Seit rund 15 Jahren steht der ökologische Umbau unserer Gesellschaft auf der politischen Traktandenliste. Er wird wohl dort noch viele weitere Jahre ein eher kümmerliches Dasein fristen. Offensichtlich ist er weder der Politik, noch der Gesellschaft – der Wirtschaft schon gar nicht – ein dringendes Anliegen. Die Schweiz steht mit dieser Haltung nicht allein, weltweit scheint dieser an sich begrüssenswerte Schritt in eine umweltverträglichere Zukunft zwar im Prinzip akzeptiert, in der Praxis jedoch lieber der nächsten Generation überlassen. Unser Bundesrat hat schon mal für 2021 eine Lenkungsabgabe „in Aussicht gestellt“.
Die Idee einer ökologischen Steuerreform
Dass der Energieverbrauch in der Schweiz nicht nachhaltig ist, dürfte niemand ernsthaft infrage stellen. Wir konsumieren viel mehr, als wir aus erneuerbaren Quellen bereitstellen können. Die Grünliberalen möchten deshalb Anreize setzen, damit sich erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energiesparen ökonomisch lohnen und gleichzeitig der Ausstoss von CO2 reduziert wird. Soweit die Überlegungen der Initianten, deren Berechtigung nachvollziehbar ist.
Um diese Ziele zu erreichen, soll der Verbrauch nicht erneuerbarer Energien verteuert werden. Damit sich die Reform staatsquotenneutral auswirkt - die gesamten Steuereinnahmen der Schweiz sollen gleich bleiben – würde die Mehrwertsteuer abgeschafft. Gleichzeitig erhofft sich die GLP, dass zukunftsträchtige Investitionen und Innovationen begünstigt, ja der Wirtschaftsstandort Schweiz insgesamt dadurch gestärkt würden.
Die Gretchenfrage
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob sich dieses Anliegen so – mir nichts, dir nichts – umsetzen liesse. Eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Auch wer die Zweckmässigkeit der Idee anerkennt, ahnt, dass dieser Schritt kein einfacher sein würde. Wie immer bei den grossen Zukunftsfragen unseres Landes, haben sich zwei fundamental unterschiedliche Lager gebildet: Hier die Befürworter, die dazu tendieren, die Auswirkungen zu verharmlosen und die Machbarkeit zu überschätzen. Sie argumentieren auch damit, dass die neue Steuer einfacher als die Mehrwertsteuer zu erheben wäre.
Dort die Gegner, die vor diesem eigentlichen Systemwechsel und dessen negativen Auswirkungen warnen. So etwa ist von einem „grünliberalen Milliardenspiel ohne Rücksicht auf Verluste“ zu lesen. Gegner weisen zudem mit Recht darauf hin, dass, je mehr der Verbrauch sinken oder Unternehmen von dieser Steuer entlastet würden, desto schneller die Zuschläge erhöht werden müssten, um die 22 Milliarden Franken Steuereinnahmen zu sichern.
Bundesrat, National- und Ständerat lehnen die Vorlage ab, ebenso die politischen Parteien mit Ausnahme der GLP und der GP. Der WWF unterstützt die Initiative. GLP-Präsident Martin Bäumle würde eine Zustimmungsrate von 30 Prozent am 8. März 2015 als Achtungserfolg verbuchen.
Die angestrebte Energiewende
Der Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima 2011 hat bewirkt, dass Bundesrat und Parlament im Grundsatz den Atomausstieg beschlossen haben. Weite Kreise der Bevölkerung befürworten diesen Schritt. Sie erachten das Risiko eines „Unfalls“ als zu gross, dies umso mehr, als in der Schweiz mit Mühleberg und Beznau zwei AKW laufen, die zu den ältesten auf der Welt gehören. Sie sollen aber am Netz bleiben, „solange sie sicher sind“. (Zur Erinnerung: alle AKW, bei denen Störfälle auftraten, galten zuvor als „sicher“). Die Energiestrategie 2050 weist den Weg zu dieser Energiewende. Die Schweizerische Energiestiftung schreibt dazu: „Was es jetzt braucht, sind griffige Massnahmen für alle Bereiche.“
Gleichzeitig wird diese Politik heftig kritisiert. Economiesuisse spricht von einem „nicht realisierbaren Traum“ und „unkalkulierbarem Risiko für die Volkswirtschaft“. Beat Kappeler‘s (NZZ am Sonntag) Standpunkt: „Irrational war auch der Schnellschuss gegen die Atomkraft nach dem Unfall von Fukushima.“ Ein rational denkender Vielschreiber sieht die Ursache jenes Gaus, da ursächlich von einer Meereswoge zerstört, als für unser Land wohl deshalb als nicht relevant an? Besorgte Menschen denken in der Schweiz weniger an eine Meereswoge, als z.B. ein Erdbeben.
(Für jene Bevölkerungskreise, die „rational nicht beweisbare“ Gründe dennoch nicht ausschliessen möchten, gilt die zu einfache These, wonach diese deshalb irrational wären, schon lange nicht mehr. Leider gibt es in unserem Sprachgebrauch zwischen den beiden unüberbrückbaren Standpunkten keinen dritten, wie im angelsächsischen. Dort wird mit arational bezeichnet, was zwar nicht rational, aber deshalb noch lange nicht irrational zu sein braucht).
