Deutschland und Tschechien haben die Schweiz um den Erwerb eingemotteter Leopard 2-Panzer gebeten. Sie sollen Lücken füllen, die in diesen Ländern durch Panzer-Lieferungen in die Ukraine entstanden sind. Verteidigungsministerin Amherd hat eingeräumt, dass die Schweiz grundsätzlich auf einen Teil ihrer stillgelegten Panzer verzichten könnte. Doch Politiker links und rechts blasen mit neutralitäts- und sicherheitspolitischen Wortklaubereien zum Widerstand gegen einen solchen Transfer, obwohl keine Schweizer Panzer in die Ukraine weitergegeben würden.
Die aargauische FDP-Nationalrätin Maja Riniker hatte die Idee schon vor einigen Wochen lanciert. Von den 96 in einem Depot eingemoteten Leopard-2-Panzern der Schweizer Armee könnte zumindest ein Teil an Länder verkauft werden, die nicht am Krieg in der Ukraine beteiligt sind, die aber durch bereits im Gange befindliche oder in Aussicht stehende Panzerlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine aktuellen Bedarf zum Auffüllen ihrer Bestände haben.
Vorstoss von FDP-Nationalrätin Riniker
Die Politikerin begründete ihren Vorstoss mit dem Argument, dass damit dieses von der Schweiz stillgelegte Kriegsmaterial durch einen solchen Transfer «noch einmal eine Sicherheitswirkung» für ganz Europa entfalten könnte, indem entstehende Lücken gefüllt würden. Ausdrücklich will Marja Riniker ihren Vorschlag nicht als Ringtausch verstanden wissen, weil die Lieferung ausgemusterter Panzer an Drittstaaten nicht ausdrücklich mit einem bestimmten weiteren Geschäft verknüpft wäre.
Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd hat diese Woche in ihrer Antwort auf die Anfrage Riniker bestätigt, dass die Schweiz im Prinzip auf eine gewisse Anzahl der eingemotteten Leopard 2 verzichten könnte. Allerdings käme das aus offizieller Sicht nur für eine sehr begrenzte Anzahl von rund einem Dutzend in Frage. Der grosse Rest soll für einen möglichen Ausbau der schweizerischen Panzerverbände zur Verfügung stehen. Indessen wäre die Modernisierung und neuerliche Indienstnahme der eingelagerten Panzer laut Amherd frühestens im nächsten Jahrzehnt möglich. Gegenwärtig stehen der Armee 134 einsatzbereite Leopard-2-Panzer zur Verfügung.
Der Vorstoss von Maja Riniker zum Verkauf oder zur Weitergabe einiger stillgelegter Panzer ist inzwischen durch eine offizielle Anfrage aus Deutschland unerwartet aktuell geworden. Die deutsche Regierung schlägt vor, dass die Rüstungsfirma Rheinmetall, die die Leopard 2 hergestellt hatte, einige der von der Schweiz eingelagerten Kampffahrzeuge zurückkaufe und diese dann von der Bundeswehr übernommen würden. Damit könnten deren Bestände wieder erhöht werden, nachdem Berlin sich zur Lieferung von 14 Leo 2 an die Ukraine verpflichtet hatte. Ausdrücklich soll in dem Schreiben aus Berlin versichert werden, dass die aus der Schweiz übernommenen Panzer nicht an die Ukraine transferiert würden.
Chor der Bedenkenträger
Die Reaktionen aus den politischen Reihen auf den Vorschlag der FDP-Politikerin Riniker und die konkrete Anfrage aus Deutschland (ein ähnliches Gesuch soll auch aus Tschechien vorliegen) tönen wenig ermutigend. Es sind vornehmlich Bedenkenträger und orthodoxe Neutralitäts-Fetischisten, die sich bisher zu Wort gemeldet haben. Dass aus dem SVP-Lager keine Stimmen zu vernehmen sind, die der Idee einer Verwendung ausgedienter helvetischer Panzer im Dienste europäischer und ukrainischer Sicherheitsinteressen Sympathien entgegenbringen könnten, versteht sich. In dieser Partei verschanzt man sich lieber hinter dem Popanz einer «integralen Neutralität» die die Schweiz angeblich seit 500 Jahren gelebt und praktiziert habe.
Nach Auffassung von SVP-Gralshütern wie Blocher oder Köppel wäre jede weitere Annäherung an die EU oder pragmatische Zusammenarbeit mit der Nato eine Art Todsünde gegen das hochheilige Neutralitätsprinzip. Schon die Übernahme wirtschaftlicher EU-Sanktionen gegenüber Russland nach dem mörderischen Überfall auf die Ukraine wird von radikalen SVP-Exponenten als Verrat an der angeblichen Grundmaxime des schweizerischen Selbstverständnisses gegeisselt.
Aber auch FDP-Präsident Thierry Burkhart hat deutliche Bedenken gegen den Vorschlag seiner Parteigenossin Riniker angemeldet, ausgediente Leopard 2 an befreundete europäische Staaten weiterzugeben. Nach seiner Auffassung zählen die eingemotteten Panzer zu einer strategischen Reserve, die man möglicherweise gebrauchen würde, «um wieder verteidigungsfähig zu werden». Weshalb die Schweiz heute nicht mehr «verteidigungsfähig» sein soll und wer das zwingend festgestellt haben soll, bleiben völlig unbeantwortete Fragen. Ebenso schleierhaft ist, ob es zur Herstellung einer vollen Verteidigungsfähigkeit unseres Landes tatsächlich auf jenes gute Dutzend Leos ankommt, die gemäss Verteidigungsministerin Amherd allenfalls für den Export freigegeben werden könnten.
