Die Maske ist gefallen: „Lasst sie euch Rassisten nennen, lasst sie euch Fremdenhasser nennen, lasst sie euch Nativisten nennen. Tragt dies als Ehrenabzeichen.“ Also sprach der Alt-Right-Zarathustra Steve Bannon. Er stieg nicht vom Berg, sondern hielt im März 2018 eine Rede vor Mitgliedern des Front National in Frankreich.
Man neigt dazu, das reaktionäre Gedöns rechts liegen zu lassen und ihm nicht über Gebühr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber Bannon mag in der offiziellen Politik auch ein „dead dog“ sein, er ist auch oder gerade als solcher ernstzunehmen, immer gut jedenfalls als Exemplar für eine linguistische Abart: das neurechte Neusprech.
Stolz als Tugendschmied
Anders als etwa Alexander Gauland von der AfD, der die Deutschen aufforderte, stolz auf ihre Geschichte zu sein und die Nazivergangenheit als Vogelschiss abzuwischen, benützt Bannon den Stolz dazu, ein Laster in eine Tugend umzuschmieden. Sein Neusprech will negativ besetzte Begriffe wie „Rassist“, „Fremdenhasser“ oder „Nativist“ positiv umdeuten. Das ist nicht bloss eine linguistische Umwertung, das läuft implizit auf die Aufwertung von Irrationalität, Ignoranz und Idiotie als Tugend hinaus.
Tatsächlich bedeuten ja die Worte Bannons die ausdrückliche Gutheissung von Voreingenommenheiten der übelsten Sorte, ja, der Veredelung von Eingeweidereaktionen und Atavismen. Es gibt nicht nur alternative Fakten, es gibt auch alternative Legitimationen, zum Beispiel jene des trotzigen Man-wird-das-wohl-noch-sagen-Dürfens. Mit Karl Valentin gesprochen: „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ Nun gibts das Neusprech: Dank ihm darf man sich getrauen.
Das Beispiel „Fanatismus“
Bannons linguistische Subversion erinnert natürlich an die Sprache des Dritten Reichs, die LTI – „Lingua Tertii Imperii“ –, wie sie Victor Klemperer in seinem „Notizbuch eines Philologen“ abgekürzt hat. In einem kurzen Kapitel zeichnet Klemperer die Transformation der Sprache am Beispiel des Wortes „fanatisch“ nach. „Fanatisch“ trägt ja die negative Nebenbedeutung des Irrationalen, im Kontrast etwa zu „leidenschaftlich“:
„Da der Nationalsozialismus auf Fanatismus gegründet ist und mit allen Mitteln die Erziehung zum Fanatismus betreibt, so ist fanatisch während der ganzen Ära des Dritten Reichs ein superlativisch anerkennendes Beiwort gewesen. Es bedeutet die Übersteigerung der Begriffe tapfer, hingebungsvoll, beharrlich, genauer: eine glorios verschmelzende Gesamtaussage all dieser Tugenden.“
„Fanatische Gelöbnisse“ oder „fanatische Bekenntnisse“ waren an der Tagesordnung. Sogar das Militär übernahm den Nazigebrauch des Wortes. In einem Heeresbericht aus dem Jahre 1944 steht: Unsere in der Normandie „fanatisch kämpfenden Truppen“.
Wittgensteins Lektion
Ist es so abwegig anzunehmen, dass „Rassismus“ oder „Fremdenhass“ eine ähnliche Karriere in Kreisen erfahren könnten, in denen Bannons Aufforderung ein offenes Gehör findet? Bannon scheint eine berühmte Lektion Ludwig Wittgensteins zu beherzigen: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Man ändere also den Sprachgebrauch und schon hat das Wort eine andere Bedeutung.
Den Sprachgebrauch ändern heisst in unserem Fall: Rassisten und Fremdenhasser mit der Botschaft einseifen, das, was sie denken und tun, sei nur übel, weil andere – „die“ Liberalen – es als übel bezeichnen. Dabei handle es sich doch um eine tiefe und kräftige Wurzel menschlicher Tugenden. Gewiss, wir leben nicht im Dritten Reich. Aber das Miasma dieser Zeit hockt in den verklebten Gehirnwinkeln nicht weniger, und es kann durch geschickte Sprachmanipulation leicht daraus gelöst werden und die Luft verpesten.
