Bisher war es dort ruhig gewesen, weshalb fast eine halbe Million von Flüchtlingen in Raqqa Unterschlupf fand. Sie sind nun, verstärkt durch die permanenten Bewohner der Stadt, weiter nach Osten geflohen.
Die Syrer wissen es längst, und es hat sich in Raqqa erneut bewahrheitet: kaum ist eine Stadt oder Ortschaft in den Besitz der Rebellen gelangt, sendet Damaskus seine Tanks, seine Artillerie, oder wenn diese nicht eingreifen können, seine Luftwaffe aus, um die Stadt oder Ortschaft in Schutt zu legen. Neuerdings werden auch Boden-Boden-Raketen gegen Ortschaften und Stadtteile eingesetzt, in denen die Widerstandskämpfer versuchen, sich bleibende territoriale Basen zu schaffen. Die Raketen zerstören ganze Häuserblocks auf einem einzigen Schlag – zusammen mit ihren Bewohnern.
Zu wenig Soldaten für Asads Armee
Diese Lage bestärkt beide Kampfesfronten in ihrem Narrativ. Die Aufständischen sagen sich: „Wir sind in der Lage, stets neue Widerstandsfeuer zu entfachen. Die Regierung sucht sie zu löschen, doch sie kommt mit dem Löschen nicht nach. Die Brände, die wir legen, werden immer grösser. Daher werden wir am Ende gewinnen!“
Die Gegenseite, mit dem staatlichen Fernsehen, das sie unterstützt, weist darauf hin, dass sie stets in der Lage ist, die Rebellen "die vom Ausland her unterstützt werden" (was man nicht wirklich leugnen kann) immer wieder zu schlagenb, sooft sie versuchen, "Syrien zu zerstören".
Man verdanke dies "unserer heldenhaften Armee". Die übrigens gegenwärtig verstärkt werden soll durch freiwillige Milizionäre, die sich ausbilden lassen, um ihr Hilfsdienste zu leisten. Was ein gewisses Eingeständnis impliziert, dass die Armee für die Aufgaben, die sie erfüllen soll, zu wenige Mannschaften aufweist.
Und die Kampfmoral?
Zur Lagebeurteilung gehört natürlich auch die Moral und die Zusammensetzung der Bewaffneten beider Seiten. Die Überläufer verweisen auf den grössten Schwachpunkt der Armee. Von ihnen ist daher im Regierungsnarrativ nie die Rede. Als ob sie nicht existierten. Doch es gab sie und gibt sie weiter. Dies ist der Fall, weil die Streitkräfte eine eigene Komposition aufweisen. Sie gelten als "national", doch sie sind von Offizieren und Sicherheitsleuten aus der alawitischen Minderheit kontrolliert, zu der auch die Asad-Familie und die bestimmenden Spitzen der zivilen Sicherheitsbehörden und der 13 Geheimdienste Syriens gehören. Sie kontrollieren das Land seit Asad Vater, dessen Machtherrschaft 1970 begann.
Die alawitische Minderheit macht höchstens 13 Prozent der Bevölkerung aus. Andere Minderheiten halten zu ihr, die Christen (etwa10 Prozent), die Drusen vorsichtig (3 Prozent), die 12-er-Schiiten (noch weniger), weil ihre führenden Leute meist fürchten, auch sie würden stürzen und leiden, wenn die alawitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit mehr oder weniger blutig von der Macht entfernt werde, die sie nun über vier Jahrzehnte hin ausgeübt hat.
Die Sunniten lehnen sich auf
Wer sie stürzen würde, wäre natürlich in erster Linie die sunnitische Mehrheit der Bevölkerung, die über 70 Prozent der Syrer umfassen dürfte. Die Sunniten dienen in der nationalen Armee. Die Überläufer stammen aus ihren Rängen. Die Armee verfügt allerdings auch über Sondereinheiten, die ganz aus Alawiten zusammengesetzt sind. Einige dieser Truppen dürften jene sein, die gegenwärtig am meisten beansprucht werden. Sie können jedoch nicht überall gleichzeitig kämpfen.
Andere der rein alawitischen Sondertruppen werden in Reserve gehalten, um den Präsidenten persönlich, seine Familie und seine Regierung zu schützten. Es soll Einheiten der nationalen Armee geben, die als unsicher gelten und aus diesem Grunde in den Kasernen gehalten werden. Wenn sie in Nahkämpfen mit den Rebellen eingesetzt würden, oder auch nah an den syrischen Grenzen, könnten sie überlaufen.
Die Aufständischen unterscheiden sich auch
Auch die Aufständischen bestehen aus heterogenen Gruppen. Zwar sind sie weit überwiegend Sunniten, doch bekanntlich bestehen heute sehr viele, sehr unterschiedliche und oft gegeneinander feindliche Varianten des sunnitischen Islamverständnisses.
