Als die Queen starb, liess sich die britische Nationalhymne durch eine kleine Änderung an die neuen Umstände anpassen. «God Save the King» statt «God Save the Queen», fertig. Mit chirurgischen Retuschen liesse sich die portugiesische Hymne aber kaum modernisieren. Sollte also eine neue Hymne her? Im Land sind die Meinungen geteilt.
Der markige musikalische Appell erklingt bei Staatsakten und immer, wenn Portugals Fussball-Nationalelf zu Länderspielen antritt. Er richtet sich an die «Helden des Meeres», an das «edle Volk» und an die «mutige, unsterbliche Nation». Mit diesen Attributen beginnt die Nationalhymne mit dem Namen «A Portuguesa». Um die Frage, wie zeitgemäss sie ist und ob sich das Land nicht eine neue Hymne zulegen sollte, ist eine Diskussion entbrannt. Auslöser dafür war nicht etwa die niedrige Geburtenrate, die Zweifel an der Unsterblichkeit der einstigen Entdeckernation nährt.
Allianz mit Aussetzern
Die Hymne ruft das Volk dann nämlich «zu den Waffen, zu Lande und auf dem Meer», es soll «für das Vaterland kämpfen» und «gegen die Kanonen marschieren, marschieren» – Worte, die an die französische «Marseillaise» erinnern. Geschrieben und komponiert wurde diese Hymne 1890, und nicht etwa in einer Zeit der Glorie, sondern als Reaktion auf eine schwere Demütigung durch das Vereinigte Königreich von Queen Victoria.
Eigentlich verstehen sich Portugal und England als Europas älteste Verbündete. Ihre Allianz besteht seit 1386, was nicht heisst, dass die Partner nicht auch stritten, wie just im späten 19. Jahrhundert, als die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten. Unstrittig war der portugiesische Anspruch auf die heutigen Gebiete von Angola und Moçambique. Streit entzündete sich aber an Portugals «rosafarbener Karte» vom südlichen Afrika, wo das Land der Entdecker noch nach etwas mehr trachtete, nämlich einer Verbindung zwischen beiden Besitzungen. Es ging um ein Gebiet zwischen Angola und Moçambique, das heute zu Sambia und Zimbabwe gehört. Nur kollidierte diese Ambition mit dem britischen Vorhaben, das Kap der Guten Hoffnung und Kairo mit einer Bahnlinie zu verbinden.
Beim Ultimatum eingeknickt
Anfang 1890 sah sich Portugal mit dem «englischen Ultimatum» konfrontiert. Abzug der Truppen aus dem umstrittenen Gebiet oder militärische Intervention, so lauteten die Alternativen. König Carlos, erst seit dem Vorjahr auf dem Thron, gab klein bei und verhinderte womöglich ein Gemetzel. In Portugal war aber nichts mehr so, wie es bis dahin gewesen war. 1891 kam es in Porto zu einer ersten republikanischen Revolte. König Carlos erlag 1908 einem Attentat. Sein Nachfolger, Manuel II., hielt sich nur kurz auf dem Thron. Als sich der Sturz der Monarchie und die am 5. Oktober 1910 erfolgte Ausrufung der Republik abzeichneten, flüchtete er – wohin wohl? – nach England. Schon 1911 wurde die vorher verbotene «A Portuguesa» zur Hymne der jungen Republik erhoben, aber schon mit einer kleinen Änderung. Hatte das Volk in der Urfassung noch gegen die «bretões», die Briten, marschieren sollen, so traten an deren Stelle «die Kanonen».
Gegen welche Kanonen das tapfere Volk heute marschieren könnte oder sollte, steht in den Sternen. Was bedeutet das für die Hymne? Ein bekannter schwarzer Musiker brachte die Diskussion – und prompt auch die Polemik – in Gang, nämlich der 40-jährige Dino d’Santiago, in Portugal geborener Sohn von Eltern aus der einstigen Kolonie Kap Verde, der unter anderem mit Popstar Madonna gearbeitet hat. Es sei an der Zeit für eine «weniger kriegerische Hymne», ohne Rufe an die Waffen, den die Kinder nicht bräuchten. Es könne bei der neuen Emanzipation nicht um Territorien gehen, sondern um spirituelle Werte und Liebe.
Wie sich Hymnen aktualisieren lassen
Andere Länder haben Hymnen, die sich leichter an neue Umstände oder an Veränderungen des Bewusstseins anpassen liessen, und taten sich mit deren Modernisierung weniger schwer. Im Vereinigten Königreich reichte es, die Queen durch den King zu ersetzen, «she» durch «he», «her» durch «him». Im fernen Australien genügte 2021 die Änderung eines Wortes, um anzuerkennen, dass diese Insel schon vor der Ankunft europäischer Siedler menschliche Bewohner hatte. An die Stelle von «young and free» (jung und frei) trat «one and free» (einig und frei). Österreich hatte 2012 gendergerecht das frühere «Heimat bist du grosser Söhne» durch «Heimat grosser Töchter, Söhne» ersetzt.
Solche Probleme hat Spanien überhaupt nicht, trotz starken politischen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten, da die Nationalhymne gar keinen Text hat. Manche anderen Länder behalten kriegerischen Hymnen, wie die USA, die nach wie vor Raketen und Bomben besingen. Portugal aber hat seine Truppen seit den afrikanischen Kolonialkriegen der Jahre 1961–1974 nicht an die Waffen gerufen, jedenfalls nicht mehr in eigener Sache. Es hat sich nur an internationalen Missionen beteiligt.
«Eine koloniale Geschichte der Sklaverei»
Die Diskussion um eine allfällige Änderung der Hymne hat noch nicht die hohe Politik erreicht, die Medien lassen aber Stimmen aus der Gesellschaft zu Wort kommen. Zu den Gegnern einer Änderung zählt der konservative Ökonom und Finanzminister der Jahre 2004/5, António Bagão Félix. Der Wortlaut der Hymne sei Ergebnis einer Periode in der Geschichte. Wenn jetzt der Text geändert würde, dann könnte dies öfter geschehen, meint er und warnt davor, dass junge Leute die Hymne nicht mehr singen können.
Für den Historiker José Neves wäre es etwa absolut normal, neue politische und ethische Konsense im Text einer Hymne zu berücksichtigen. Es sei hierfür nicht nötig, die Geschichte neu zu schreiben. Ähnlich denkt der Historiker und Universitätsprofessor Manuel Loff, für den es nicht darum geht, Aspekte der Geschichte auszublenden, sondern zu zeigen, «dass wir sie anders sehen». Heute gehe es doch darum, «eine Welt des Friedens zu schaffen», meint die linke Filmemacherin Raquel Freire. Also machten solch kriegerische Töne keinen Sinn, meinte sie gegenüber einem TV-Sender, der auch den Fussballspieler Francisco Geraldes hörte. Er fand die Diskussion über die Hymne durchaus angebracht, weil sie eine koloniale Geschichte der Sklaverei verherrliche.
Mit der Änderung einzelner Wörter wäre das Problem nicht gelöst. Um die Hymne zu ändern, müsste sich zunächst auch im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit zur Änderung der Verfassung finden. Ihr Artikel 11 definiert die jetzige Hymne nämlich als ein Nationalsymbol. Kürzlich ist zwar das Verfahren für eine mittlerweile achte Revision der Verfassung von 1976 angelaufen, aber keine der im Parlament vertretenen Partei hat eine Änderung der Hymne vorgeschlagen.