Der Spuk ist vorbei. In Basel herrscht Erleichterung, bei manchen sogar Begeisterung. Moritz der Retter ist da. Die Redaktion hat ihn, wie man liest, mit einer stehenden Ovation empfangen (siehe: www.onlinereports.ch). Befragte Baslerinnen und Basler reagieren euphorisch und nehmen ihre Abonnementskündigungen wieder zurück. Es äussert sich ein Glücksgefühl, als ob die Rettung bereits gelungen sei. Dabei hat sie gerade erst begonnen.
Aber wahrscheinlich wird die Freude noch aus einer anderen Quelle gespeist: Aus dem Gefühl, einer zunehmend unheimlichen Operation gerade noch entgangen zu sein: der Operation „NNZ“, die „Neue National Zeitung“, wenn wir mit diesem Phantasie-Namen das rechtsnationale Zeitungsprojekt benennen wollen, das immer schärfere Umrisse annahm.
Ein rechtsnationales Zeitungsprojekt
Der Phantasiename hat seinen ironischen Sinn: Die „Basler Zeitung“ war 1977 hervorgegangen aus der Fusion der bürgerlich-liberalen, ziemlich aufsässigen „Basler Nachrichten“ (Chefredaktor Oskar Reck) mit der grösseren linksliberalen „National-Zeitung“ (Chefredaktor Alfred Peter); die „National-Zeitung“ war übrigens die erste Schweizer Zeitung mit einem Redaktionsstatut. Eine „Neue National-Zeitung“ für Christoph Blochers SVP hätte, Ironie der Geschichte, die rechte Wendung zur rechten Zeit vor den Eidgenössischen Wahlen 2011 gebracht. Und die Rechte am Namen „National-Zeitung“ hatten Wagner, Tettamanti und ihre Hintermänner mit dem Kauf der „Basler Zeitung Medien“ ja erworben. Aber das bleibt trotzdem, glücklicherweise, Phantasie.
Keine Phantasie sind die realen Indizien. Mit dem Financier Tito Tettamanti und Rechtsanwalt Martin Wagner treten beim Kauf der „Basler Zeitung Medien“ im Februar 2010 gleiche Akteure auf wie bei der „Weltwoche“ im Jahr 2001. Damals übernahm Tito Tettamanti mit einer Gruppe von Investoren die „Weltwoche“, fünf Jahre später, im November 2006, übergab er sie (zunächst den Anteil von 60 Prozent) an den neuen Verleger und Chefredaktor Roger Köppel. Die „Weltwoche“ produziert bis heute vor Wahlen und Abstimmungen redaktionelle Titelgeschichten im Sinne der Schweizerischen Volkspartei SVP – in der Ausgabe vom 18. November 2010 zum Beispiel:
„Schwarze in der Schweiz“, zur Kriminalität afrikanischer Einwanderer, und: „Hilfe, mein Haus ist nichts mehr wert! Wie die SP-Steuerinitiative den Mittelstand enteignet.“ Roger Köppel gilt in der Medienszene als legitimer Vertreter der SVP oder von Christoph Blocher in Talk-Runden und Polit-Diskussionen wie dem „SonnTalk“ bei TeleZüri oder der „Arena“ des Schweizer Fernsehens.
Für den geübten Beobachter ist auf diesem Hintergrund schon der Kauf der „Basler Zeitung“ als politisches Projekt erkennbar, mit Blick auf die Eidgenössischen Wahlen von 2011 und die förderungsbedürftige Situation der SVP im Raum Basel sowieso. Die späteren Ereignisse bestätigen diese Logik in rasantem Tempo. Ende August übernimmt in einer Blitzoperation der stellvertretende Chefredaktor der „Weltwoche“ und Blocher-Biograph Markus Somm die Chefredaktion der „Basler Zeitung“; Urs Buess, der der Linken zugerechnet wird, bleibt stellvertretender Chefredaktor, tritt aber trotz der versprochenen Ausgewogenheit publizistisch kaum mehr in Erscheinung. Somm prägt die publizistische Linie des Blattes: „Er war auf dem Weg, die Zeitung zum SVP-Parteiblatt zu machen.“ (Peter Knechtli, Chefredaktor der Basler „onlinereports“). Personalpolitische Indizien aus jüngster Zeit bestätigen dieses Urteil: Eugen Sorg, früherer „Weltwoche“-Autor, soll neuer Textchef werden, Max Frenkel, rechtskonservativer ehemaliger NZZ-Redaktor, wird als Kommentator verpflichtet.
Unternehmen und Redaktionsleitung im Gleichschritt
Unternehmerische Entscheidungen begleiten diesen redaktionellen Prozess: Ende September verlegt die Holdinggesellschaft der BaZ-Medien ihre Niederlassung nach Zug und ändert ihren Namen in „Watt Capitol Holding AG“. Sie hat ihren Sitz in der Anwaltskanzlei von Ernst Brandenberg. Manuel Brandenberg, der Sohn, ist Präsident der SVP der Stadt Zug und Verwaltungsrat der „Schweizerzeit“ von SVP-Nationalrat und AUNS-Mitglied Ulrich Schlüer. Schlüer selber war in jüngeren Jahren Sekretär von James Schwarzenbach („Schwarzenbach-Initative“) und Mitglied der Apartheid-freundlichen „Arbeitsgruppe Südliches Afrika“. Als Chefredaktor führt er die „Schweizerzeit“ in dieser Tradition.
All das war öffentlich, nachvollziehbar, nachzulesen, löste in Basel aber keine erkennbare Unruhe aus. Die Redaktion begrüsste Markus Somm sogar „fast euphorisch“ (Medienberichte), in der Hoffnung auf eine „neue Dynamik“.
Die Hoffnung hat sich erfüllt: Somm privilegierte SVP-Themen, kommentierte stramm auf rechtsbürgerlichem SVP-Kurs, öffnete aber auch die Spalten für einen Beitrag von Adolf Muschg über „Die Schweiz und Europa“ – um dann auch gleich eine ganze Seite bereitzustellen für eine Replik von Christoph Blocher. Eine Forumszeitung, unangreifbar.
Unabweisbare Indizien
Bis dann, vor genau 10 Tagen, am 14. November, die Bombe platzte. „Blocher übernimmt die Macht bei der ‚Basler Zeitung’, titelte die „NZZ am Sonntag“, und gab bekannt, dass Tito Tettamanti und Martin Wagner mit „Robinvest“, der Beratungsfirma von Christoph Blocher und seiner Tochter Rahel, einen Beratervertrag für die „Basler Zeitung Medien (BZM)“ abgeschlossen hatten.
Das löste nun echte „Dynamik“ aus. Beratung tut zwar not für die BZM; sie hat mit der Druckerei über 100 Millionen Franken Schulden angehäuft. Aber der Verdacht des direkten, rechtsnationalen Zugriffs auf die redaktionelle Linie der BaZ war nicht mehr auszuräumen – schon gar nicht, als die NZZ eine Woche später unbestritten und bestätigt nachschob, dass die „Robinvest“ schon beim Kauf der BaZ durch Tettamanti und Wagner als Unternehmensprüferin im Spiel war.
Man kann sich trotz deutlicher Indizien blenden lassen, taktisch herunterspielen, die Wogen glätten, wie das manche regierende Basler Politiker taten. „Ungeschickt“ sei es wohl, Blocher zu engagieren, aber doch nur ein Beratermandat, hiess es aus dem Regierungsrat. Wäre da nicht die Indizienkette gewesen... – Die Redaktion hingegen, ebenso wie die Abonnenten, liessen sich ihren Verdacht auch nicht von Blochers Beteuerungen ausreden: „Mit der BaZ selber habe ich nichts zu tun gehabt und werde auch nichts zu tun haben.“ (SonntagsBlick, 21. November 2010). Er wusste gar nicht, wie recht er hatte, würde der Spötter sagen.
Aber die Redaktion protestierte und hunderte Abonnentinnen und Abonnenten liessen lieber Vorsicht walten und verliessen das Schiff, das nun nicht trotz sondern wegen der Blocher’schen Beratung definitiv zu sinken drohte.
Beratung oder Steuerung aus dem Hintergrund?
Die „Robinvest“ ist als Beratungsfirma mit 1 Million Schweizer Franken ausgestattet und durchaus in der Lage, nach einer professionellen Analyse mit eben dem analysierten Betrieb eine Struktur zu vereinbaren, die einen nachhaltigen Einfluss sichert. „Trojaner“, abgleitet vom „trojanischen Pferd“, nennt man solche ‚Malware“ in der Computersprache. „Als etwas Nützliches getarnt, verleitet das trojanische Pferd, ‚der Trojaner’, die Angegriffenen dazu“, ihm Zutritt in den inneren Bereich des eigenen Systems zu geben – wo der Trojaner dann Schaden anrichten kann: „Auch die Installation eines ‚Backdoorprogramms’ ist möglich, das es gestattet“, das Unternehmen „unbemerkt über ein Netzwerk fernzusteuern.“ (Zitate: wikipedia). – Belege sind in solchen Fällen naturgemäss schwer beizubringen, aber es gibt Gründe für die Annahme.
Nun ist das Pferd an den Baslern aber nochmals vorbeigegangen. Der weisse Ritter Moritz Suter hat es vertrieben. Unternehmerisch gesprochen: Suter hat den Vertrag mit den Unternehmensberatern Christoph und Rahel Blocher und ihrer „Robinvest“ gekündigt, und er verlegt den Sitz der Unternehmensholding der „Basler Zeitung Medien“ wieder von Zug nach Basel. Die Redaktion ist glücklich, die Baslerinnen und Basler sind erleichtert, und die Medienverbände zeigen sich befriedigt. „Nun muss nicht mehr protestiert, nun kann wieder gearbeitet werden.“ Wohl schon.
Bleibt die Frage, wie es weiter geht.
Rettung der BaZ – eine gigantische Aufgabe
Moritz Suter hat die BZM wohl zu einem Schnäppchenpreis gekauft – von einem ordentlichen Abschreiber bei den Herren Tettamanti und Wagner dürfen wir ausgehen. Und wenn nicht alles trügt, kann der neue Kapitän auf dem „sinkenden Schiff“ (Moritz Suter) mit Solidarität aus der Region rechnen, auf jeden Fall mit Solidarität der Leserinnen und Leser. Ob das auch für den Geldadel gilt, der sich in Teilen einem Blocher’schen Regime nicht völlig abgeneigt zeigte, wird sich bald weisen. Kapital ist bei den Banken und den Unternehmen am Rheinknie jedenfalls vorhanden. Aber gerechnet wird gerade da in Franken und in Rappen.
Die Aufgabe ist gigantisch. Die Druckerei mit ihren Millionenschulden ist ein Sanierungsfall. Die „Basler Zeitung“ ist, bei Lichte besehen, mindestens ein Fall für einen „re-launch“: sie muss dringend auf den Stand der Dinge gebracht werden, den „state-of-the-art“. Peter Knechtli, Chefredaktor der erfolgreichen und journalistisch professionellen regionalen Website „onlinereports“ moniert zu Recht, dass die BaZ noch nicht einmal einen eigenständigen online-Auftritt hat. Sie ist Junior-Partner des vom Tages-Anzeiger (Tamedia) gesteuerten „newsnetz“, das selber mäandert zwischen gelegentlich hervorragenden Einzelstücken, meist billig boulevardeskem Kurzfutter, und nicht selten marketing-gesteuerten, rechtspopulistischen Aufreger-Beiträgen. Und wenn es um „heisse Geschichten“ geht wie die eben aufgefangene BaZ-Krise, nimmt die Zürcher Zentralredaktion ohnehin keine Rücksicht. – Da scheint Trennung angesagt und Eigenständigkeit. Vielleicht sind, in dieser psychologisch ganz besonderen Basler Kultur, Synergien möglich. Denn ein solcher Online-Auftritt kostet, braucht know how, und der „return on investment“ wird auf sich warten lassen.
Und die Zeitung selber?
Sie ist auf geradezu tragische Weise ausgedünnt, man möchte sagen, in manchen Bereichen heruntergewirtschaftet worden. Die „Kultur“ zum Beispiel ist bis in die jüngste Zeit ein Opfer fortgesetzter und am Ende doch nicht ausreichender Sparmassnahmen. Und dies in einer Region, in einer Stadt, die zu Recht stolz ist auf ihr herausragendes Kunst- und Kulturangebot, mit weltweiter Ausstrahlung. Und die nun, in der neuen Organisation der SRG SSR, zum Sitz der Kulturabteilung von Schweizer Radio und Fernsehen werden soll.
Und es gibt, fast vergessen, ein grosses Potential ausgezeichneter Journalisten und Publizisten in Basel, die mangels Raum und mangels verlegerischem Interesse in der „Basler Zeitung“ nicht zum Zuge kommen. Obwohl ihre Beiträge substantieller Anreiz sein könnten, die Zeitung zu kaufen, „vielleicht sogar in Zürich“, wie der neue Eigentümer sagte. Solche Arbeitskräfte kosten. Aber sie sind auch, (sorry Kollegen!) „Verkaufsargumente“. Wie auch immer: Eine Investition in Substanz und Qualität wird als zukunftsichernde Massnahme unabdingbar sein.
Versprechen für die Zukunft
„Eine Zeitung muss leben“, hat Moritz Suter vor den Medien gesagt, “muss viele Meinungen bringen. Es muss debattiert werden. Dann ist es interessant.“ Das ist ein Versprechen. Und Markus Somm, der Blocher-Biograph und ehemalige „Weltwoche“-Mann, hat für ein solches Blatt das Potential. Das hat er in den letzten Wochen gezeigt. Wenn er sich freischwimmt vom Mentor Blocher, wenn er „Forumszeitung“ nicht als verklausulierte Form des Rechtstrends sondern tatsächlich als pluralistische Auseinandersetzung im Monopolblatt praktiziert, wenn er den „linken“ – intellektuellen, journalistischen, nicht parteipolitischen - Positionen auch Raum gibt, dann hat die neue „Basler Zeitung“ eine Chance. Dann könnte Moritz Suters taktischer Zug aufgehen: mit dem Chefredaktor Markus Somm das Basler Bürgertum bei Laune zu halten, das auf Somm gesetzt hat. Und mit dem pluralistischen Forumskonzept die Bindung zu jenen zu erhalten und verstärken, die eine rechtskonservative, politisch instrumentalisierte Zeitung radikal ablehnen. – Sonst eben ohne Markus Somm.
Suter wird für seine spontane Rettungsaktion die Hilfe der Stadt, des Kantons, der Unternehmen, der gesellschaftlichen Organisationen in der Region benötigen. Sie werden dem „re-launch“ Schub geben müssen mit all den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Damit sie „ihre“ Zeitung wirklich erhalten können. Und die Mächtigen in Kultur, Wirtschaft, Politik werden dabei über ihren Schatten springen müssen. Anders als damals, bei der Fusion von „Basler Nachrichten“ und „National Zeitung“. Wo es nicht zuletzt darum ging, kritische Medien zu domestizieren. Denn auf Dauer ist – gerade in Basel, wie sich zeigt – eine Abonnementszeitung nur überlebensfähig, wenn sie ihre Funktion für eine vielfältige Demokratie wirklich wahrnimmt: als kritischer Begleiter aller Machtausübung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Mit anderen Worten: Wenn Leserinnen und Leser in ihrer Zeitung ihre Interessen wiederfinden.
Wenn die Mächtigen das nicht wollen, hätten sie die BaZ gleich Christoph Blocher überlassen können. Er wird seine Strategie mit seiner SVP ohnehin weiter verfolgen. Und dazu wird mehr zu sagen sein.
Aber für heute gilt: Moritz Suter, der Redaktion, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags und der Druckerei, und den Bürgerinnen und Bürgern von Basel ist zu wünschen, dass das riskante Unternehmen gelingt. Guten Flug!