Die Beförderungen werden jedoch von den Kommentatoren der militärischen Angelegenheiten eher als das Resultat von Kompromissen gewertet denn als ein vollständiger Sieg auf der ganzen Linie Erdogans und seiner regierenden AKP (abgekürzt türkisch für: Partei der Gerechtigkeit und des Fortschritts).
"Eingefrorene" Karriere der angeklagten Generäle
Der wichtigste Kompromiss, den die politische Führung einging, besteht daraus, dass die 14 angeklagten aber noch nicht abgeurteilten Generäle, die sich im Rahmen des Prozesses "Vorschlaghammer" in Gefängnishaft befinden, nicht zum Rücktritt gezwungen wurden. Ihre Position als aktive Offiziere wurde auf ein Jahr "eingefroren". Was heisst, dass sie je nach Ausgang des Prozesses entweder werden zurücktreten müssen oder ihre Karriere fortsetzen können.
Auch als Konzession der politischen Führung wird angesehen, dass sich unter den neuen vier Oberkommandanten der Streitkräfte und der Gendarmerie mindestens zwei, wenn nicht drei befinden, die von den Fachleuten als scharfe Kritiker der Regierungspartei eingestuft werden und deren Beförderung daher als ungewiss gegolten hatte. Sie wurden dennoch befördert, und damit wurden weitere Rücktritte unter der Generalität, über die spekuliert worden war, vermieden.
Kompromiss zu Gunsten der Einigkeit der Armee
Staatspräsident Abdullah Gül, der die Beförderungen zu bestätigen hatte, erklärte, die Kompromisse dienten dazu, zu vermeiden, dass der neue Generalstabschef Necdet Özel, in eine allzu schwierige Lage gegenüber seinen Untergebenen gerate.
Um diese Anspielung zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass General Özel der einzige unter den führenden Generälen der türkischen Streitkräfte war, der nicht im Gefolge des abgetretenen Generalstabschefs zurücktrat, und dass er dadurch einer Blitzbeförderung durch die Regierung teilhaftig wurde, die ihn vom Kommandanten der Gendarmerie zum Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte erhob und einen Tag nachher zum Generalstabschef.
Wäre dies auf Grund dessen geschehen, was viele Armeeoffiziere als eine Ungerechtigkeit gegenüber den 14 angeklagten aber nicht verurteilten Generälen empfinden, wäre sein Stand gegenüber seinen Mitoffizieren gewiss noch schwieriger geworden, als er es ohnehin schon zu werden verspricht.
Sicherheitssitzung im Zeichen der Kurdenfrage
Kaum waren so die Beförderungen unter Dach, traten die neuen Kommandanten der Streitkräfte, der Chef des Geheimdienstes und die zuständigen Minister der Regierung, erneut unter dem Vorsitz Erdogans, zu einer eiligen Sitzung zusammen, bei der es einmal mehr um die wichtigste Sicherheitsfrage ging, mit der sich die Türkei seit 1984 konfrontiert sieht: die Kurdenfrage.
Die PKK ist seit Februar dieses Jahres wieder aktiv geworden. Sie hat in den letzten Wochen mehrere Anschläge auf türkische Soldaten im Osten des Landes, vor allem in der gebirgigen Grenzregion gegen den Irak hin, ausgeübt. Der wichtigste war am 14. Juli in Sirnak (Provinz Diarbakir), der 13 Soldaten das Leben kostete. Dies war der grösste Verlust der türkischen Armee in einem einzigen Attentat seit vielen Jahren. Ein weiterer Anschlag am 1. August forderte drei Todesopfer unter den Soldaten und verletzte Zivilisten.
Neue Kurdenprozesse
Die Bluttaten der PKK haben auch zu politischen Spannungen geführt, weil viele führende Mitglieder der pro-kurdischen Parteien, die legal zugelassen sind, sich weigern, die Anschläge der Bewaffneten der PKK zu verurteilen. 130 kurdische Politiker und gewählte Bürgermeister in den kurdischen Landesteilen sind in einen Prozess verwickelt, welchen das türkische Gericht der Millionenstadt Diarbekir, der weitaus wichtigsten Stadt der türkischen Kurden, gegen sie angestrengt hat. Den Angeklagten wird "Propaganda für den Terrorismus" vorgeworfen, weil sie sich wohlwollend, oder jedenfalls nicht abfällig, über die PKK äussern.
Gegen den gewählten Bürgermeister von Diabekir, Osman Baydemir, wird Anklage erhoben, weil er öffentlich weniger strenge Haftbedingungen für Abdullah Öcalan forderte. Dies gilt dem Staatanwalt als "Propaganda für den Terrorismus".
Der gefangene Gründer der PKK
Öcalan ist der Gründer der PKK und Gegenstand eines hyperbolischen Persönlichkeitskults von Seiten seiner Anhänger, obwohl er seit 1999 in Einzelhaft in einem türkischen Gefängnis sitzt. Er ist zum Tode verurteilt, doch die Hinrichtung wurde nie vollzogen.
