Katrin Steffen, die neue Direktorin des Kunstmuseums Solothurn, zeigt in ihrer ersten Ausstellung «Balance» Kunst der 1970er und 1980er Jahre. Es geht dabei um die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur.
Katrin Steffen ist die Nachfolgerin von Christoph Vögele, der das Kunstmuseum Solothurn während 24 Jahren leitete und im vergangenen Januar zurücktrat. Sie ist Solothurnerin, studierte in Basel Kunstgeschichtete, arbeitete in der Galerie Beyeler in Basel, im Kunstmuseum Basel, wo sie auf hohem Niveau die ganz verschiedenen Aspekte der Führung eines Museums kennenlernte, war Kuratorin an der Daros Latinamerica Collection, arbeitete als freie Kunsthistorikerin und befasste sich intensiv mit dem Künstler César Manrique (1919–1992), der sich in seinem Werk gestalterischen Projekten in der Landschaft seiner Heimatinsel Lanzarote widmete. Manrique war getrieben von der Sorge um eine vor allem wegen des Tourismus gefährdete Umwelt. Er suchte nach Mitteln und Wegen, die Balance zwischen Natur und Nutzung durch den Menschen zu bewahren oder wieder herzustellen.
Ökofeminismus
Die Ausstellung «Balance. 1970–1990: Kunst, Gesellschaft, Umwelt» mag an der Thematik anschliessen, die Manrique auf Lanzarote umtrieb und die auch für Katrin Steffen wichtig ist. Mit Marianne Burki als Ko-Kuratorin suchte sie nach den Wurzeln des Umwelt- und Naturbewusstseins, wie es sich in der aktuellen Schweizer Kunst manifestiert, und sie wurde in der Kunst der 1970er und 1980er Jahre fündig – und vor allem im Schaffen von Künstlerinnen, die sich oft neue und von ihren Künstlerkollegen noch wenig genutzte künstlerische Medien und Strategien aneigneten wie Video, Performance, Aktion. Ausgeprägt verfolgten diese Künstlerinnen auch ausländisches, vor allem US-amerikanisches Kunstgeschehen.
Ausgeprägt waren auch ihre Sensibilität und Emotionalität und damit die Art, wie sie sich der Umweltprobleme annahmen und sie in ihr Schaffen integrierten – lange bevor die Politik darauf aufmerksam wurde. Obwohl in Saaltexten das Wort «Ökofeminismus» auftaucht – jene gesellschaftspolitischen Bewegungen, die schon in den 1970er Jahren Ökologie und Feminismus zu verbinden suchten –, ist «Balance» keine spezifisch feministische Thesen-Ausstellung. Künstler sind in der Minderheit, aber sie fehlen nicht. Allerdings konstatiert Katrin Steffen immer noch einen Nachholbedarf, was die Präsenz der Künstlerinnen im heutigen Kunstbetrieb betrifft. Es gelte vor allem, das Schaffen von Künstlerinnen überhaupt erst zugänglich zu machen: Sehr viele seien, vor allem, wenn sie nicht mehr leben und ihre Nachlässe nicht aufgearbeitet sind, in den Museumssammlungen kaum präsent und allenfalls Fachleuten bekannt.
Aktuell: Avantgarde von gestern
Beispiele dafür sind Agnes Barmettler (*1945, Wölflinswil) und Renate Eisenegger (*1949, Schaffhausen). Barmettler war in den späten 1970er Jahren präsent mit ihren aus ihrem Körperbewusstsein heraus gestalteten Malereien oft naturrituellen Charakters von dumpf-erdiger Farbigkeit.
Die Künstlerin weilte mehrfach in den USA und lernte die Lebensweise der Hopi-Indianer kennen. Sie verlegte ihr Arbeitsfeld weg von der institutionalisierten Kunst, setzte ihr Können in pädagogischen Anliegen ein, gestaltete Labyrinthe im öffentlichen Raum und engagierte sich in Umwelt- und Anti-KKW-Aktionen. In der erneuten Begegnung erweisen sich ihre vor rund 45 Jahren entstandenen Malereien als höchst aktuell und als eigenständige Vorwegnahme von Tendenzen, die später in anderer Form und in anderen Medien an Terrain gewannen.
