Der japanische Premierminister Shinzo Abe verfolgt mit grosser Beharrlichkeit das Ziel, die japanische Armee als dem Gewicht des Landes entsprechend grosse Streitkräfte aufzubauen. Seit dem Ende des imperialistischen Japans nach seiner vernichtenden Niederlage im Zweiten Weltkrieg hat sich das Land einem nichtagressiven Pazifismus verschrieben. Was zunächst vom amerikanischen Besatzer verordnet worden war, ging bald über in ein allgemeines nationales Ziel, wirtschaftliches Wachstum zulasten von eigenen Militärmassnahmen zu forcieren. Dies im Inland und im Ausland. Explosiv wachsende Exporte parallel zur Gewährung grosszügiger Kredite und generöse Entwicklungshilfe – unter Ausschluss von Rüstungsgütern und Militärhilfe – wurden zu zentralen Pfeilern japanischer Aussenpolitik.
Hier militärische, dort wirtschaftspolitische Ansprüche
Dies will nun Abe ändern, indem er den rechtlichen Rahmen im Innern in kontroverser Art neu setzt und in der Region als auch militärischer Gegenpol zu China auftritt. In seiner Sicht ist dies die Normalisierung nach einer historisch – Hiroshima – zu begreifenden Ausnahmesituation. Japan soll wieder ein «normales» Land werden, welches sein politisches und wirtschaftliches Gewicht auch sicherheitspolitisch adäquat zum Ausdruck bringt.
Ganz anders sehen dies die direkten Opfer des japanischen Expansionismus und der damit verbunden gewesenen Kriegsverbrechen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Für China, das seinerseits aggressiv aufrüstet, um als klare regionale Führungsmacht akzeptiert zu werden, aber auch für Korea hat Japan seine alte Kriegschuld moralisch nicht abgetragen. Bei ihnen reisst Japan mit seiner erneuten Aufrüstung alte Wunden auf. Dazwischen stehen die USA, nach wie vor als sicherheitspolitische Führungsmacht im Grossraum Asien-Pazifik etabliert und vertraglich verpflichtet. Washington will aber nicht in regionale Hahnenkämpfe um unbedeutende Inseln verwickelt werden, geschweige denn deswegen einen globalen Konflikt mit China vom Zaun reissen.
China bezeichnet seine rasche chinesische Aufrüstung mit Blick auf sein explosiv gewachsenes politisches und wirtschaftliches Gewicht als Normalisierung seiner internationalen Position. Dies beunruhigt in der Region nicht nur Japan. Entsprechend begrüssen Australien und jene Asean-Länder, welche wie Vietnam und die Philippinen Territorialkonflikte mit Beijing haben, das japanische Erstarken grundsätzlich. Abes neue Politik war denn auch in diesen Tagen im Rahmen eines Auftritts im australischen Parlament willkommen. Gleichzeitig bedeuten diese Entwicklungen eine immer schwierigere Gratwanderung für praktisch alle Länder der Grossregion zwischen lukrativem Wirtschaftsaustausch mit China einerseits und der Vermeidung lähmender Abhängigkeiten von Beijing andererseits.
BRICS-Staaten gegen westlich dominierte Weltwirtschaft
Trotz raschem Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht innerhalb bestehender Strukturen sieht China die Welt noch immer in der Zwangsjacke eines westlichen Weltwirtschaftssytems. Als Beweis dafür wird die tatsächlich stockende Reorganisation der weltwirtschaftlichen Strukturen herbeigezogen, so etwa der Plan, Schwellenländern in Organisationen wie IMF, Weltbank und WTO mehr Gewicht zu geben. Bei internationalen Organen für staatliche Finanzierung kritisiert China den Einfluss japanischer, und dahinter amerikanischer Interessen – insbesondere in der Asiatischen Entwicklungsbank ADB. Diese hat ihren Sitz in Manila und stets einen japanischen Präsidenten.
Da in der Perspektive von Brasilien ähnliches für die Interamerikanische Entwicklungsbank IDB, mit Sitz in Washington, und in jener Südafrikas für die Afrikanische Entwicklungsbank AfDB gilt, haben die grössten Schwellenländer Brasilien, Indien, Russland, China und Südafrika die Bildung einer BRICS-Bank beschlossen. Diese soll am BRICS-Gipfel Mitte Juli aus der Taufe gehoben werden. Ihr Sitz wird aller Voraussicht nach Shanghai sein.
Schicksalsregion Asien-Pazifik
Sie wird anfänglich noch kleiner sein als die ADB in Manila, erst recht auch kleiner als die Weltbank. Dies primär weil Beijing auf weniger liquide Bankteilhaber – alle fünf zeichnen zu Beginn gleiche Anteile – wie im Moment Brasilien und Südafrika Rücksicht nehmen muss. Angesichts der immensen Reserven Beijings ist aber eine rasche Ausweitung der Ausleihungen an Schwellen- und Entwicklungsländer vorauszusehen. Dies verschafft China verstärkten wirtschaftlichen und fiskalischen Einfluss. Eine weitere Aufwertung des Yuan als internationale Reservewährung ist absehbar. China bekommt so noch mehr politisches Gewicht. Wer zahlt, befiehlt.
Wo also Japan seinen sicherheitspolitischen Einfluss in der Region zu «normalisieren» bestrebt ist, tut China dasselbe in wirtschaftspolitischer Hinsicht. Es wird entscheidend darauf ankommen wie das unweigerliche Aufeinanderstossen der verschiedenen wachsenden Einflusssphären im Grossraum Asien-Pazifik von den Haupttenören bewältigt wird. Wird dies zu einem neu austarierten aber letztlich doch stabilen Gleichgewicht führen, oder wird dieser Teil der Welt in einer im Moment viel zitierten Art als Schlafwanderer einer Katastrophe entgegentaumeln? Sicher ist allein, dass letzteres auch zu einem Globalbrand führen würde. Hier, nicht in Osteuropa oder dem Mittleren Osten, wird über das Schicksal des 21. Jahrhunderts entschieden werden.