Ein Sonntagmorgen am Monte Rosa. Um viertel vor neun kommt der erste Helikopter. Er setzt auf in 4100 Meter Höhe auf dem westlichen Sattel unterhalb der Dufour-Spitze. Ein Bergführer und einige Skifahrer springen aus dem Helikopter. Sie machen sich parat für eine Abfahrt von 16 Kilometer Länge bis nach Zermatt. Mehr als zweieinhalbtausend Höhenmeter, „ein landschaftlich und skifahrerisch gigantisches Erlebnis“, wie es auf der Homepage der Air Zermatt heisst. “Die Abfahrt wird berauschend sein und unvergesslich. Jetzt online buchen!“
Und das hatten am gestrigen Sonntag wieder viele getan. Bei wolkenlosem Himmel landet im Abstand von zehn Minuten ein Helikopter nach dem andern am Monte Rosa, und der Lärm im Anflugkorridor erfüllt die ganze Gletscherregion.
Skipisten im Landschaftsschutzgebiet?
Eine atemberaubend schöne Hochgebirgslandschaft, da muss man der Air Zermatt recht geben. Deshalb wurde das Gebiet als Schutzgebiet erklärt. Es gehört zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN)
Mit dem Helitransport ist die Tiefschneeabfahrt vom Monte Rosa praktisch zur Skipiste umfunktioniert worden. Mit dem Umstand, dass die Helikopter mehr Lärm und Gestank machen als jede Gondelbahn. Die Heli-Fliegerei löst immer wieder Wutanfälle aus bei den Alpinisten, die früh morgens um fünf von der Monte Rosa-Hütte aufgebrochen sind, um den Gipfel zu besteigen. Sie suchen die Begegnung mit einer Bergwelt, die mit ihrer Abgeschiedenheit und ihren Gletschern zu den wenigen verbleibenden Refugien der Alpen gehört. Sie suchen die Stille und die Einsamkeit der letzten grossen Eiswüsten. Da sind die Helikopter ein Ärgernis.
Heliskiing als Big Business
Anders sehen das die Helikopter-Unternehmen und die mit ihnen geschäftlich verbundene Hotelerie- und Tourismusbranche. Heliskiing ist mittlerweile fester Bestandteil des Tourismus- Angebotes in einigen grossen Wintersportzentren, besonders im Wallis. 380 Franken kostet der Flug pro Person bei der Air Zermatt, der Bergführer ist obligatorisch und im Preis inbegriffen. Er bekommt zwischen 400 und 600 Franken am Tag, leicht verdientes Geld, wenn man es vergleicht mit den Anstrengungen und Risiken einer geführten Skitour oder Klettertour. Vor ein paar Jahren sagte mir ein junger Walliser Bergführer, sein Hauptverdienst im Winter sei das Heliskiing.
Die Air Zermatt argumentiert, dass sie diesen Zusatzverdienst braucht und dass Heliskiing unverzichtbar sei für die Ausbildung der Piloten. Ohne Heliskiing hätten sie zu wenig Möglichkeiten, Anflug und Landung im Hochgebirge zu üben. Ein fadenscheiniges Argument, entgegnen Insider. Heliskiing wird nur bei schönem Wetter und auf unkomplizierten Landeplätzen praktiziert, schon allein wegen der Sicherheit der Klienten. Rettungsflüge und Landungen unter schwierigen Bedingungen können Piloten beim Heliskiing kaum lernen. Und die meisten Rettungen macht ohnehin die Rega. Deren Piloten erwerben ihre Fähigkeiten nicht beim Heliskiing. Die Pilotenausbildung im Monte-Rosa-Gebiet ist im übrigen laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes gestattet, aber eben: Pilotenausbildung hat mit dem Heliski-Geschäft wenig zu tun.
