Präsident Macron hat Premierministerin Elisabeth Borne nach 20 Monaten im Amt entlassen und durch den erst 34-jährigen Gabriel Attal ersetzt. Doch eine echte Bedeutung hat das de facto so gut wie keine.
Natürlich wird ein Gutteil der Presse wieder im Kaffeesatz lesen und aus der Besetzung des Amtes des Regierungschefs durch Gabriel Attal, dem bisherigen Bildungsminister, dies oder jenes herauslesen, ebenso aus den Veränderungen an der Spitze mehrerer Ministerien bis Ende der Woche. Man wird in der einen Nominierung ein Symbol für einen weiteren Rechtstrend sehen, in der anderen ein Anzeichen dafür, dass Macron auf sein berühmtes «Sowohl links, als auch rechts» noch nicht ganz verzichtet hat .
Kritik am Neuen
Im Grunde ist aber alles, was mit dieser Regierungsumbildung zu tun hat, für Frankreich und seine Bevölkerung ziemlich egal, denn Macron, der Jupiter, der die Macht nicht zu teilen bereit ist, hat in den bald sieben Jahren im Elysée das Amt des Regierungschefs endgültig zu einem simplen Assistentenposten degradiert.
Und Gabriel Attal, der jüngste Premierminister der 5. Republik, ein Macron-Boy der ersten Stunde, wird diesen Posten nun antreten, auserwählt, weil er Macron zu Füssen liegen wird, wie böse Zungen behaupten.
Andere nannten den aalglatten und smarten 34-Jährigen schlicht einen Klon Macrons. Einer, der von Politik und vom Land Frankreich und seinem Zustand im Grunde kaum eine Ahnung hat. Einer, der wie Macron vor der Präsidentenwahl 2017, niemals irgendwo gewählt worden war und die Hände in den Schmutz des politischen Alltagsgeschäftes stecken musste, sondern seine gesamte bisherige Karriere in den Kabinetten der Ministerien gemacht hatte, um dann von Macron direkt in Ministerämter gehievt zu werden.
Innenminister Darmanin und vor allem Finanz- und Wirtschaftsminister Le Maire sollen sogar empört gewesen sein über diese Wahl des Staatspräsidenten. Bruno Le Maire denke nicht daran, unter der Fuchtel dieses unreifen Bübchens zu arbeiten, hiess es hinter vorgehaltener Hand. Noch bedenkenswerter: Auch Alexis Kohler, Macrons diskreter Schatten, der Generalsekretär des Elyséepalastes, der rund um die Uhr dafür sorgt, dass der Laden läuft, soll sich ebenfalls sehr kritisch über die Nominierung des jungen Attal geäussert, sie einen Fehler genannt haben.
Nichts ändert sich
Am besten hat dieser Tage der linke Europaabgeordnete Raphael Glucksmann in einem Fernsehinterview noch vor Attals Ernennung umschrieben, wie unwichtig letztlich die Übernahme der Regierungsgeschäfte im Hotel Matignon durch einen anderen Premierminister geworden ist .
Frage an den interviewenden Journalisten: «Wollen Sie, dass ich Ihnen sage, wie der nächste Premierminister heisst? – Emmanuel Macron. Und der nächste Verteidigungsminister? – Emmanuel Macron. Und der nächste Innenminister? – Ebenfalls Emmanuel Macron.»
In der Tat ist diese Regierungsumbildung ohne grössere Bedeutung, denn sie wird im Grunde nichts ändern.
Nichts daran ändern, dass der Präsident im Parlament nun einmal über keine Mehrheit verfügt und Gesetze nur am Parlament vorbei durchbringen kann, indem man den längst nicht mehr zeitgemässen Sonderartikel 49.3 der Verfassung anwendet, der eine Gesetzesannahme auch ohne Debatte und Abstimmung im Parlament möglich macht.
Elisabeth Borne musste das in den letzten 20 Monaten insgesamt 23 Mal tun, um z. B. ihren Haushalt zu verabschieden und auch um die höchst umstrittene Rentenreform durchzubringen. Wozu, fragen sich nun viele im Land, hat man dann eigentlich noch eine Nationalversammlung und wie demokratisch ist das Ganze noch?
Oder aber Präsident Macron muss sich, wie jüngst im Fall des höchst umstrittenen neuen Einwanderungsgesetzes, von den Konservativen dieses Gesetz mehr oder weniger diktieren lassen, um sich ihrer Stimmen sicher zu sein. Ein Gesetzestext, der am Ende derart rechtslastig geworden war, dass selbst die 88 Abgeordneten des rechtsextremen «Rassemblement National» von Le Pen dafür gestimmt haben, während sich rund 50 Abgeordnete der Präsidentenpartei weigerten, eben dies zu tun. Mit anderen Worten: das Macron-Lager mit seiner ohnehin nur relativen Mehrheit im Parlament droht auseinanderzubrechen. Niemand kann sich wirklich vorstellen, wie das noch mehr als drei Jahre lang gut gehen soll.
Wohin des Weges?
