Denn in ihrem öffentlich zugänglichen Archiv befanden sich – über viele Jahre unbeanstandet – Bilder von Kinderprostituierten in Bangkok. Aufgrund der jetzt aufbrandenden Empörung im Netz hat die Agentur Magnum ihr Archiv offline gestellt, angeblich wegen technischer Wartungsarbeiten.
Den Stein ins Rollen gebracht hat die Website Fstoppers. Es geht dabei um die Bildserie „Bangkok Prostitutes“ des amerikanischen Fotografen David Alan Harvey. Diese Serie wurde von ihm in den 1980er Jahren aufgenommen, also noch vor seiner Zeit bei Magnum. Ein Foto zeigt ein, laut Bildbeschriftung, „dreizehn bis achtzehn Jahre altes Mädchen“, das in einem Hotelzimmer mit nacktem Oberkörper lächelnd auf den Fotografen zugeht. Wie dieses Foto genau zustande gekommen ist, muss noch geklärt werden.
Dass ein solches Foto aus einer Reihe von Gründen mehr als fragwürdig ist, versteht sich von selbst. Doch den Kritikern im Netz geht es nicht nur um diesen einzelnen krassen Fall. Sie wollen den gesamten Bestand des Archivs von Magnum nach ihren aktuellen strengen moralischen Massstäben neu bewerten. Die Präsidentin von Magnum Photos, die britische Fotojournalistin Olivia Arthur, hat entsprechend eine Überprüfung des gesamten Archivs mit externer Unterstützung angekündigt.
Da darf man gespannt sein. Schon melden sich Stimmen, die die moralischen Massstäbe immer weiter verschärfen wollen. So hat im Nachgang zur Attacke auf das Archiv von Magnum auf der Website Fstoppers ein Andy Day zum Angriff auf Robert Capa geblasen, der einer der Gründer von Magnum ist. Seinen berühmten Ausspruch, dass, wenn ein Foto nicht gut sei, der Fotograf nicht dicht genug am Motiv gewesen ist, wertet Andy Day als „Ausdruck purer Aggressivität“.
Folgt man diesem Argument, müsste Capas weltberühmtes Bild eines fallenden republikanischen Soldaten im Augenblick seines Todes vom September 1936 im spanischen Bürgerkrieg umgehend verboten werden, denn er zeigt das Gesicht des tödlich Getroffenen, ohne dass dieser dazu sein Einverständnis gegeben hätte – jedenfalls wenn das Foto so authentisch ist, wie Capa immer behauptet hat.
Die selbsternannten Anwälte der Erniedrigten und Beleidigten wollen die Welt verbessern, indem sie nach den Massstäben ihrer heutigen Moral Fotos verbieten. Dazu gehört aus heutiger Sicht alles, was als „herabsetzend“ oder „beleidigend“ empfunden werden könnte. Das sind schier unerschöpfliche Bestände. So kann man fragen, ob Bilder von Insassen von Konzentrationslagern oder von Opfern kriegerischer Gewalt nicht jeweils die Würde der abgebildeten Menschen verletzen.
Diejenigen, die diese Fotos aufnehmen und diejenigen, die sie später publizieren, argumentieren stets, dass sie damit „Zeugnis“ gegen Gewalt ablegen wollten. So ist auch ein Bildband mit Kriegsbildern von Magnum-Fotografen betitelt: „Witness“.
Die neuen Tugendwächter haben darin recht, dass sie die Heuchelei spüren. Bilder vom Leid verkaufen sich genauso wie Bilder von Landschaften oder Sex. Die Leute kaufen sie, weil sie sie sehen wollen. Aber das ist ein grundlegendes Problem, das nicht nachträglich durch Verbote zu lösen ist. Und übrigens: Müsste man nicht auch historische Gemälde, Stiche oder Lithografien mit Gewaltdarstellungen unter Verschluss nehmen? Sie zeigen ja auch Opfer in ihrer ganzen Entblösstheit.