Feindbild Aufklärung
Dass die wüsten und wilden Ausbrüche der menschlichen Psyche nur gezähmt und in die „richtige“ Richtung geleitet werden müssen, um sich in Tugenden zu verwandeln, ist ein altes Argument. Rousseaus savoyardischer Vikar bringt es vor – in einer Fussnote des „Emile“: „Fanatismus, obgleich blutrünstig und grausam, (ist) dennoch eine grosse und starke Leidenschaft, die des Menschen Herz erhebt, ihn den Tod verachten lässt, ihm eine ungeheure Tatkraft gibt, und den es nur besser zu lenken gilt, um ihm die erhabenen Tugenden abzugewinnen; während auf der anderen Seite der Unglaube, und ganz allgemein das klügelnde Aufklärertum (...) zur Verweichlichung, zur Erniedrigung der Seelen führt, alle Leidenschaften an gemeine Privatinteressen, an verwerflichen Egoismus wendet und derart die wahren Grundlagen jeder Gesellschaft heimlich untergräbt.“
Geschickt gehandhabter Fanatismus gegen klügelndes Aufklärertum – heute heisst das: Wir-Gefühl und Volkswille gegen Liberalismus und Universalismus. Letztere haben zu Verweichlichung, Verspiessung und zur zivilen Zähmung der politischen Fronten geführt. Der zum Grossdenkertum berufene deutsche Verleger Götz Kubitschek stimuliert sich mit Ernst Jüngers „erregender Ungezähmtheit“, mit Kampfsau-Sätzen wie „Es wird nicht protestiert in Vortragsreihen, sondern sehr sachlich und nüchtern mit Handgranaten und Maschinengewehren auf dem Strassenpflaster“; empfindet nur „intellektuellen Ekel vor allzu unbemühtem Denken“, und hat die „Schnauze voll (...) von der Lügerei und dem Vertuschen, dem miesen Kampf auf der hohl gewordenen, etablierten Seite, und der denkfaulen und phrasigen Lässigkeit“. Dagegen mobilisiert Kubitschek vor allem in seiner Postille „Sezession“ ein Neusprech der phrasigen Lässigkeit eigener Art.
Causa Gedeon – antisemitisches Neusprech
Ein lehrreiches Beispiel bietet die Aufarbeitung der „Causa Gedeon“, des Baden-Württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der mit Aussagen der Sorte „Die Juden sind der innere Feind des christlichen Abendlandes“ seiner Partei ein dickes Kuckucksei bescherte. In einem längeren Briefwechsel versuchen Kubitschek und der AfD-Philosoph Marc Jongen, diesen flagranten Antisemitismus doch irgendwie ins Salonfähig-Nachvollziehbare umzubiegen: Man will ja kein Antisemit sein, aber Gedeon ist durchaus eine „redliche“ Gesinnung zu attestieren, obwohl er mit seinen kruden Äusserungen „unserem Land nicht gut (täte), setzte er sich durch,“ so Kubitschek. Theorien über jüdische Weltverschwörung sind in seinen Augen „lehrreich, aber nicht hinreichend“.
Was wäre denn hinreichend? Nun, zum Beispiel die Charakterisierung, dass die Juden „aufgrund intensivster Identitätserzählung, Abstammungsdisziplin und dem Bewusstsein göttlichen Auserwähltseins sich als unverwechselbare Gruppe behauptete(n)“. Weltverschwörungstheorien sind so was von vulgär, da muss gehobenere Judenverachtung her. Schon Horkheimer und Adorno hatten solche Entstellungen als konzeptuellen Rassismus entlarvt: „Dass einer Jude heisst, wirkt als die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht.“ Antisemitisches Neusprech kann auch „Judentum, Zionismus oder Holocaustindustrie“ in einem Atemzug nennen oder Kritik an Wolfgang Gedeon als „weltanschaulichen Hygienefimmel“ pathologisieren. Seid doch nicht so reinlichkeitsbesessen, Leute, Dreck ist gesund.
Der anständige Rassismus
„Hat der Fanatismus das Gehirn einmal verpestet, so ist die Krankheit fast unheilbar“, schreibt Voltaire in seinem philosophischen Wörterbuch. Und weiter: „Es gehört Geschick dazu, Fanatiker aus den Menschen zu machen und sie dementsprechend zu lenken. Aber Schwindel und Dreistigkeit allein genügen nicht. (Alles hängt davon ab), im richtigen Augenblick auf die Welt zu kommen.“
Der richtige Augenblick – begünstigt er das Neusprech und den unsäglichen Bullshit, der allüberall abgesondert wird? Jedenfall häufen sich die Anzeichen, dass Rassismus, Fremdenhass, Nativismus mit Anstand und Stolz getragen werden. Wie der Journalist Richard C. Schneider kürzlich über populistische Bewegungen feststellte: „Faszinierend zu beobachten ist, wie solche Bewegungen bei Wahlkämpfen tunlichst darauf achten, ja nichts Antisemitisches zu sagen. Denn in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung kommt offen geäusserter Antisemitismus einem politischen Todesstoss gleich mit entsprechendem Wahlausgang.“ So etabliert sich ein heimtückischer Sprachgebrauch, der „nichts gesagt haben will“ und doch alles sagt. Wie schrieb Brecht: „Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“