Renate Eisenegger, die in den 1970er Jahren die Düsseldorfer Akademie besuchte, erhält mit ihren frühen seriellen Fotoarbeiten erst jetzt im Zeichen einer Neubewertung früher feministischer Strömungen eine breitere Aufmerksamkeit.
Der Blick in die USA
Agnes Barmettlers Malereien konfrontiert Katrin Steffen mit einer grosse Video-Installation von Judy Chicago (*1939).
Was für Barmettler Sujet ihrer Malereien ist, ist für die auf sehr vielen Feldern pionierhaft aktive Amerikanerin Thema einer gefilmten Performance, in der archaische Naturrituale anklingen. Darin ist sie verwandt mit Ana Mendieta (1948–1985), einer eigentlichen Kultfigur des Ökofeminismus, deren gefilmte Aktionen einerseits Gewalt an Frauen thematisieren, andererseits rituelles Eins-Werden mit der Natur zelebrieren. Bekannt wurde die kubastämmige Amerikanerin mit ihren Eingriffen in Natursituationen. Hier ist entscheidend, dass sie ihre an vaginalformen gemahnenden Skulpturen der Zerstörung durch Wind und Wasser aussetzte, dass ihre Arbeiten also, im Gegensatz zu den oft fast gewalttätigen Eingriffen in die Natur ihrer Land-Art-Kollegen, im Ephemeren bleiben und schliesslich ganz verschwinden; sie überleben nur in der dokumentierenden Fotografie. Eine Pionierin in der Kunst-Natur-Thematik ist auch die Amerikanerin Agnes Denes (*1932), die 1982 – als ein auch sozialpolitisches Zeichen im Kampf gegen Hunger – eine 8000 Quadratmeter grosse ehemalige Mülldeponie nahe Manhattan in New York in ein Kornfeld verwandelte.
Frauenrolle – ein Gesamtkunstwerk?
Katrin Steffen und Marianne Burki führen mit den Werken von Doris Stauffer (1934–2017, Zürich) und Beatrix Sitter-Liver (*1938, Chur) in eine weitere Thematik ein, die für Künstlerinnen bedeutsam ist: Es ist die Rolle der Künstlerin im Kunstbetrieb oder auch in der Partnerschaft und in der Gesellschaft.
Doris Stauffer, welche die F+F-Schule in Zürich mitbegründete und ihr mit ihrer Lehrtätigkeit entscheidende Impulse gab, positionierte sich selber ausdrücklich als Generalistin – wohl als Künstlerin, aber zugleich, wie sie selber sagt, als «Musikerin, Mannequin, Baby-Schwester, Erzieherin, Verkäuferin, Hausfrau, Hausfrau, Hausfrau». Das ist ein klares Statement zur Rolle einer Künstlerin, die Grenzen sprengt oder sprengen muss – oder die sich selber als eine Art «Gesamtkunstwerk» sieht oder sehen muss. Dazu passt, dass Stauffer als Künstlerin ausserhalb der Zürcher Szene erst seit kurzer Zeit als eine eigenständige Künstlerin wahrgenommen wird, die in ihren Objekten (teils Dinge des täglichen Gebrauchs) und Collagen präzis ihre komplexe Rolle reflektiert. Hausfrauen-Dasein ist das Thema von Sitter-Livers «Staub der Wochen». Während eines Jahres sammelte sie wöchentlich den Staub, der im Tumbler zurückblieb, und präsentierte die 52 Tafeln an der Wand als Bild gewordene Spuren monotoner Haushaltsarbeit, aber auch als eindrückliche Annäherung an die Dimension Zeit.