Unter diesen "sunnitischen" Kräften treten jene der aktivistischen und radikalen Minderheiten hervor. So gut wie alle Beobachter, die, nicht ohne Risiken, im Lande selbst mit den Rebellen Kontakt unterhielten, sind der Ansicht, dass die radikal islamistischen Kampfgruppen gegenwärtig die wirksamsten seien. Sie haben auch immer wieder Erfolge zu melden. Sie gelten als die Best-disziplinierten, die Best-bewaffneten und die Best-finanzierten. Weil dies der Fall sei sollen manche der Kämpfer aus anderen Gruppen, von denen es buchstäblich Hunderte geben muss, sich ihnen anschliessen, oder mit ihnen zusammenarbeiten wollen.
Die radikalen Jihad-Kämpfer unternehmen offenbar auch die entschlossensten und best-organisierten Versuche, die Zivilbevölkerung, in den von ihnen (mehr oder weniger vorübergehend) beherrschten meist ländlichen Gebieten zu unterstützen, zu organisieren und sie in ein Scharia Rechtssystem einzurahmen, das zwar sehr improvisiert wirkt, aber doch als besser empfunden wird, als Rechtlosigkeit..
Die internationale Verknüpfung
Ihre Vorteile sind zuerst die Kampfentschlossenheit und Opferfreudigkeit, doch auch, dass sie über ein Netz von Sympathisanten und einen Zustrom von Militanten verfügen, die sie über die Türkei, aus Nordirak, aus Libanon, vielleicht auch aus Jordanien erreichen. Manche von ihnen sind kampferfahren, seit ihren Afghanistan-Tagen und ihrem Jihad in Bosnien, Algerien, im Irak, in Libyen.
Sie haben heute ein Interesse daran, sich nicht allzu radikal zu gebärden. Dies erleichtert ihre Zusammenarbeit mit anderen Widerstandsgruppen und erhöht ihre Chancen, vom Golf aus unterstützt zu werden.
Islamischer Staat
Die bekannteste all dieser Gruppen, die Nusra-Front, wurde von dem Amerikanern auf ihre Terrorliste gesetzt. Sie hat sich verschiedentlich für schwere Selbstmordbombenanschläge verantwortlich erklärt, die auf Regimeanhänger in Damaskus und anderen Ortes abzielten, aber viele Zivilisten ohne Unterschied töteten.
Die Nusra-Kämpfer und ihre Gesinnungsgenossen sagen klar und deutlich, sie strebten einen "islamischen Staat" in Syrien an. Nicht etwa "Demokratie". Wie genau dieser islamische Staat aussehen soll, sagen sie nicht und wissen es wohl selbst nur in den gröbsten Umrissen. Der islamische Staat wird sich, ihrer Meinung nach, gewissermassen von selbst einstellen, indem man die Scharia Gesetze befolgt, so wie sie sie auffassen und auslegen wolle
Wie gross im gesamten Widerstand der Anteil von Gruppen ist, die einen islamischen Staat anstreben, kann niemand mit Sicherheit sagen, schon weil die Gesamtzahl der Aufständischen unbekannt ist. Die Zahlen und Zahlenverhältnisse sind wahrscheinlich nicht besonders stabil. Sie dürften mit den Ereignissen, mit Ebbe und Flut des Widerstandes in den ganz unterschiedlich beherrschten und leidenden Landesteilen auf- und absteigen, und auch die Verteilung auf diese und jene Gruppe unter den unterschiedlichen Kommandanten ist wahrscheinlich nicht besonders stabil.
Das Gewicht der Islamisten nimmt zu
Doch was aus allen Berichten deutlich erkennbar hervorgeht, ist der Umstand, dass sich die Zeit für die radikalen Gruppierungen arbeitet. Dies jedenfalls solange der Gesamtrahmen bleibt, wie er heute ist, einschliesslich des offiziell geltenden europäischen und amerikanischen Waffenembargos. In der gegenwärtigen Lage sitzen die radikalen islamistischen Kämpfer am längeren Hebel. Dies ihres Prestiges, ihrer Zielstrebigkeit, ihrer inneren Disziplin und ihrer Kampfleistung wegen sowie auch dank des Umstandes, dass sie am ehesten und am meisten von der Unterstützung mit Waffen und Geld profitieren, die Saudiarabien und andere Golfstaaten für sie bereit stellen.
Sie verfügen auch über die besten zwar klandestinen aber alteingespielten internationalen Verbindungen. Sie verfügen über ein Netzwerk, um diese Verbindungen zu betreiben, und sie besitzen anonyme aber schwerreiche Förderer.
Asad oder seine Gegner?