Eine neue Energiepolitik
In der Wintersession des Nationalrats zeigte sich, dass in der einwöchigen Diskussion der schrittweise Atomausstieg in kleinen Schritten als Richtlinie weiterhin Gültigkeit hat. Das heisst auch, dass die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) als Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien erhöht und gestärkt werden soll. FDP und SVP wehren sich dagegen. Verteuerte Energie schade dem Wirtschaftsstandort Schweiz wird etwa von der FDP argumentiert. Die SVP möchte am status quo am liebsten gar nichts ändern. Wieweit die seit dem 9. Januar 2015 geänderte Grosswetterlage für die Schweizer Exportindustrie die Meinungen beeinflussen wird, ist noch unklar.
Die Diskussionen um Energiewende/Erderwärmung und entsprechende staatliche Interventionen laufen in allen Ländern der westlichen Welt, neuerdings sogar in den USA, die sich bisher eher resistent erwiesen haben gegenüber solchen Nachhaltigkeitsdebatten. Der Economist hat sich im Januar 2015 zu Wort gemeldet mit dem Befund, dass umweltbedingte staatliche Eingriffe wohl weniger kosten würden als bisher angenommen („Environmental regulations may not cost as much as governments and businesses fear“). Ein neues Datenerhebungsverfahren der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) kommt zum Schluss, dass eine Verschärfung der staatlichen Eingriffe das Produktivitätswachstum dieser Länder nicht schwäche. Der Meinung von Regierungen und Wirtschaft, wonach „grüne“ Regelvorschriften automatisch zusätzliche ökonomische Kosten verursachen, wird darin widersprochen.
Letztlich wird es in unserem Land darum gehen, einen pragmatischen Mittelweg zwischen Pro-Ökonomie- und Pro-Ökologielobby zu entwickeln. Traditionell ökonomiegeprägt Denkende vertrauen auf den Marktmechanismus, tiefe Energiekosten und sträuben sich deshalb gegen eine nachhaltiger Energiepolitik und neue Vorschriften. Eher Ökologiebewusste sind (aus guten Gründen) weniger marktgläubig, sprechen gar von einem Marktversagen, und halten dagegen Lenkungsabgaben und Investitionen in die beabsichtigte Energiewende für Wirtschaftsstimulatoren.
Zu billige Mobilität
Vor dem Hintergrund der globalen Umweltprobleme kommt den Energiepreisen eine unbestreitbar zentrale Rolle zu. Nicht erneuerbare Energie wie Öl, Gas oder Uran sind zu billig (in den letzten Monaten hat sich zudem der Erdölpreis halbiert). Was zu billig ist, wird verschwendet.
Die grösste Energieverbrauchsgruppe ist in der Schweiz mit 35% Anteil der Verkehr, sprich die hohe Mobilität. Innerhalb dieser Gruppe ist Autofahren der Hauptverursacher. „Autofahren ist viel zu billig“, moniert Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Berliner InnoZ. Eigentlich wissen wir das längst. Für eine steuerliche Verteuerung an der Tankstelle wäre momentan, angesichts konstant sinkender Benzinpreisen, der richtige Moment (Stichwort Lenkungsabgabe). Passieren wird das nicht. Bundesrätin Leuthard fürchtet sich wohl vor dem Protestkonzert der Autofahrer.
Dessen ungeachtet schlägt Reiner Eichenberger, Professor Universität Freiburg i.Ü. vor, die notwendige ökologische Steuerreform genau im Verkehrsbereich aufzugleisen. Er ruft in der NZZ in Erinnerung, dass der Motorfahrzeugverkehr ungedeckte externe Kosten von 8 Milliarden Franken jährlich verursacht. Mit der gleichen Summe subventionieren wir den ÖV. Mit der Entlastung der staatlichen Budgets von 16 Milliarden Franken könnten die anstehenden Steuerreformen finanziert werden.
Forschungsmillionen als Hoffnungsträger
Mit zwei neuen Untersuchungen will der Nationalfonds die Wissenslücke von Politik und Wirtschaft verkleinern. Effizienzsteigerung von Fotovoltaik, Speicherkapazitäten und Verteilnetz sollen die Energiewende unterstützen. Ein wünschbarer Nebeneffekt wäre, dass sich die beiden streitbaren Antipoden zunehmend von lobbyorchestrierten Behauptungen Richtung Realität bewegen könnten. Dies wäre umso schöner, als Anzeichen darauf hindeuten, dass viele Konsumenten bereit wären, höhere Energiepreise zu bezahlen.
Momentan scheint es, als ob die Eckpunkte zur Energiewende vor allem im Gebäudebereich angesiedelt würden. Mit neuen Energievorschriften sollen Gebäudesanierungen nachhaltiger gestaltet werden. Dies entspricht langfristigem Danken. In der NZZ wird diese Entwicklung als „Attacke auf das Eigentum“ gewertet. Eine Woche später berichtet das gleiche Blatt über das Solarhaus ohne Netzanschluss in Brütten. Ist da ein handelnder Tüftler dem skeptischen Denker um Jahre voraus?
Energie- statt Mehrwertsteuer
Am 8. März 2015 dürfte die Initiative der GLP vom Schweizervolk abgelehnt werden. Schön wäre es, wenn die dadurch ausgelösten Diskussionen die Energiewende positiv beeinflussen würden im Sinne einer gesellschaftlichen Emanzipation: Wir sind es unseren Enkelkindern schuldig, einen, wenn auch schmerzhaften, Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten. Mit nebulösen Zielvorgaben, in Aussicht gestellten Lenkungsabgaben, mit leicht durchschaubarer Verzögerungstaktik ist es nicht getan.