Juristische Argumente ohne politischen Kontext
Doch Widerstände gegen eine flexiblere Handhabung der neutralitätspolitischen Praxis beim Waffenexport zu Gunsten der Ukraine sind auch aus den Reihen der Sozialdemokraten laut geworden. So hat diese Woche der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch im Parlament heftig gegen eine Motion Burkhalters argumentiert, die Weitergabe von in der Schweiz gekauftem Kriegsmaterial in bestimmten Fällen zu erleichtern. Konkret geht es um Schweizer Munition für Gepard-Flugabwehrpanzer, die Deutschland und Dänemark der Ukraine zur Verfügung stellen wollten. Jositsch lehnte eine solche Lockerung der erst vor zwei Jahren verschärften Weitergabe-Bestimmungen vehement ab und berief sich dabei auf rein juristische Argumente, die sich wiederum auf neutralitätspolitisch begründete Gesetze stützen.
Aber gerade im Zusammenhang mit dem grauenvollen Krieg, den Putin unter Missachtung sämtlicher völkerrechtlicher Grundsätze gegen die Ukraine führt, zeigt sich, dass man mit rein juristischer Prinzipienreiterei auf die kollektive Herausforderung nicht überzeugend reagieren kann. Dazu müssen auch politische Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die danach fragen, wie man dem überfallenen Land am besten hilft, sich gegen diese rücksichtslose Aggression zu wehren. Burkhart ist mit seinem gut gemeinten, aber schlecht koordinierten Lockerungsvorschlag, der in einem gewissen Gegensatz zu seiner unflexiblen Haltung in der Frage des Panzer-Exports steht, im Ständerat gescheitert. Seine Motion fand keine Mehrheit.
Am Mittwoch ist im Nationalrat ein weiterer (ursprünglich von FDP und SP gemeinsam konzipierter) Anlauf zur Lockerung der Waffenausfuhrbestimmungen versenkt worden. Bei dieser Variante sollte dem Bundesrat ermöglicht werden, die Weitergabe von exportiertem Kriegsgerät zu erlauben, wenn entweder der Uno-Sicherheitsrat oder eine Zweidrittelmehrheit der Uno-Generalversammlung einen militärischen Angriffskrieg wie jener Russlands gegen die Ukraine verurteilen würde. Trotz des Scheiterns der beiden Flexibilisierungsversuche ist das Thema einer indirekten Erleichterung von Waffenlieferungen an die Ukraine indessen noch nicht endgültig begraben. Es dürfte im Zusammenhang mit der noch nicht beantworteten Anfrage Deutschlands über einen Rückkauf stillgelegter Leo-Panzer neue Wellen schlagen.
Auch Neutralitätspolitik ist nicht in Stein gemeisselt
Auch im Zusammenhang mit der von SVP-Chefdirigent Blocher angestrebten Volksabstimmung über eine verengte Festschreibung von Neutralität in der Bundesverfassung bleibt festzuhalten: Eine unverrückbare, eindeutige und angeblich für immer zementierte Auffassung von Neutralität hat es nie gegeben. Wie der Historiker Georg Kreis und andere Experten in jüngster Zeit dargelegt haben, zeigt die Schweizer Geschichte, dass es für die Interpretation und Handhabung der Neutralität stets einen pragmatischen Gestaltungsspielraum gegeben hat – und dieser auch genutzt wurde. Nicht zu bestreiten ist, dass im Zweiten Weltkrieg die Neutralität gegenüber dem übermächtigen Deutschland etwa in Sachen Waffenlieferungen kaum derart «integral» eingehalten wurde, wie das die heutige SVP-Orthodoxie behauptet.
Ein anderes Beispiel ist die geänderte Einstellung der Schweiz zur Uno. Jahrzehntelang galt nach dem Zweiten Weltkrieg das heute skurril anmutende Mantra, die Schweiz könne aus neutralitätsrechtlichen Gründen nicht Uno-Mitglied werden. Noch 1986 lehnten in einem Volksentscheid 75 Prozent der Abstimmenden eine solche Mitgliedschaft ab. 16 Jahre später hingegen wurde der Beitritt mit 54 Prozent Ja-Stimmen akzeptiert.
Die Hoffnungen sind deshalb nicht ganz unbegründet, dass bei derart unfassbaren Gewaltverbrechen wie Putins Vernichtungskrieg gegenüber der Ukraine auch in der Schweiz eine flexiblere und moralisch glaubwürdigere Auffassung von Neutralitätspolitik eines Tages mehrheitsfähig wird. Eine Politik, die die Neutralität nicht in ein stures Korsett zwängt, sondern Bewegungsmöglichkeiten offen lässt. Und es so möglich macht, einem eindeutigen Aggressionsopfer zumindest die waffenmässige Unterstützung durch andere Länder nicht zu erschweren, sondern zu erleichtern.
Zu wünschen bleibt, dass eine solche Interpretation sich durchsetzt, solange die Ukraine davon noch profitieren kann.