Die Diskussion über die Zukunft Syriens auf Seiten der westlichen Industriestaaten steht angesichts dieser Lage vor zwei Extremlösungen, zwischen denen ein Fächer von möglichen Zwischen- und Kompromisslösungen liegt. Die Extreme wären, entweder den Aufständischen soweit und so energisch zu Hilfe zu kommen, dass sie die syrische Armee, so wie sie heute ist, möglichst rasch besiegen; - oder anderseits, den Aufständischen alle Hilfe abzuschneiden und dadurch dafür zu sorgen, dass Asad sie besiegt und Syrien erneut, aber natürlich nun um noch ein Vielfaches brutaler, seinen Geheimdiensten unterstellt.
Es gibt Risiken bei beiden Extremen. Wenn das Waffenembargo wegfällt, offen oder versteckt, könnten sich beide, Russland und Iran, oder nur einer von beiden, entscheiden, ihrerseits der syrischen Regierung noch energischer Hilfe zu leisten als bisher. Etwa indem sie "Techniker" und "Berater" oder sogar Milizen von Freiwilligen dorthin entsenden würden. Was wahrscheinlich eher von Iran zu gewärtigen wäre als von Russland. Beide Mächte haben Zugriff auf Syrien, Russland über Lufttransporte und über die Häfen von Tartous und Lattakiya; Iran auf dem Luftweg aber auch via den Irak, dessen Regierung der iranischen nahe steht.
Die russische Mantra: kein Regimewechsel!
In Libyen haben sich die Russen, trotz ihrer Empörung über das westliche Vorgehen, der Unterstützung Ghadhafis enthalten. Doch Asad ist für sie ein ganz anderer Fall, und noch einmal ein Libyen mit "Regimewechsel" wollen sie nicht.
Mit Iran steht der Westen in Divergenz und hat sogar letztlich Krieg angedroht wegen der atomaren Frage. Der Zwist mit Iran könnte sich auch wegen der Syrien-Frage soweit erhitzen, dass ein Syrien-Krieg sich auch auf Iran ausdehnte. Für die meisten der Nahostbeobachter, mit Ausnahme von manchen sehr pro-isaelischen, wäre das ein Horrorszenario, schlimmer noch in seinem Ablauf und in seinen Folgen als der jüngste Irak-Krieg der Amerikaner.
Asad stützen?
Wenn die westlichen Staaten sich dagegen kaltblütig für einen Sieg Asads entschieden, müssten sie die Möglichkeit in Rechnung stellen, dass das Regime trotzdem seinen Sieg so schnell nicht erreichen könnte - oder gar nicht. Die kalte Schulter des Westens gegenüber dem Widerstand könnte auch bloss eine lange Dauer von Verzweiflungskämpfen in Syrien bedeuten. Viel hinge wohl davon ab, wieweit sich die Saudis und die Golfpotentaten einer solchen westlichen Politik fügen, und in wieweit sie diese offen oder heimlich oder auf beiden Wegen unterlaufen würden
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sieg Asads auch unter diesen Umständen erst nach langen, blutigen und zerstörerischen Kämpfen und einer vollen Verwüstung Syriens zustande käme, ist jedenfalls gross.
Die Folgen für die syrische Bevölkerung wären noch katastrophaler als heute, wegen der Kriegsdauer und wegen dem, was nach einem Sieg des Regimes geschehen würde. Ganz abgesehen davon, dass ein Fallenlassen des Widerstandes eine Art von Wortbruch des Westens beinhalten würde.
Das eine nicht tun und das anderen nicht lassen?
Wie sehen die Zwischenlösungen aus? Ein bisschen Unterstützung für die Rebellen aber nichts Entscheidendes, das heisst: keine panzerbrechenden und Kampflugzeuge bekämpfenden Waffen. Dies dürfte bedeuten, dass sich der Krieg unentschieden weiter hinzieht, vielleicht noch einmal zwei oder noch mehr Jahre. Es hiesse aber auch, dass die islamistischen Radikalen immer mehr an Gewicht gewönnen, so dass sie zum Schluss als die syrischen Taleban dastünden, die das erschöpfte und ruinierte Land ganz oder teilweise unter ihre Fuchtel nähmen. Auswirkungen auf die umgebenden Staaten wären wahrscheinlich. Doch kann man heute nicht mit Sicherheit sagen, wo und wie sie sich abspielen werden.
Ein solcher Ausgang, im Falle der Fortsetzung der gegenwärtigen Politik (oder wie immer sonst man das heutige wenig durchdachte Provisorium nennen mag) ist wahrscheinlich, ja erscheint unumgänglich, wenngleich wahrscheinlich noch um einige weitere höchst destruktive Jahre entfernt.
Friedenstruppen?
