Bis kurzem war ich der Meinung, dass die von kämpferischen Feministinnen und ihren Verbündeten verlangte generelle Anwendung einer gendergemässen Sprache gemäss ihren Vorstellungen im Deutschen sich kaum durchsetzen werde, solange die grossen Zeitungen und sogenannten Leitmedien sich diesem Anspruch verweigerten. Dass diese einflussreichen Publikationen sich sträuben, die neuen angeblich geschlechtermässig korrekten Zeichen wie das Gendersternchen, den Gender-Doppelpunkt, das Binnen-I oder den Gender-Unterstrich zur Sprachnorm zu machen, hielt ich für völlig einleuchtend: zu kompliziert, zu leseunfreundlich und zu abschreckend für den normalen Zeitungsleser. Welcher Herausgeber oder Chefredaktor kann schon daran interessiert sein, seine zahlenden Kunden mit solchen Zeichen-Mätzchen vor den Kopf zu stossen?
Aggressive und gemässigte Anpassungen
Nun aber gibt es Anzeichen, dass diese Front zu bröckeln beginnt. Vor kurzem veröffentlichte der deutsche «Spiegel» eine eher komplizierte Erklärung, in der es heisst, die Zeitschrift werde in bestimmten Fällen Substantive, die männlich oder weiblich gemeint sein können, mit dem Doppelpunkt-Zeichen gendern. Also Lehrer:innen, Schriftsteller:innen usw. Ist das der Anfang einer breiteren Hinwendung selbst unter den Schwergewichten auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt zu den umstrittenen Genderzeichen? Schon zuvor haben andere, wenn auch etwas weniger prominente deutschsprachige Magazine zumindest ansatzweise Schritte in Richtung neue Gendersprache unternommen.
Allerdings muss man wohl unterscheiden, zwischen der von vielen Lesern als aggressiv und lesehemmend empfundenen Genderformen wie die Verwendung von Zeichen wie *, :, _ oder Binnen-I. Auf der andern Seite gibt es auch gemässigte Anpassungen an die sogenannte Gendergerechtigkeit. Beispiele dafür sind die gleichzeitige Nennung der männlichen und der weiblichen Form eines bestimmten Substantivs, also: Autoren und Autorinnen, Busfahrer und Busfahrerinnen.
Eine andere gemässigte Form ist die abwechselnde Anwendung von generischem Maskulinum und generischem Femininum innerhalb eines Textes. So kann es etwa in einem Satz heissen: Alle Taxifahrer und Busfahrerinnen der Stadt Zürich sind während dieser Feiertage in vollem Einsatz. Aus dem Kontext ist nach kurzer Gewöhnung unschwer zu erkennen, dass bei der maskulinen und der femininen Berufsbezeichnung Männlein und Weiblein gemeint sind. Diese letztere Art des gemässigten Genderns wird neuerdings auch in den Spalten der NZZ oder der deutschen «Zeit» praktiziert, wenn auch nicht mit durchgehender Konsequenz.
Abonnenten drohen mit Kündigungen
Damit sind aber die Entscheidungen, welche Gender-Regel in der deutschen Sprache zur allgemeinen Norm wird, noch keineswegs definitiv gefallen. Denn auch unter den Gegnern der forschen Gender-Aktivisten gibt es Kritiker, die keineswegs gewillt sind, kampflos die Waffen zu strecken und die Kapriolen des Zeitgeists mehr oder weniger resigniert zu dulden. Das zeigt ein Beispiel aus der NZZ zu diesem Thema. Auf der Meinungsseite des Blattes ist vor kurzem ein Beitrag der umtriebigen Feministin Anna Rosenwasser publiziert worden, in dem die Autorin sich nicht ohne Charme als «Sonderzeichen-Feministin» definiert und dezidiert dafür eintritt, diese Zeichen im Namen der Gendergerechtigkeit endlich auch praktisch anzuwenden.
Die Autorin scheint damit einen rohen Nerv zumindest in der Online-Lesergemeinde getroffen zu haben. In kurzer Zeit sind dort in der Kommentar-Rubrik über 360 Stellungnahmen abgegeben worden. Eine gefühlte Mehrheit der Kommentierenden reagiert kritisch bis empört über die Zumutungen der Sonderzeichen-Propagandistin. Einige Stimmen drohen klipp und klar: «Sobald die NZZ anfängt zu gendern, wird das Abo abbestellt.» Eine offenbar aus Deutschland stammende Leserin fragt spitz, weshalb die Gender-Kämpferinnen sich eigentlich nicht beschwerten, wenn bei Begriffen wie Diebe, Geldwäscher, Verschwörungstheoretiker, Spinner, Klimasünder usw. nicht auch die weibliche Form zum Ausdruck komme.
Sprachliche Anpassungen sind nichts Neues
Indessen kann man auch mildere und versöhnlichere Kommentare zum Gender-Plädoyer in der NZZ nachlesen. Es sei ja wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis die neuen Sprachformen für die Geschlechterbezeichnung sich allgemein durchsetzen würden, wird argumentiert. An Beispielen für solche Anpassungen an egalitärere gesellschaftliche Vorstellungen fehlt es nicht. Ältere Semester erinnern sich sicher noch an jene Zeiten, als nichtverheiratete Frauen jeden Alters umstandslos als «Fräulein» angesprochen wurden – obwohl bei unverheirateten Männern nie von «Herrlein» die Rede war.
So spricht einiges dafür, dass im laufenden Geschlechterkampf allerlei sprachliche Anpassungen zur allmählich weitherum akzeptierten Norm werden. Nur sollten solche Veränderungen nicht von irgendwelchen selbsternannten, nicht demokratisch legitimierten Gremien diktiert werden. Und dann stellt sich immer noch die Frage, welche Gender-Variante zur neuen Normalität wird: die gemässigte Form mit dem abwechselnden Gebrauch des maskulinen und femininen Generikums? Oder der «aggressive» Umbruch mit dem schwerfälligen Sonderzeichen-Salat? Ich tippe auf die erstere Variante – auch wenn einige Gruppen in der immer unübersichtlicher werdenden LGBTQ-Buchstabensuppe dagegen weiterhin Sturm laufen werden.