Um das Asad-Regime zu stützen, hat Russland am Samstag zum fünften Mal im Uno-Sicherheitsrat das Veto eingelegt. Damit sollte ein französischer Resolutionsentwurf verhindert werden. Dieser forderte das Ende der Luftangriffe auf Aleppo.
Russland verlangte in einem Gegenvorschlag eine Wiederbelebung des Waffenstillstandes, der im September gescheitert war. Dies könnte als Indiz gewertet werden, dass der damalige Waffenstillstand den russischen Zielen gedient hatte.
Ägypten auf Seiten der Russen
Dem russischen Gegenvorschlag stimmten einzig China, Venezuela und – das ist bemerkenswert – Ägypten zu. Der französische Vorschlag hingegen war von zehn Mitgliedern des Sicherheitsrates unterstützt worden. Aus diesem Grund sah sich Russland genötigt, das Veto einzulegen, um den französischen Vorschlag zu verhindern.
Der britische Uno-Botschafter, Matthew Rycroft, erklärte vor dem Veto, der syrische Bürgerkrieg werde kein Ende finden, solange der Sicherheitsrat sich nicht über Syrien einigen könne.
Angriff auf eine Trauergemeinde
Während der New Yorker Syrien-Debatte spielte sich in Jemen eine neue Tragödie ab. Kampfflugzeuge bombardierten in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt, zwei Mal die Teilnehmer der Begräbnisfeier für Ali al-Rowshan, den Vater des gegenwärtigen Innenministers in der Huthi-Regierung. 140 Menschen starben, 540 wurden verletzt. Ob sich der Innenminister selbst unter den Opfern befindet, ist noch unklar. Getötet wurde offenbar auch der gegenwärtige Bürgermeister von Sanaa.
Bisher haben einzig Flugzeuge der von Saudi-Arabien geführten Koalition Ziele in Jemen bombardiert. Doch in einer ersten Stellungnahme lehnte Riad jede Verantwortung ab. Nachdem das Ausmass der Tragödie bekanntgeworden war, erklärte Saudi-Arabien, es werde den Vorfall untersuchen. Eingeschaltet in die Untersuchung würden amerikanische Experten und jemenitische Beobachter.
Schon in früheren ähnlichen Massakern hatte das Königreich eine Untersuchung in Aussicht gestellt. So im Mai dieses Jahres, als auf einem Markt im nordjemenitischen Mastaba 97 Menschen bei einem Bombenangriff ums Leben kamen. Ergebnisse der versprochenen Untersuchung wurden nie bekannt.
Die Russen in Syrien, die USA in Jemen
Die nun schon anderthalb Jahre andauernden Bombardierungen Jemens durch die saudische Koalition spielen sich parallel zu den Bombenangriffen auf Aleppo ab. In Jemen sind es nicht die Russen, sondern die Amerikaner, die die Bombardierung unterstützen. Allerdings werfen die USA in Jemen nicht selbst Bomben ab. Sie begnügen sich damit, den Saudis die Flugzeuge und die Munition zu verkaufen. Ferner betanken sie mehrmals pro Tag die saudischen Flugzeuge in der Luft. Sie beraten die Saudis auch. Die Angriffsziele, so sagt Washington, würden jedoch von den Saudis vorgeschlagen.
Die Russen rechtfertigen ihre Bombardements in Syrien damit, dass sie sich für die „legale“ Asad-Regierung einsetzten. Ähnlich wie die Russen rechtfertigen die Saudis und die Amerikaner ihr Engagement in Jemen. Es gehe darum, die „legale“ jemenitische Regierung wieder an die Macht zu bringen. Doch nicht nur die USA liefern den Saudis Waffen: Grossbritannien, Frankreich und andere westliche Staaten tätigen umfangreiche Waffengeschäfte mit dem Königreich.
Drei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land
Je länger die Bombardierungen in Jemen dauern, umso mehr lassen sie sich mit jenen in Syrien vergleichen. Etwa drei Millionen Jemeniten sind Flüchtlinge im eigenen Land („Internally Displaced People“). Über 3'000 Menschen wurden getötet, Tausende verwundet. Gut die Hälfte der Opfer sind Kinder. Die Luftangriffe zerstören langsam aber sicher die gesamte Infrastruktur des ohnehin fragilen Landes: Wohnhäuser, Spitäler, Schulen, Fabriken. Die Arbeitslosigkeit steigt, der Hunger wächst. Vor allem Kleinkinder leiden unter dem Nahrungsmittelmangel.
