Die Ukraine ist einer der höchstgerüsteten Staaten der Welt. Laut dem Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Sipri) steht die Ukraine auf der Rangliste der Waffenexportstaaten an achter Stelle – seit 2011 mit steigender Tendenz.
Virtgrösste Militärmacht
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erbte die Ukraine neben Atomwaffen (auf die sie 1994 vertraglich verzichtete) mehr als 6500 Panzer, 7200 Artilleriegeschütze, 1500 Kampfflugzeuge, 710 Angriffshelikopter und 412 Kriegsschiffe. Damit wurde sie zur viertgrössten Militärmacht hinter den USA, Russland und China.
Ein Grossteil dieser schweren Waffen wurde wegen mangelnder Wartung unbrauchbar oder als Überschüsse ins Ausland verscherbelt. Anfang 2013 verfügte die Ukraine gemäss dem Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) immerhin noch 2311 Kampfpanzer, 3782 gepanzerte Mannschaftstransporter, 3101 Artilleriegeschütze, 501 Kampfflugzeuge und 121 Angriffshelikopter. Ausserdem hortet sie sieben Millionen Handfeuerwaffen, vor allem Kalaschnikows.
Waffenexporteur
Die Ukraine war eine der wichtigsten Waffenschmieden der Sowjetunion. Auf diesem Gebiet ging die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Russland nach der Trennung weiter. Rund 50 Rüstungsfabriken befinden sich in der russischsprachigen Ost-Ukraine.
Die Staatsbetriebe Ukrspetsexport und Rosoboronexport traten als Besitzer der gemeinsam erzeugten Waffen auf. Stolz verweist Ukrspetsexport auf Lieferverträge mit 78 Staaten. Die Verschiffung ihrer Waren in Krisengebiete rund um den Erdball überlassen diese Staatsfirmen privaten Unternehmen, die ihren Sitz vornehmlich in Odessa (Ukraine) haben und ihre Geschäfte über litauische Banken abwickeln. Auf diese Weise lieferte die Ukraine schwere Waffen unter anderen an China, Indien, Pakistan, Thailand, Iran, Syrien, Angola, Äthiopien, Nigeria, Uganda die Demokratische Republik Kongo und den Sudan.
„Odessa Network“
Noch im vergangenen Jahr gingen T-64- und T-72-Panzer sowie Schützenpanzer des Typs BTR-4 an Nigeria, Uganda, die Demokratische Republik Kongo und den Irak. Während des Kriegs zwischen der sudanesischen Zentralregierung und dem abtrünnigen Süd-Sudan belieferte die Ukraine beide Seiten mit Panzern und anderen schweren Waffen. Als Empfänger der für die von den USA unterstützten Separatisten im Süd-Sudan bestimmten Panzer war Kenia angegeben. Die Regierung in Khartum setzte einen Teil des von der Ukraine gelieferten Geräts gegen die Rebellen in der Provinz Darfur ein, wo gleichzeitig ukrainische Transportflugzeuge Hilfsgüter der UNO für die hungernde Bevölkerung entluden. Die riesigen in der Ukraine immatrikulierten Atonow und Iljuschin fliegen seit Jahrzehnten im Auftrag internationaler Hilfswerke rund um die Erde. Manchmal transportieren sie auch Soldaten und Waffen.
In Fachkreisen ist das „Odessa Network“ ein Begriff. Von der Hafenstadt am Schwarzen Meer aus ziehen die locker vernetzten Waffenhändler ihre Fäden. Firmen, deren Namen in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, heissen Kaalbye Group oder Phoenix Trans-Service.
Korruption
Wie viel Gewinn der Export militärischer Überschüsse und moderner Waffen dem ukrainischen Staat einbringt, ist schwer herauszufinden. Zwischen dem erklärten Wert und den tatsächlichen Erträgen klafft ein Loch. Nach Ansicht von Experten fliessen bis zu 90 Prozent der Summen in die Taschen korrupter Regierungsbeamter und Militärs auf beiden Seiten der Kette.
Daraus zu schliessen, dass die Ukrainer nur veraltete Waffen herstellen und an Entwicklungsländer verramschen, wäre aber voreilig. Es stimmt, dass der Grossteil der ukrainischen Waffen mehr als 25 Jahre alt ist. Auch die Separatisten kämpfen mit solchem Gerät. Moskau und die Kiew haben aber bis zu ihrem Zerwürfnis gemeinsam in neue Technologien investiert. Vergangenes Jahr stellten die Ukrainer ein neues Militärtransportflugzeug der Antonow-Reihe vor, das auf sehr kurzen Pisten landen kann.
Kontrolle des Waffenhandels
Von Russland und der Ukraine entwickelte tragbare Anti-Panzer-Raketen sind den als Militärhilfe der USA in Erwägung gezogenen „Javelin“-Lenkwaffen durchaus ebenbürtig. Wie jedes Jahr wird im September in Kiew ein „Internationaler Rüstungs- und Sicherheitssalon“ stattfinden, auf dem ukrainische Firmen ihre jüngsten Produkte ausstellen. Da könnte doch einiges für die eigene Armee abfallen. Doch Waffen können die Motivation der Kämpfer nicht ersetzen.
Die Ukrainer sind sich ihres schlechten Rufs als Waffenhändler und Kriegsgewinnler bewusst und haben den 2013 im Rahmen der Uno ausgehandelten Vertrag über eine Kontrolle des Waffenhandels (ATT) unterzeichnet. Dieser Vertrag, der den internationalen Handel mit konventionellen Waffen transparenter machen soll, ist am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten. Gegen den Vertrag stimmten auf der Uno-Generalversammlung nur Iran, Syrien und Nordkorea. Die Ukraine gehört allerdings nicht zu den 63 Staaten, die den ATT bisher ratifizierten. Auch die USA, Russland und China sind nicht darunter. Die Schweiz hat das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert.