Mona Lisa versteht nichts mehr. Kein Getümmel, kein lautes babylonisches Stimmengemurmel, kein Scharren von Füssen, kein Klicken von Fotoapparaten und keine hochgereckten Arme mit den heissgelaufenen Handys vor ihrer Nase und auch aus den angrenzenden und weiter entfernten Räumen des ehrwürdigen Louvre dringt kaum ein Laut zu ihr.
„La Joconde“ kommt sich verloren vor in den heiligen Hallen des ehemaligen Königsschlosses zu Paris. Manche behaupten schon, angesichts ihrer Einsamkeit schreie sie inzwischen durch die Stille der hallenden Gänge.
Geschlossen trotz aller Anstrengungen
Je länger es dauert, desto unverständlicher wird die Haltung der Regierung in Paris, die im Kampf gegen Covid alles über einen einzigen Kamm schert und nicht eingestehen will, dass Museen und historische Gebäude, wie etwa die unzähligen Schlösser in Frankreich, im gesamten Kultursektor die Orte sind, in denen der Publikumsverkehr am einfachsten und am sichersten zu regeln und zu kanalisieren wäre. Dementsprechend haben die Betreiber dieser Örtlichkeiten landauf, landab schon seit Monaten die ausgefeiltesten Sicherheitskonzepte vorgelegt.
Doch die Regierung in Paris bleibt stur. Mit einer Kulturministerin, die zwar viel redet, den Museumsdirektoren immer wieder ihre Solidarität beteuert und sie vertröstet, sich dabei aber hilflos windet und ganz offensichtlich im Kabinett sowie gegenüber dem Staatspräsidenten nicht mal einen Hauch von Macht hat, um etwas bewegen zu können.
In den Sicherheitsplänen der Museen, von denen viele schon während des ersten Lockdowns zwischen Mitte März und Mitte Mai letzten Jahres ausgearbeitet worden waren, heisst es etwa: Zutritt nur mit Maske und nur, wenn man sich vorher per Internet angemeldet hat. Gewartet wird draussen, drinnen müssen mindestens zehn Quadratmeter Platz pro Besucher sein. Gruppen dürfen nicht mehr als sechs Personen umfassen. Die ohnehin vorhandenen Überwachungskameras und das ohnehin vorhandene und bezahlte Personal sorgen dafür, dass sich alle nur in eine Richtung bewegen und es zu keinen Ansammlungen von Besuchern kommt. Cafeterias, Buchhandlungen und Toiletten im Museum bleiben geschlossen.
Genützt hat es nichts. Die Regierung in Paris blieb schon im letzten Frühjahr und bleibt heute erneut unnachgiebig.
Neuer Anlauf
Vor einer Woche hat dann eine Hundertschaft von Museumsdirektoren und Verantwortlichen von Kunstzentren, die diesen Mangel an Flexibilität endgültig satthaben, die letzte von zahlreichen Petitionen durchs Land geschickt mit der Forderung, ihre Einrichtungen wieder öffnen zu dürfen, und sei es nur „für eine Stunde, einen Tag, eine Woche oder einen Monat“.
Der Verwaltungschef des Pariser Louvre, Frédéric Jousset, einer der Mitunterzeichner des Aufrufs, wendet sich mit folgenden Worten an die Pariser Zentralregierung: „Wir fordern einfach Gleichbehandlung. Auf welcher Grundlage bleiben zum Beispiel die Stadtbibliotheken geöffnet, wo dort doch Bücher von Hand zu Hand gehen? Aus welchen Gründen können Geschäfte, auch die unnötigsten, geöffnet bleiben, während kulturelle Orte, in denen die Besucher sich bewegen, in denen man nichts anfasst, nichts trinkt, nichts isst und nicht singt, geschlossen bleiben müssen. Zudem hat es bisher in keinem einzigen Museum in Frankreich je einen Cluster gegeben. Warum müssen sie trotzdem geschlossen bleiben? Wir fordern nichts Besonderes, auch keine Subventionen, wir wollen nur so behandelt werden wie die Geschäfte und die grossen Supermärkte, die geöffnet bleiben dürfen.“ Auch diese Initiative hat bisher keine Früchte getragen.
Unmut und finanzielle Sorgen
Andere empörte Stimmen aus der Provinz forderten die Regierung in Paris dieser Tage auf, doch endlich von ihrem übertriebenen Zentralismus abzulassen, die Verantwortlichen in den Départements und die Bürgermeister in den Kommunen wüssten schliesslich am besten, was in welchen Museen oder historischen Monumenten in ihrer näheren Umgebung unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen während der Pandemie möglich sei und was nicht.
„France urbaine“, die Vereinigung der Bürgermeister der grössten Städte Frankreichs, verlangte erst gestern, man solle sich dem Problem doch bitte vor Ort annehmen dürfen und forderte, lokale Experimente der Wiedereröffnung kultureller Orte zu genehmigen, allen voran die der Museen.