Die Ausstellung «Balance» ermöglicht auch eine Wiederbegegnung mit Ueli Berger (1937–2008, Bern), in dessen Schaffen die Umweltthematik schon in den 1980er Jahren eine wichtige Rolle spielte.
Für manche eine Neuentdeckung ist wohl George Steinmann (*1950, Bern), dessen forschende Arbeiten im Kontext von Klima- und Ökodiskussionen trotz zahlreicher internationaler Aktivitäten in der Schweiz vor allem in Bern ein Echo fanden. Weitere sind an «Balance» beteiligte: Heidi Bucher, Maria Dundakova, Miriam Cahn, Ulrike Rosenbach und Joseph Beuys.
Die Ausstellung zeigt: Das kleine Kunstmuseum der kleinen Stadt Solothurn will weiterhin eine unüberhörbare Stimme im Konzert der Schweizer Museen sein – wie es auch der grossen Bedeutung der hauseigenen qualitativ hochstehenden und breit gefächerten Sammlung entspricht.
Umgang mit der eigenen Sammlung
Katrin Steffen setzt an den Anfang ihrer Solothurner Tätigkeit auch einen klaren Akzent im Umgang mit dieser Sammlung. Parallel zu «Balance» zeigt das Museum im Obergeschoss neue Schenkungen der Künstlerinnen Ingeborg Lüscher und Silvie Defraoui, denen Werke von Ruth Berger, Miriam Cahn und Andrea Wolfensberger ein verwandtes Umfeld bieten. Diese Präsentation der Werke aus der hauseigenen Sammlung schliesst in manchen Teilen an die thematische Ausrichtung der Ausstellung «Balance» im Erdgeschoss.
Ebenfalls aus den eigenen Beständen stammt Bernhard Luginbühls riesige Entwurfszeichnung des «Crocodromes». Sie war die Basis einer grossen und aufsehenerregenden Installation, die Bernhard Luginbühl, Jean Tinguely, Daniel Spoerri und Niki de Saint Phalle 1977 für die Eröffnung des Centre Pompidou in Paris realisierten: «Crocodrome» war ein rund 30 Meter langes begehbares Gemeinschaftswerk mit surreal anmutendem Innenleben. Dokumente dazu ergänzen die Zeichnung.
Zukunftspläne
Ab Ende August gibt das Museum Teilen der Sammlung der Fondation Saner (Studen bei Biel) Gastrecht. Diese Sammlung setzt zwei Schwerpunkte. Ein erster gilt der beginnenden Moderne in der Schweiz mit Hodler, Amiet, Giovanni Giacometti, Edouard Vallet und Alice Bailly, die der mit den Solothurnern Josef Müller, Gertrud Dübi-Müller und Oscar Miller befreundete Sammler Gerhard Saner seit den 1960er Jahren zusammentrug. Einen zweiten Akzent setzen Werke der Schweizer Konstruktivisten wie Max Bill, Camille Graeser, Fritz Glarner u. a. Diese Ausstellung wird die eigene Sammlung sinnvoll begleiten.
Eine weitere Präsentation wird eine heute weitgehend übersehene Seite des Werkes von Dieter Roth (1930–1998) ins Bewusstsein rufen. Der Künstler, der um 1950 bei Solothurn lebte und in Bern eine Grafiker-Lehre absolvierte, beschäftigte sich damals intensiv mit kubistisch-konstruktiven Zeichnungen. Die Schau zeigt diese Arbeiten und dokumentiert Dieter Roths Wirken in der Region Solothurn. Ab Oktober öffnet Katrin Steffen den Blick auf einen weiteren Aspekt der Schweizer Kunst der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Unter dem Titel «Bricolage» geht es wiederum auf der Basis der eigenen Sammlung um die Schweizer Spielart des Nouveau Réalisme. Gezeigt werden Werke von Franz Eggenschwiler, Alfonso Hüppi, Dieter Roth, Gottfried Röthlisberger, Daniel Spoerri, Jean Tinguely, Ben Vautier.
Kunstmuseum Solothurn. Bis 31.7.