Seit der Bürgerkrieg seinen Anfang nahm, haben die Aufständischen beständig Gelände gewonnen, aber es wegen der schweren Waffen der Armee und ihrer Feuerkraft nie permanent zu halten vermocht. Dies würde wahrscheinlich so weiter gehen und zu einer Teilung des Landes in Teilherrschaften unter Kriegsbanden führen, die man heute oft als "Somalisierung" beschreibt. Hauptkraft in diesen somalischen Zuständen würden fast sicher die radikalen Islamisten werden
Vielleicht würde der Westen sich entschliessen, ihnen, wie den Schabab in Somalia, eine von der UNO organisierte Miliz entgegenzustellen. Ob es dann drei Hauptkräfte gäbe, die Alawiten mit ihren schweren Waffen in einem alawitischen "reduit"; die Islamisten als ihre Hauptgegner und "Friedenssoldaten" der Uno oder der Arabischen Liga, mit oder ohne Zustimmung der Russen und der Iraner dazwischen ? Könnte das dann, wie Kaschmir, 60 Jahre lang weiter dauern?
Versöhnungsschritte?
Gibt es Friedenslösungen? Der Imperativ: "Es muss solche geben!" genügt nicht, um sie zu schaffen. Solange beide Seiten im syrischen Bürgerkrieg fest daran glauben, dass sie am Ende gewinnen werden, bleiben Friedensversuche utopisch. Die Siegesgewissheit auf beiden Seiten ist ungebrochen.
Jedoch, könnte man beide Seiten dennoch davon überzeugen, dass ihr Krieg, das Land und sie selbst nur weiter ins Elend führt? Das ginge vielleicht, wenn von beiden Seiten im Ausland die Unterstützung eingestellt würde. Doch die Russen werden dazu die Hand nicht bieten und auch die Iraner nicht, denn die Wahrscheinlichkeit wäre gross, dass dann die Asad-Regierung verschwinden müsste; also doch ein "Regimewechsel" einträte.
Die Versuchung für alle Seiten ist gross, nichts Entscheidendes zu unternehmen, weil alle Entscheidungen gefährlich sind. Man kann natürlich immer so tun, als täte man etwas, und sich damit aus der Affäre ziehen. Boykottmassnahmen dienen solchen Zwecken, weil erwiesen ist, dass sie bei der boykottierten Macht nur die Kriegsmentalität zementieren, auf Kosten der wehrlosen Bevölkerung, die in eine Mangel- und Kriegswirtschaft gezwungen wird.
Befriedungsversuche?
Vom Frieden zu reden und unter Asad Wahlen oder Versöhnungsversammlungen durchzuführen, dient nur dem Regime zum Zeitgewinn. Denn es behält die Polizei und Geheimdienstkräfte bei, die stets dafür sorgen können, dass eine entwaffnete Bevölkerung zu schweigendem Konformismus gezwungen wird. Dafür haben sie ihre Kerker und Schergen.
Wenn das Regime jedoch veranlasst oder gezwungen würde, seine Sicherheitskräfte aufzugeben oder zu neutralisieren, würde es sofort in sich zusammenstürzen. Es besteht im Wesentlichen aus seinen Sicherheitsschergen. Sie werden die letzten Regimeteile sein, die ihre Macht verlieren. Asad selbst befindet sich in ihrer Hand. Sie lassen ihn hoch leben, solange er sich ihrem Willen fügt. Es gibt Episoden, die dies sehr deutlich zeigen.
Eine Entscheidung ist nötig
Es scheint keinen anderen Ausweg zu geben: Die westlichen Mächte stehen vor der Wahl: entweder so weiter zu machen wie bisher, möglicherweise mit noch etwas mehr beschönigender Dekoration. Dies führt unausweichlich zu einem langen Krieg mit der völligen Zerstörung Syriens und dem darauffolgenden Bandenunwesen, sowie höchstwahrscheinlich zur Verstärkung der jihadistischen Gruppen lokal wie regional. Als die andere Alternative erscheint: eine Entscheidung herbeizuführen, für oder gegen Asad.
Dass die westlichen Mächte sich durchringen könnten, den Widerstand fallen zu lassen und Asads Macht zu verlängern, ist nicht sehr wahrscheinlich. Umgekehrt, dem Widerstand entscheidend zu helfen, ist nicht ohne Gefahr. Doch nichts zu tun und ohne klare Entscheidung mit blossen Massnahmen der Gesichtsrettung so fortzufahren wie bisher, bringt mit Sicherheit einen langen Krieg mit all seinen humanitären Folgen für die guten 21 Millionen Bewohner Syriens. Seine politisch gewichtigste Konsequenz dürfte werden, dass die radikalen Islamisten an Macht gewinnen und die Ruinen von Syrien beherrschen könnten.