Ganz so einfach, wie Netanyahu sich das offenbar vorgestellt hatte, liess sich die willkürliche Eingemeindung der israelischen Siedlungen dann doch nicht als offizielles Regierungsdekret umsetzen. Zwar hatte US-Präsident Trump in der vergangenen Woche eine derartige Annexion zu einem zentralen Punkt seines pompös posaunten «Jahrhundert-Deals» zur Lösung des Palästina-Konflikts gemacht. Und Netanyahu hatte unmittelbar nach dieser grotesken Inszenierung in Washington verkündet, seine Regierung werde schon bei der nächsten Kabinettssitzung einen formellen Beschluss zur Annexion dieser Siedlungsgebiete verabschieden.
Von Washington zurückgepfiffen
Doch am vergangenen Sonntag fand weder die geplante israelische Kabinettssitzung statt noch wurde ein Annexionsbeschluss verkündet. Offenkundig ist Netanyahu von Washington zurückgebremst worden. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der formell als Hauptarchitekt dieses famosen Friedensplans zeichnete, bei dessen Konstruktion die Palästinenser nichts zu sagen hatten, mahnte in Washington unüberhörbar, dass Beschlüsse mit derart weitreichenden Konsequenzen nicht von einer israelischen Übergangsregierung, wie sie Netanyahu führt, verabschiedet werden sollten. Angemessener sei es vielmehr, die für den 2. März angesetzten Parlamentswahlen abzuwarten. Aus diesen soll dann, so hofft man, endlich eine Regierung hervorgehen, die sich auf eine Mehrheit in der Knesset stützen kann.
An dem Ordnungsruf aus Washington dürfte Netanyahu schwer zu schlucken haben. Er hatte damit gerechnet, die Schlussstrecke im laufenden israelischen Wahlkampf mit der triumphierenden Botschaft bestreiten zu können, die Siedlungen im seit 1967 besetzten Westjordanland seien von seiner Regierung bereits annektiert worden. Das hätte ihm von Seiten der nationalistischen Rechten und religiös Orthodoxen viel Applaus und wahrscheinlich auch zusätzliche Stimmen eingebracht. Der Umstand, dass eine solche willkürlich deklarierte Einverleibung von den weitaus meisten Ländern – mit Ausnahme wahrscheinlich der Trump-Regierung – nicht anerkannt würde, könnte weder Netanyahu noch seinen Anhängern schlaflose Nächte bereiten.
Die Knesset-Wahl vom 2. März
Zwar wird der Trumpsche «Jahrhundert-Deal» auch von Benny Gantz, dem israelischen Oppositionsführer und Herausforderer Netanyahus im laufenden Wahlkampf, grundsätzlich akzeptiert. Doch Gantz plädiert für ein diplomatisch umsichtigeres Vorgehen bei der geplanten Eingemeindung der völkerrechtlich illegalen Siedlungen und des Jordantals. Vor allem aber verlangt er, ähnlich wie inzwischen auch die Trump-Administration, dass über solche Schritte erst im neu gewählten Parlament entschieden werden könne.
Ob Netanyahu aber bei dieser Knesset-Wahl am 2. März als Sieger hervorgehen wird und damit weiterhin Regierungschef bleiben kann, ist völlig ungewiss. Immerhin ist das schon der dritte Wahlgang in weniger als einem Jahr. In den beiden vorhergehenden Runden ist es weder Netanyahu noch seinem Herausforderer Gantz gelungen, eine regierungsfähige Mehrheit zusammenzubringen. Sollte der Likud-Chef im März erneut bei dieser Aufgabe scheitern, so spricht manches dafür, dass seine Tage als langjähriger trickreicher Dominator in der israelischen Politarena bald einmal gezählt sein werden.
Drohendes Prozessverfahren
Doch die Wahlen und deren ungewisser Ausgang sind nicht die einzigen Risiken, die die Fortsetzung von Netanyahus Karriere gefährden. Über ihm schwebt seit einiger Zeit das Damoklesschwert einer offiziellen Anklage wegen Korruption, Betrug und Bestechlichkeit. Der Regierungschef hat vor kurzem seinen früheren Antrag auf Immunität während seiner Amtszeit zurückgezogen, weil klar geworden war, dass dieser Antrag in der Knesset keine Mehrheit finden würde. Wann der Prozess gegen Netanyahu beginnen wird, ist noch offen. Doch schon die Aussicht auf ein solches Verfahren, könnte ihn bei der Wahl vom 2. März als Hypothek belasten.
Aber selbst wenn Netanyahu bei der nächsten Knesset-Wahl noch einmal eine Mehrheit hinter sich zu scharen vermöchte und das drohenden Prozessverfahren glimpflich überstehen sollte, wäre zumindest mittelfristig sein Handlungsspielraum keineswegs schon gesichert, um die grossspurig angekündigte Annexion der israelischen Siedlungen in die Tat umzusetzen. Ein derartiger Husarenstreich wäre höchstens mit uneingeschränkter Rückendeckung der Schutzmacht USA vorstellbar.
Doch ob Netanyahus unverfrorener Gesinnungskumpan Trump nach der Präsidentschaftswahl im November weiterhin die Weichen der amerikanischen Israel- und Palästinapolitik stellen wird, ist vorderhand noch offen. Sollte es im Herbst zu einem Wechsel im Weissen Haus kommen, müsste sich auch Netanyahu dazu bequemen, seriösere Wege zur Lösung des Palästinaproblems zu finden, als die Einverleibung von umstrittenen Territorien im Hauruck-Verfahren.