Der Konflikt zwischen Alpinisten und der Heli-Lobby kocht seit Jahrzehnten. Während benachbarte Alpenländer wie Österreich, Deutschland und Frankreich das Heliskiing verboten haben – selbst Italien hat nur das Aostatal freigegeben – erlaubt die Schweiz 42 Gebirgslandeplätze, davon ein grosser Teil in BLN-Schutzgebieten oder an der Grenze solcher Schutzgebiete. Umweltverbände und Alpenschutz-Organisationen haben bisher erfolglos versucht, die überhand nehmende Heli-Fliegerei einzudämmen. Es gab parlamentarische Vorstösse, - ohne Erfolg. Das federführende Bundesamt für Zivil-Luftfahrt BAZL tat bisher wenig, um den Konflikt zu entschärfen. Gewisse Querverbindungen zwischen dem BAZL und der Piloten-Lobby sind kein Geheimnis.
Ein brisantes Gutachten
Mit der Walliser Heli-Lobby diskutieren ist wie eine Diskussion mit Schwerhörigen, sagen die Naturschutz-Organisationen. Doch seit kurzem kommt Bewegung in die Diskussion. Die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission ENHK kommt in ihrem jüngsten Gutachten zu dem Schluss, der Heliski-Betrieb sei nicht zu vereinbaren mit dem Ziel, die „nahezu unbelastete“ Hochgebirgslandschaft am Monte Rosa zu schützen. Folglich müsse der Landeplatz aus der Liste der autorisierten Gebirgslandeplätze gestrichen werden. Die ENHK ist eine ausserparlamentarische Kommission des Bundes.
Das Bundesamt für Zivil-Luftfahrt hält sich bedeckt. Interne Abklärungen seien nötig. Klar ist aber, dass das Bundesamt handeln muss. Denn das brisante Gutachten wurde auf Geheiss des Bundesverwaltungsgerichtes angefertigt. Das BAZL war 2007 vom Bundesrat gezwungen worden, die 42 Schweizer Gebirgslandeplätze zu überprüfen. Das Gutachten ist nun das Ergebnis dieser Prüfung. Wenn der Landeplatz am Monte Rosa aufgehoben würde, käme eine Lawine ins Rutschen..
„Si l‘on perd la place du Mont Rose toutes les places dans les zones protégées vont tomber, ça c’est clair et net“, sagte gestern Gerold Biner, Direktor der Air Zermatt, in einem Tagesschau-Beitrag des Westschweizer Fernsehens.
Die Stimmung ist aufgeheizt, denn im Wallis spürt man, dass die Situation ins Kippen kommt. Jahrzehnte lang wurde weggeschaut und ausgesessen. Man wähnte sich unangreifbar.
Es geht um die Zukunft des Alpentourismus
Dabei wurde souverän ignoriert, dass die Diskussion um das Heliskiing ein grundsätzliches Problem des Alpen-Tourismus berührt. Es geht letztlich um die Frage, wie weit die Schweiz ihr touristisches Kapital - nämlich die Alpenlandschaft - erhalten soll und wieviel Gelände künftig mit Liften, Bergbahnen, Hotels, Klettersteigen, Strassen, Parkplätzen, Motorschlitten, Heliverkehr oder Quads für einen schnellen und bequemen Konsum zugänglich gemacht werden soll. Mit der ungebremsten Erschliessung der Naturlandschaften sägt der Schweizer Tourismus an dem Ast, auf dem er sitzt, so argumentieren nicht nur die Alpenschutz-Organisationen, sondern auch viel Tourismus-Experten.
„Die Alpen zu einem Funpark für den schnellen Konsum machen, da sind wir nicht einverstanden.“ sagte gestern auf dem Monte Rosa Katharina Conradin, die Sprecherin der Alpenschutz-Organisation Mountain Wilderness, die seit vielen Jahren gegen Heliskiing kämpft.
Zehn Mitglieder von Mountain Wilderness hatten gestern in einem Biwak unterhalb des Gipfels die Nacht verbracht und entrollten am Morgen ihre Transparente, als die ersten Helis anflogen. Dabei gestikulierte wohl einer der Demonstranten allzu heftig, als ihm ein Heli im Anflug zu nahe kam. Das war für die Piloten zuviel des Bösen. Die Air Zermatt erstattete Anzeige wegen Behinderung des Flugverkehrs, wegen Beleidigung und wegen Missbrauch des alpinen Notsignals. Darauf hin wurden Kantonspolizisten auf den Schauplatz geflogen, sie nahmen die Personalien der Demonstraten auf. Diese mussten sich später in Zermatt zur polizeilichen Einvernahme melden
In der Schweiz wird geflogen was das Zeug hält
Vom Baumersberg-Sattel gelangt man auf einen Rücken, der sich steil zum Gipfel des Lauenehore hochzieht. Das Lauenehore ist knapp 2500 Meter hoch und liegt über Lauenen ob Gstaad. An jenem sonnigen Morgen machte ich mit meiner Begleiterin die erste Spur in den Pulverschnee, und wir freuten uns über die stille tief verschneite Winterlandschaft.
Plötzlich war der Motorlärm eines Helikopters zu hören. Der Heli setze mehrere Skifahrer in der Nordwest-Mulde unterhalb vom Gipfel ab. Wir standen wie vom Donner gerührt und sahen mit an, wie die Skifahrer quer und kreuz den Hang zerfurchten. Weiter unten machten sie Rast an einer Alp. Wir brachen den Aufstieg ab und fuhren hinunter zur Hütte.
Der Führer der Gruppe trug den Dress der Skilehrer von Gstaad. Ich fragte ihn, ob ihm klar sei, dass es hier keinen Gebirgslandeplatz gebe, dass er also etwas Verbotenes tue. Der Mann entgegnete, dass es sich nicht um Heliskiing handele, sondern um einen Material-Transport, schliesslich habe der Heli auf der Hütte noch Material abgeladen. Als ich ihn um seinen Namen bat, wurde er aggressiv: Das gehe uns nichts an, wir sollten uns doch um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern.
Das alpinistische Ethos und das Heliskiing
Die Begebenheit liegt mehr als zehn Jahre zurück, aber sie könnte sich heute morgen an jedem Skitourenberg in den Schweizer Alpen zugetragen haben. Denn das Heliskiing wird nicht nur auf den autorisierten Landeplätzen betrieben, sondern auch illegal. Der einfache Trick besteht darin, den Flug als Materialtransport oder Versorgungsflug zu kaschieren, denn diese Flüge bedürfen keiner Genehmigung und werden – meines Wissens - auch nicht statistisch erfasst. Und es geht nicht nur um Heliskiing. In den letzten Jahren habe ich schon alles beobachten können, - von der Barbecue-Party mit Gletscherkulisse bis zum Geburtstagsfest der Forellenfischer. Es gibt kein Fun-Event, das nicht per Heli bedient wird.
Zehntausende Erholungsuchende, die zu Fuss und mit den Fellen unter den Skiern in die Berge gehen, lehnen das Heliskiing ab. Ihnen geht es sicher nicht nur um den Schutz der letzten unerschlossenen Landschaften. Es geht auch und vor allem um ein alpinistisches Ethos. Wenn beim Bergsteigen der Weg das Ziel ist, dann kann dieser Weg wohl kaum motorisiert bewältigt werden. Sonst verliert das Bergsteigen seinen Sinn. Mit gleichem Recht könnte man das Wettkampfschwimmen bei der Olympiade abschaffen, denn mit dem Motorboot legt man die Strecke allemal schneller zurück.
„Spass und Fun für wenige auf Kosten vieler anderer und der Natur: da muss die Freiheit Grenzen haben“, sagte vor Jahren Jürg Meyer, der ehemalige Umweltbeauftragte des Schweizer Alpenclubs. Und Franz Hohler formulierte es noch einfacher: „Die letzten Gipfel ohne Bergbahnen sollten sich selbst gehören und denen, die sie zu Fuss ersteigen.“