Begegnungen mit Walter Pfeiffer lösen Staunen und Bewunderung aus, überraschen und fesseln. Seine Modefotografien sind umwerfend schön, seine Zeichnungen, Bilder und Plakate eigenwillig stark. Ungewöhnlich ist sein Lebensweg vom schaffhausischen Beggingen über die Lehre als Schaufenster-Dekorateur und die Kunstgewerbeschule Zürich zum international gefragten Star. Wer den geradlinig und ehrlich erzählten Erlebnissen des fotografierenden Autodidakten mit angeboren zittriger Hand zuhört, spitzt die Ohren. Walter Pfeiffer ist 71. Auf dem Zenith seines Schaffens blickt er zurück und nach vorn. Der Zeitpunkt für einen Dokumentarfilm könnte nicht besser sein. Iwan Schumacher realisierte ihn vorzüglich.
Erkenntnisscharfe Sensibilität
Fürs Gelingen brauchte es den erfahrenen Filmautor, der bereits mit den Porträts von Mathias Gnädinger, Anton Bruhin, Markus Raetz oder Jan Odermatt seine erkenntnisscharfe Sensibilität bewies – mit Künstlern übrigens seiner Generation, auch jetzt wieder.
Der Dokumentarfilm „Walter Pfeiffer – Chasing Beauty" bietet während 89 Minuten biografische Informationen, offene und witzige Selbsteinschätzungen des Porträtierten, Würdigungen ohne Lobhudelei von Freunden und erhellende Einsichten in die Arbeitsweise. Kurz: Eine aufschlussreiche und vergnügliche Reise durch das verrückte Universum eines Künstlers.
„Chasing Beauty" verfolgt die Spur von Walter Pfeiffers Jagd nach dem Schönen, der Schönheit, nach schönen Menschen. Er findet das Gesuchte, inszeniert es mit hinreissender Fantasie und bereichert die Modefotografie um eine Perspektive, die nicht nur die Kleider, sondern auch – und eigentlich vor allem – die vorführenden Models als Persönlichkeiten ins Bild bringt. Hinter diesen Leistungen steckt, sagt der Star mit Selbstzweifeln und ohne Allüren, „die Geduld eines Ochsen“.
Grossartige Ouvertüre
Der Film beginnt mit einem Model, das sich in violetten Leggings langsam über einen Landesteg vor dem tiefblauen Meer bewegt und auf Zuruf von Walter Pfeiffer den weissfransigen Sonnenschirm öffnet, der Oberkörper und Kopf versteckte. Durch die so kurze wie grossartige Ouvertüre wissen wir sofort, worum es geht, und ahnen die sanft bohrende Präzision voraus, mit der Iwan Schumacher und sein ebenfalls exzellenter Kameramann Pio Corradi den Künstler bis in sein Fühlen und Denken hinein entdecken.
Raffiniert verborgene Struktur
Die Faszination liegt auch daran, dass der Film weder einer chronologischen noch einer thematischen Struktur folgt, sondern sich assoziativ und kommentarlos, aber plausibel von einer Szene zur nächsten entwickelt.
Als verborgene Struktur wird das dem Film vorangestellte Zitat Walter Pfeiffers aus dem Jahr 1981 sichtbar: „Vielleicht werde ich durch das ständige Experimentieren mit den Jahren einmal sicherer im Vabanque-Spiel der Kunst. Vielleicht mit siebzig. Dann möchte ich ein Grandseigneur sein, einer, den die Jungen verehren und grosse Augen machen, wenn er sich an ihren Tisch setzt, um ihnen zu erzählen, wie man es richtig macht. Einen Lehrstuhl an der Universität des Lebens zu erhalten, das wäre dann mein Traum.“
Der Film lotet das Zitat aus, wendet und interpretiert es mit dem Kenntnisstand von heute und macht den Künstler fassbar. Sein Traum erfüllt sich.
Zeitgeschichtliches Dokument
Über Walter Pfeiffer hinaus ist „Chasing Beauty“ ein zeitgeschichtliches Dokument. Wir sehen und hören Männer, die in den Achtzigerjahren als schöne Jünglinge dem Fotografen Modell standen, ihre Beweggründe und Erfahrungen schildern und damit einen Lebensabschnitt beleuchten, in dem Erotik als Pornografie galt und Homosexualität den Schutz der Verschwiegenheit benötigte.
„Chasing Beauty“ ist auch gültig für die Nachzeichnung des Sittenwandels, des Wandels der Modefotografie und des Wegs eines Künstlers, der sich im Wandel immer freier entfaltete.