Verschärft wird die Notlage durch das von der saudischen Koalition durchgeführte Embargo zur See, das die lebenswichtigen Getreideimporte nach Jemen abwürgt und die Lebensmittelpreise in unerschwingliche Höhen treibt. Der Luftkrieg bewirkt auch, dass die ohnehin kritische Wasserversorgung in Jemen sich weiter verschlechtert. Internationale Hilfsprojekte, die eine Sanierung der Wasserversorgung anstrebten, mussten eingestellt werden. Zurzeit soll nur noch ein Drittel der 22 Millionen Jemeniten über Zugang zu sauberem Trinkwasser verfügen.
Verworrene Lage in Taez und Aden
Taez, die drittgrösste Stadt Jemens, wird seit April 2015 belagert und von den Huthis beschossen. Die Bürger von Taez unterstützen den vorwiegend im Exil lebenden Präsidenten al-Hadi und verteidigen die Stadt. Al-Hadi wird von Riad als „legaler“ Präsident angesehen. Die Saudis versuchen, aus der Luft die eingeschlossene Bevölkerung mit Lebensmitteln und Waffen zu versorgen.
In Aden, der zweitgrössten Stadt Jemens, stehen sich vier Kräfte gegenüber:
- Die jihadistischen Islamisten des „Islamischen Staats“ (IS) und der Kaida, die im Untergrund wirken
- die Regierung al-Hadis, die von Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten gestützt wird
- die Huthi-Rebellen mit ihrem Verbündeten, Expräsident Ali Abdullah Saleh, und jenen Teilen der regulären Armee, die zu ihm halten. Sie versuchen, in die südliche Hauptstadt, die sie im Juli 2015 räumen mussten, zurückzukehren
- sowie jene Kräfte, die für die Unabhängigkeit oder zumindest die Autonomie Südjemens kämpfen. Sie betrachten Aden als ihre Hauptstadt.
Die Jemen-Resolutionen des Sicherheitsrates
Der Sicherheitsrat der Uno spielt auch in Jemen eine Rolle. Doch diese hat sich bei der Friedenssuche eher als störend denn als hilfreich erwiesen. So gibt es die Resolution 2216 vom 14. April 2015 sowie frühere Entschliessungen, die bis auf das Jahr 2014 zurückgehen. 2014 war das Jahr, in dem die Huthis Sanaa besetzten. Alle diese Resolutionen fordern, dass die Huthis ihre schweren Waffen abgeben und sich aus den von ihnen eroberten Gebieten zurückziehen, einschliesslich der Hauptstadt Sanaa. Die saudischen Bombardierungen begannen am 26. März 2015 und dauern bis heute an.
Die fehlgeschlagenen Friedensverhandlungen in Kuwait haben gezeigt, dass al-Hadi und Riad auf der Erfüllung dieser Resolutionen bestehen. Die Huthis und ihr Verbündeter, der Ex-Präsident, haben sich bereit erklärt, die Resolutionen zu erfüllen. Sie fordern allerdings, dass vor ihrem Abzug aus Sanaa und der Übergabe ihrer schweren Waffen ein politisches Übereinkommen über die Zukunft des Landes geschlossen wird.
Die Resolutionen der Realität anpassen
Da sich die Huthis nach wie vor im Besitz der Hauptstadt befinden und da sie eine vollständige Niederlage bis jetzt vermeiden konnten, ist ihr Wunsch nach einer politischen Lösung verständlich und realistisch. Doch die Uno-Resolutionen, welche praktisch eine bedingungslose Kapitulation der Huthis fordern, wurden von al-Hadi und von Riad zum einzig zulässigen und prioritären Ziel der Friedensverhandlungen erklärt. Daran scheiterten die Verhandlungen.
Ismail Ould Cheikh Ahmed, der Sondergesandte der Uno, erklärte nach dem ergebnislosen Verlauf der Gespräche, die Resolutionen des Sicherheitsrates müssten revidiert und der Realität angepasst werden. Nur so werde es möglich, die Friendensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Doch bisher hat keiner der Mitgliederstaaten des Rates dieses Problem aufgegriffen, und folglich geht der Krieg weiter.
Um in Syrien Fortschritte zu erzielen, müsste Russland auf sein Veto im Sicherheitsrat verzichten. Um aber in den jemenitischen Friedensverhandlungen eine realistische Lösung zu finden, müsste der Sicherheitsrat selbst seine eigenen Resolutionen revidieren, und zwar so, dass sie – realistisch – der gegenwärtigen Lage im Land Rechnung tragen.