Gérard Depardieu ist noch immer für Überraschungen gut. Als Rolleninterpret nicht mehr ganz so oft wie einst, aber als aufmüpfiger Citoyen mit Hang zur politischen Inkorrektheit und Exzentrik alleweil. Zuweilen rüttelt er an den Barrieren zur Peinlichkeit, ab und an reisst er sie sogar ein.
Hommage an eine Grande Dame des Chansons
Jetzt fliegen dem Mimen mit der unvergleichlich modulationsfähigen Schmeichelstimme wieder alle Herzen zu. Weil er ein artistisches Ausrufezeichen der besonderen Art gesetzt hat: Im Februar dieses Jahres begeisterte er an mehreren Abenden im Pariser Théâtre des Bouffes du Nord das Publikum. Teils in einem Fauteuil sitzend, die Textblätter in der Hand, erwies er einer Grande Dame des Chansons français Referenz: Barbara (1930–1997).
Monique Andrée Serf, wie sie eigentlich hiess, stammte aus einer jüdischen Familie. Der Vater war Elsässer, die Mutter eine Russin aus Odessa. Während der Besetzung Frankeichs durch die deutsche Wehrmacht lebte die Familie an verschiedenen Orten im Land in ständiger Angst vor nationalsozialistischer Verfolgung. Nach dem 2. Weltkrieg studierte Barbara dann in Paris klassische Musik, zog nach Brüssel, trat erstmals als Chansonnière auf.
Frau von dunkelerdiger Extravaganz
Barbara, eine Frau von dunkelerdiger Extravaganz, intonierte anfangs mit geringem Erfolg Kompositionen etwa von Jacques Brel oder Georges Brassens. 1964 dann schaffte sie mit eigenem Material den Durchbuch: „Göttingen“ – es geht um die Freundschaft zwischen jungen Menschen aus den lange verfeindeten Ländern Deutschland und Frankreich – wurde ein Hit. Und ihr nachfolgendes erstes Album, „Barbara chante Barbara“, fand grosse Beachtung.
Bald prägte Barbara mit der etwas älteren Edith Piaf (1915–1963) und mit Juliette Gréco (geboren 1927) die feminine Chanson-Szene – inspiriert vom kulturellen, gesellschaftspolitischen Bohème-Esprit des französischen Existenzialismus.
„Lily Passion“
Das Originalwerk von Barbara ist gut ediert auf Tonträgern oder Videos greifbar. Und angesichts der Komplexität und Unverwechselbarkeit ihres Stils wird eine Interpretation fast zum Wagnis. Depardieu geht es ein. Und reüssiert auf der Bühne wie auf dem eben erschienenen Album „Depardieu chante Barbara“. Nach wenigen Takten ist klar, dass Depardieus Hommage weit über kollegiale Bewunderung hinausweist. Die beiden Künstler verband eine enge und lange Freundschaft. 1986 etwa bestritt die mythenumflorte Barbara mit dem zum Filmstar avancierten Depardieu die Bühnenshow „Lily Passion“; tout Paris war dabei und „Le Monde“ titelte: „Un rendez-vous d’amour“.
Schauspieler als Sänger oder umgekehrt? In Frankeich hat das eine grosse Tradition. Man denke an Persönlichkeiten wie Serge Gainsbourg, Yves Montand, Serge Reggiani, Charles Aznavour, Jacques Brel, Patrick Bruel, Jacques Dutronc. Und auch an den Rock ’n' Roller Johnny Hallyday. Der Name Depardieu kommt einem in dem Zusammenhang nicht sofort in den Sinn.
Entschlossenheit, Nonchalance, Sanftmut
Doch ein Blick in seine künstlerische Biografie schafft Klarheit: Im Film „Je vous aime“ (1980) von Claude Berri sang er Songs von Serge Gainsbourg. Im selben Jahr veröffentlichte er das Vinyl-Album „Ils ont dit moteur … Coupez!“ mit Songs zu Texten seiner damaligen Ehefrau Élisabeth Guignot. Und in „Chanson d’amour“ (2006) von Xavier Giannoli spielte er einen alternden „Crooner“ in der Provinz und trug alle Ohrwürmer bravourös selber vor.
Auf dem Album „Depardieu chante Barbara“ lässt er sich beherzt in die Melodien und Texte fallen. Mal mit bittersüsser Entschlossenheit, dann mit melancholischer Sanftmut und Zurückhaltung, zuweilen mit heiterer Nonchalance. Wie ein Suchender nach der stimmigsten Nuance für das, was Barbara erkundete: das Hoffen, die Angst, die Erinnerung, die Vergänglichkeit, die Liebe. Also das Schwierigste: das Leben.
Leben, was man spielt
Da und dort verfällt das mittlerweile 68-jährige „Monstre sacré“ der gallischen Kultur in einen Sprechgesang, setzt Seufzer, kleine Schreie, um dann hauchzarte, betörend melodische Vignetten zu formen. Fast ohne selbstgefällige Überbetonungen und immer mit Stil.
Das ist famos gemacht und hat etwas von der Spontaneität, die sich einem im Film nicht erschliesst. Wer aber das Glück hatte, diesen Berg von Mann schon real auf einer Theaterbühne zu erleben, kennt die magnetisierende Wirkung, die er erzeugen kann: rau, kantig, proletarisch, verletzlich – Depardieu versucht zu leben, was er spielt.
„A Force de…“
Und so lauscht man mit Neugierde, Hingabe und Lust, wenn er das erwähnte „Göttingen“ und dreizehn weitere Perlen aus Barbaras Fundus anstimmt, darunter „La solitude“, „L’aigle noir“, „l’île aux mimosas“, „Nantes“, „Une petite cantate“, „Le soleil noire“. Und auch ein Chanson, das für den Interpreten von schicksalhafter Bedeutung ist: „A force de …“ wurde von seinem Sohn Guillaume für Barbara getextet, der an der Schwelle zu einer gossen Kariere 2008 erst 37-jährig verstarb.
„Depardieu chante Barbara“ ist ein superbes Album. Es endet würdig mit dem von Gérard Daguerre komponierten Instrumentalstück „Précy Prélude“. Bis 1996 hat er mit Barbara zusammengearbeitet, jetzt begleitet er Gérard Depardieu als Pianist. „Précy Prélude“ verweist auf Barbaras Wohnort Ort Précy-sur-Marne; das feinsinnige Oeuvre „Depardieu chante Barbara“ ist in ihrem Haus eingespielt worden.