Deren finanzielle Situation, und das kommt hinzu, ist vielerorts inzwischen katastrophal. Nur drei Beispiele: Der Louvre verliert monatlich zehn Millionen Euro, dem Schloss von Versailles fehlten im vergangenen Jahr 70 Millionen, das Schloss von Chantilly, nördlich von Paris, ist inzwischen de facto sogar zahlungsunfähig.
Ein Ultrarechter macht es vor
Die Verbohrtheit und Verzagtheit der Regierung in Paris in Sachen Wiedereröffnung von Museen ist nun ausgerechnet von einem rechtsextremen Bürgermeister äusserst medienwirksam bestraft worden.
Louis Aliot, bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr mit Unterstützung der Le Pen-Partei Rassemblement National im südfranzösischen Perpignan zum einzigen rechtsextremen Bürgermeister einer Stadt mit mehr als 100’000 Einwohnern gewählt, hatte am Montag dieser Woche per Erlass beschlossen, die vier Museen seiner Stadt sollten am kommenden Tag wieder ihre Pforten öffnen.
Und sie taten es, im Blitzlichtgewitter der Photographen, vor den Linsen unzähliger Kameras und vor dutzenden, aus dem ganzen Land herbeigeeilten Journalisten. Und Louis Aliot, der Bürgermeister, sagte überhaupt nichts Skandalöses, gab sich zurückhaltend und bescheiden und tat letztlich nichts anderes, als sich in seinen Statements der Argumente aus dem oben genannten Appell der hundert Museumsdirektoren für die Wiedereröffnung ihrer Häuser zu bedienen.
Natürlich ist dem politischen Rechtsaussen im tiefen Süden Frankreichs, der normalerweise mit Kultur nicht viel am Hut hat, mit seiner Initiative in erster Linie ein perfekter politischer Coup gelungen. Gleichzeitig ist es aber nicht übertrieben zu sagen, dass das Stadtoberhaupt Louis Aliot für sein Vorgehen nicht nur bei vielen Bürgern seiner Stadt, sondern sogar landesweit reichlich Beifall geerntet hat, wenn auch meist hinter vorgehaltener Hand. Für die Regierung in Paris geriet die Aktion zu einer handfesten Ohrfeige.
Kaum hatte jedoch der Bürgermeister von Perpignan seinen Erlass veröffentlicht, rief der Präfekt des Département Pyrénées Orientales, der verlängerte Arm der Pariser Regierung, das Verwaltungsgericht an, um den Erlass rückgängig zu machen. Normalerweise wird in solchen Fällen das Urteil innerhalb von 24 Stunden gefällt und auf Grund der Rechtslage immer zu Gunsten der Zentralregierung. Das Verwaltungsgericht von Perpignan jedoch setzte die Verhandlung erst für kommenden Montag an. Mit anderen Worten: Sechs Tage lang werden die Bewohner der Stadt, dessen Bahnhof Salvador Dali einst als „Zentrum der Welt“ bezeichnet hatte, Gelegenheit gehabt haben, ihre vier Museen wieder einmal aufzusuchen.
Der Nächste
Gestern hat dann sogar ein zweiter Bürgermeister nachgezogen. André Laigniel, Urgestein der vor sich hin siechenden Sozialistischen Partei, unter Präsident Mitterrand mehrmals Staatssekretär und seit sage und schreibe 43 Jahren Chef im Rathaus der zentralfranzösischen Kleinstadt Issoudun, wollte ebenfalls die Unbeweglichkeit und Zaghaftigkeit der Pariser Zentralregierung nicht mehr hinnehmen und verkündete seinerseits, das einzige Museum seiner Stadt werde ab diesem Samstag per Erlass, den er als Stadtoberhaupt unterzeichnet habe, wieder geöffnet.
In einer flammenden Rede geisselte der 78-jährige Laignel gestern die mangelnde Kohärenz der Regierungspolitik, welche Mediatheken, Supermärkten, Gotteshäusern und allen privaten Galerien erlaubt zu öffnen, nicht aber den Museen. Deren andauernde und vollständig Schliessung sei schlicht und einfach unverhältnismässig. Es sei jetzt endlich an der Zeit, so der alte Haudegen der französischen Politik weiter, dass statt des derzeit herrschenden „esprit de système“ sich ein „esprit de finesse“ breit mache. Und in Anspielung auf den zunehmenden Überdruss der Bevölkerung, was die seit Monaten geltenden Einschränkungen im Alltag angeht, schloss er mit den Worten: „Zu glauben, dass etwas, das im Jahr 2020 für die Menschen noch erträglich war, es im Jahr 2021 weiterhin bleiben wird, ist illusorisch.“
Doch Laignels Erlass über die Wiedereröffnung des Stadtmuseums – dafür darf man die Hand ins Feuer legen – wird der zuständige Präfekt auch in Issoudun durch das Verwaltungsgericht wieder rückgängig machen lassen. Alles andere wäre im Zentralstaat Frankreich ja leider ebenfalls illusorisch.
Doch wer weiss. Vielleicht haben die Initiativen von zwei politisch sehr gegensätzlichen Lokalpolitikern ja sogar einen Schneeballeffekt und bewirken in den Pariser Ministerien ein wenig mehr Flexibilität oder gar ein Umdenken.