Ein neuer Premierminister und eine neue Regierung werden schliesslich auch nichts daran ändern, dass Präsident Macron seit Beginn seiner zweiten Amtszeit schlicht nicht mehr in der Lage scheint, ein Ziel vorzugeben, Projekte auf den Weg zu bringen und den Franzosen zu erklären, wohin er das Land eigentlich steuern will. Er werde ein Cap vorgeben, hat er jüngst gleich mehrmals betont, ohne allerdings zu sagen, worin dieses Cap denn bestehen könnte. Oder er redet davon, dass er Frankreich politisch, ökonomisch und zivilisatorisch wieder aufrüsten wolle. Auch das sind vor allem Worthülsen und riecht nach purer Kommunikation. Was sollen eine neue Regierung, ein neuer Premierminister an dieser Orientierungslosigkeit da schon gross ändern können?
Attal ist von Macron auserwählt worden, weil seine Popularitätswerte seit September 2023 als Bildungsminister ständig gestiegen sind – weil er die langen und weiten muslimischen Gewänder für Mädchen an Schulen verboten und versuchsweise wieder Schuluniformen eingeführt hat – und weil der junge Mann ein perfekter Kommunikator ist. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass im kommenden Juni Europawahlen sind und der smarte Attal dem ebenfalls smarten und jungen Jordan Bardella, Parteichef und Spitzenkandidat der extremen Rechten, Paroli bieten soll in einem Wahlkampf, vor dem Umfragen Le Pens «Rassemblement National» mit 28 Prozent rund 10 Prozent vor der Macron-Partei «Renaissance» sehen.
Präsident und Premierminister – einer zu viel?
Das Spektakel rund um diese Regierungsumbildung macht mehr als je zuvor deutlich, dass das bizephale französische System mit einem Präsidenten und einem Premierminister an der Spitze des Staates langsam aber sicher ausgedient hat.
Selten noch waren die Kommentare zu einer Regierungsumbildung so kritisch und frech wie diesmal. Ob nun die bisherige Premierministerin oder ein neuer Premierminister Macrons Aktentasche trage, sei nun wahrlich egal, hiess es etwa und der Chefkommentator von «France Inter» sprach am Montagmorgen davon, dass Ministerinnen und Minister wieder einmal einfach herumgeschoben würden wie alte Ikea-Möbel, ohne dass in diesem Herumschieben ein Sinn zu erkennen sei oder dies auch nur die geringste Bedeutung hätte.
Es mehren sich die Stimmen, die nicht mehr einsehen wollen, dass da ein Präsident, der während seiner Amtszeit vor niemandem, auch nicht vor dem Parlament verantwortlich ist, im Grunde die gesamte Politik bestimmt und einen Premierminister hat, der vor allem als Sicherung dient, die man rausspringen lassen kann, wenn es unangenehm mulmig wird. Ein Premierminister oder eine Preministerin, die in jedem Fall einen dornigen Kreuzweg zurücklegen müssen, aufgerieben und zerrieben werden zwischen einem allmächtigen Präsidenten und einem teils widerspenstigen Parlament. Elisabeth Borne musste in den 602 Tagen ihrer Amtszeit eine Kröte nach der anderen schlucken und am Ende, wie eine tapfere Soldatin, sogar ein Einwanderungsgesetz verteidigen, welches nun wirklich nicht in ihrem Sinne war.
Unglückliche Vorgänger
Mindestens zwei Premierminister haben sich auf Grund ihrer erbärmlich schlechten Beziehungen zum Staatspräsidenten sogar mit äusserst schmerzhaften psychosomatischen Erkrankungen herumschlagen müssen: Michel Rocard zwischen 1988 und 1991 unter Präsident Mitterrand – beide verachteten sich zutiefst – und Francois Fillon unter Präsident Sarkozy. Letzerer hatte seinen Premierminister gleich zu Anfang einfach als «Mitarbeiter» bezeichnet. Ein Mitarbeiter, der von Sarkozy später bei dutzenden Gelegenheiten erniedrigt und gegängelt wurde, sich aber mit steinerner, manchmal schmerzverzerrter Mine durch seine Amtszeit schleppte.
Dazu kommt im Fall von Präsident Macron, dass die Unverfrorenheit und Ungeniertheit, mit der dieser politisch nirgendwo verankerte Newcomer seit 2017 alle Macht an sich gerissen und ausgeübt hat, in den letzten zwei Jahren – so sehen es viele Beobachter – nicht unwesentlich zur Stärkung der Extremen in diesem Land beigetragen hat.
Feuertaufe nächste Woche
Wie auch immer: Die Linkspartei LFI mit ihren 75 Abgeordneten forderte die kommende Regierung bereits auf, in der Nationalversammmlung nach einer Regierungserklärung gefälligst – was meist üblich, aber nicht verpflichtend ist – die Vertrauensfrage zu stellen, anderenfalls werde man sofort einen Misstrauensantrag einbringen.
Der neue Premierminister, ein brillanter Viel – und Schnellredner, wird es im Prinzip nicht leichter haben als seine Vorgängerin. Vielleicht aber wird es Gabriel Attal leichter fallen, seinem Präsidenten, dem er seit bald 10 Jahren nahe steht, zu dienen, ohne zu murren. Macron jedenfallls darf sich mit dieser personellen Wahl so gut wie sicher sein, dass aus dem Hotel Matignon, dem Sitz des Premierministers, in nächster Zeit keine Querschüsse mehr auf den Elyséepalast abgefeuert werden und dass er in Attal einen absolut treuen Weggenossen gefunden hat.