Um dem C-Virus, das die Medien dominiert und uns rund um die Uhr beschäftigt, gelegentlich zu entkommen, gibt es Bücher, Filme, Bilder und vor allem: Musik. Wer in der Musikwelt nach etwas Neuem, Überraschendem, nach etwas Packendem und Starkem sucht, dem sei das neue Album eines alten weissen Mannes, des 79-jährigen Bob Dylan, empfohlen.
«Rough and rowdy ways» (was man behelfsmässig mit «raue und rüpelhafte Wege» übersetzen kann) heisst das Album und es fasziniert einen 71 Minuten lang. Melodisch, melancholisch, warm und subtil tönt die Band – und Dylan mit seiner unverkennbaren nuschelnden, kratzigen Stimme lässt sich von den Musikwogen tragen. Bluesiges, Rock’n’Roll-haftes, Countrymässiges bekommt man zu hören, mal wuchtig, mal intim, perfekte Kombinationen, der Tradition verpflichtet, aber neu gemixt.
Und dann die Texte! Dylan hat es einem ja nie leicht gemacht und niemand wird behaupten wollen, er habe seine Texte immer ganz verstanden. Im neuen Album übertrifft er in Bezug auf den Inhaltsreichtum alles, was er bisher gedichtet hat. Liebe und Tod werden besungen, in Metaphern und Allegorien zerlegt, mit Namen und Zitaten von Shakespeare bis Ginsberg und Kerouac kombiniert oder mit Namen von Kollegen, Zeitgenossen assoziiert und belegt. Der Ermordung John F. Kennedys ist eine 17-Minuten dauernde Ballade gewidmet.
«I contain multitudes» (ich enthalte viele) besingt ein vielfältiges, vielseitiges Ich, ein verspieltes, getriebenes, auch selbstironisches Ich, das alles umfasst und nichts behalten will, das vieles vermag und dem doch nicht zu trauen ist. Mag Dylans Umgang mit Leben und Tod nach seinem eigenen Ermessen und Programm «rau und rüpelhaft» sein, so kommt er einem doch in gleichem Mass einzigartig fantasievoll vor. «I’m a man of contradictions» (Ich bin ein Mann der Widersprüche), singt er und selten in seiner langen Karriere hat er diese Widersprüche so schön, so stimmungsvoll herausgearbeitet.