Ein weiterer Prozess richtet sich gegen 152 führende Angehörige einer kleinen kurdischen Partei, die sich Kurdische Kommunistische Union nennt (KCK). Auch unter ihnen befinden sich gewählte Bürgermeister. Die KCK gilt der Anklage als der "urbane Flügel" der verbotenen PKK. 300 Advokaten, die für die Angeklagten auftraten, traten von dem Prozess zurück, als den Angeklagten verboten wurde, sich in ihrer Muttersprache, dem Kurdischen, zu verteidigen. Die 300 Advokaten wurden daraufhin selbst wegen "Behinderung der Justiz " verklagt.
Die neuen Prozesse sind das sichtbarste Zeichen dafür, dass die Kurdenpolitik Erdogans, die zu Beginn seines Regimes wohlwollend war und eine Versöhnung mit den 12-15 Millionen kurdischer Türken angestrebt hatte, in grössere Strenge umschlug und heute droht, erneut auf eine repressive Linie zurückzufallen.
Die Rolle der Armee in Kurdistan
Die kurdische Politik ist mit der Armeepolitik eng verwoben. Die Armee hat über 25 Jahre lang einen heimlichen Bürgerkrieg gegen die kurdische PKK geführt und dabei herbe Verluste an Soldaten und Offizieren erlitten. Viele der illegalen Übergriffe und Machtmissbräuche, die heute im Verlauf der türkischen Militärprozesse ans Licht gezogen werden, sind in diesem Krieg gegen die Kurden zustande gekommen. Die militärischen Geheimdienste führten Mordaktionen gegen missliebige Kurden durch, und einige ihrer Organe und Verbündeten verwilderten dabei soweit, dass es auch zur Zusammenarbeit mit kriminellen Gruppen gekommen war.
Viele, vielleicht die Mehrheit, der Armeeoffiziere sehen die Kurden als innere Landesfeinde, denen sie "Separatismus" vorwerfen und halten es für ihre vaterländische Pflicht, mit allen Mitteln, auch illegalen, gegen sie vorzugehen.
Der Versuch der Regierung zwischen einer "terroristischen PKK" und einer loyalen Mehrheit der Kurden zu unterscheiden, wird natürlich durch das Wiederaufleben der Kämpfe an der türkischen Ostgrenze gewaltig erschwert.
Entflechtung der Kurdenpolitik und der Armee?
Die Regierung arbeitet an neuen Plänen, nach welchen der Kampf gegen die PKK nicht mehr unter alleiniger Führung durch die Armee stehen soll, sondern hauptsächlich von der Polizei und von dem Innenministerium unterstellten Spezialeinheiten zu bewältigen wäre. Zu den Sondereinheiten soll auch ein geplantes Grenzschutzcorps von 5000 Berufssoldaten gehören, die noch auszubilden wären.
Die Pläne sehen vor, dass der Kampf gegen die kurdischen Rebellen zum ersten Mal seit 25 Jahren nicht ausschliesslich vom türkischen Generalstab geleitet werden, sondern von den zivilen Behörden und den Provinzgouverneuren in Zusammenarbeit mit Truppeneinheiten, die der Gendarmerie zugeteilt würden und damit dem Innenministerium unterstünden.
Nicht mehr ausschliesslich unter Armeekontrolle
So soll wohl verhindert werden, dass die Armeeführung als Ganzes erneut in den Kurdenkrieg verwickelt und die kurdischen Landesteile - wie dies lange Jahre gewesen war - unter militärischem Notstandsrecht ausschliesslich der Armee unterstellt würden.
Die Aktionen der Armee in den kurdischen Provinzen waren vor allem deshalb unter Kritik geraten, weil sie den Aufstand der rebellischen PKK nie ganz niederzuringen vermochte. Es gelang ihr zwar schliesslich, die Bewaffneten dazu zu zwingen, in den hohen Bergen des Nachbarlands, Irak, Zuflucht zu suchen. Doch von dort aus sind sie immer erneut über die Grenze zurück infiltriert und haben ihre Anschläge fortgesetzt, obgleich die Armee ihrerseits zur Zeit Saddam Husseins Übergriffe auf irakisches Territorium durchführte.
Ein unvollständiger Waffenstillstand
Ein Waffenstillstand mit der PKK war 2006 unter Mitwirkung des gefangenen Öcalan ausgerufen worden. Er wäre mit einer Amnestie verbunden gewesen. Doch die Armee weigerte sich damals, diese Amnestie auch auf die kurdischen Kämpfer im Irak anzudehnen. Sie konnten daher nicht in ihre Heimat zurückkehren, und dies wurde ein wichtiger Grund dafür, dass die Kämpfe nie endgültig beigelegt werden konnten und nun verstärkt wieder aufleben.
Natürlich haben die Armeespitzen bei den neuen Plänen auch ihr Wort mitzureden, bevor sie endgültig implementiert werden, und die gegenwärtigen Sitzungen dürften ihrer Ausarbeitung und Artikulierung in den Einzelheiten dienen.
Die Kurdenfrage ist eines der Grundprobleme, die stets neu aufs Tapet gelangen, wenn der Beitritt der Türkei zur EU diskutiert wird. Sie ist aber auch eine Schicksalsfrage für die Türkei selbst. Solange sie nicht gelöst werden kann, ist keine volle Demokratie in der Türkei vorstellbar.