Dass die Wahlsieger, für die auch viele Letten stimmten, nun in der Opposition bleiben, ist ein herber Rückschlag. Das mit seiner Finanzkrise und Auflagen von Währungsfonds und EU kämpfende Land braucht Solidarität und kann sich den Ausschluss eines Drittels der Bevölkerung von der Regierung nicht leisten.
Valdis Zatlers lancierte im Frühling 2011 einen Coup. Weil das erst Ende letzten Jahres gewählte Parlament die Immunität eines Oligarchen nicht aufhob, forderte er Neuwahlen als Protest gegen die Oligarchen und die Korruption. Er wurde dafür vom Parlament nicht mehr wiedergewählt, aber eine Mehrheit von über 90 Prozent unterstützte die Neuwahlen. Diese bestrafte im September die Oligarchen , die über Firmen im Ausland und Einflussnahme im Parlament die lettische Politik beeinflussten, und reduzierte auch deren Parteien. Aber der Triumph der Reformbewegung brachte auch eine unerwartete Wendung.
Das Harmonie-Zentrum eroberte 31 von 100 Sitzen und wurde mit Abstand grösste Partei. Diese vertritt zwar die Interessen der russischsprachigen Letten, die mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Sie zieht aber vor allem in der Haupstadt Riga auch junge Letten an, die schätzungsweise ein Viertel der Stimmen des Harmonie-Zentrums ausmachten. Präsident des Harmoniezentrums ist der junge Nils Usakovs, der seit 2 Jahren auch beliebter Bürgermeister von Riga ist. Die seit ihrer Gründung in der Opposition stehende Partei profitierte von den radikalen Sparmassnahmen, welche die Beamtenlöhne bis zu einem Drittel und die Renten und ein Zehntel kürzten. Usakovs versprach bei den Regierungsverhandlungen die Unterstützung der finanziellen Sanierung.
Zatlers zweiter Streich ging daneben
Das Problem ist, dass sich Lettland den Ausschluss des Wahlsiegers von der Regierung nicht leisten kann. Bei der Regierungsbildung setzten sich nun aber die Gestrigen durch, welche die grosse russische Minderheit ausschliessen möchte und eine Einflussnahme Russlands fürchten. Die Reformpartei des revoltierenden Ex-Präsidenten Zatlers erhielt auf Anhieb 22 Sitze. Einheitspartei und Reformer allein erreichten keine Mehrheit und mussten sich bei der Regierungsbildung entweder für Harmonie-Zentrum oder die Partei der Nationalisten auf dem rechten Flügel entscheiden. In diesem Dilemma lancierte der ehemalige Präsident nochmals Coup und optierte für die Koalition mit dem Harmonie-Zentrum.
Die unerwartete Wendung richtete sich gegen die rechtslastige Nationalistenpartei mit 14 Sitzen. Aber auch Abgeordnete der Einheit von Regierungschef Dombrovskis und Abgeordnete von Zatlers Reformpartei fühlten sich überrumpelt. Einige fordern den Ausschluss der Russischsprachigen, solange diese noch von der „Befreiung“ Lettlands im Zweiten Weltkrieg sprechen statt von einer „Besetzung“.
Der bisher als Sanierer erfolgreiche Regierungschef und die Reformpartei des Ex-Präsidenten konnten daher nur noch mit Hilfe der bisher gemiedenen Nationalistenpartei eine Mehrheit bilden. Mit 56 von 100 Stimmen im Parlament ist die Koalition aber für die Sanierung eher schwach dotiert. Der Wahlsieg des Harmonie-Zentrums wird dabei missachtet und die Integration der Minderheit erlitt einen Rückschlag. Wie soll eine Demokratie funktionieren, wenn mehr als ein Drittel Bevölkerung dauernd von der politischen Verantwortung ausgeschlossen bleibt?