Am 6. August 1945 um 8.15 Uhr Ortszeit liess Kommandant Paul Tibbets in 9470 Meter Höhe über dem Zentrum der japanischen Hafenstadt Hiroshima den Bombenschacht seiner viermotorigen B-29 Superfortress öffnen. Heraus fiel eine von ihren Erbauern „Little Boy“ getaufte viereinhalb Tonnen schwere Bombe. Dann drehte Tibbets mit Vollgas ab.
Eine Ruinenstadt
„Little Boy“ enthielt 64 Kilo Uran-235 und einen Mechanismus, der eine nukleare Kettenreaktion auslöste. Die Bombe explodierte wie vorgesehen in 580 Meter Höhe und entfaltete die Kraft von 15 Kilotonnen (15´000 Tonnen) des stärksten herkömmlichen Sprengstoffs TNT. Die Schockwelle erreichte die B-29 und ihre Begleitflugzeuge, nachdem sie Hiroshima bereits 18,5 Kilometer hinter sich gelassen hatten. Das Geschwader entkam unversehrt, hinter sich liess es aber eine Ruinenstadt. Auf einem Gebiet von fast zwei Kilometer Durchmesser schmolzen die Gebäude und die Menschen. Die Feuersbrunst breitete sich über elf Quadratkilometer aus.
140´000 Einwohner Hiroshimas starben sofort oder an den Spätfolgen des nuklearen Angriffs. Am 9. August 1945 warf die US-Luftwaffe eine zweite Atombombe über Nagasaki ab. Ihr Kern bestand aus Plutonium-239 und war zuvor nicht getestet worden.
Neues Wettrüsten
Die Welt war ins Atomwaffenzeitalter eingetreten. Vier Jahre später zündete die Sowjetunion ihren ersten Atomsprengsatz. Die von den USA gegen Hiroshima und Nagasaki eingesetzten nuklearen Isotopen U-235 und P-239 werden noch heute verwendet, hauptsächlich von den zweitrangigen Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Auch beim Atomstreit mit Iran geht es um diese beiden Spaltmaterialien. Die Grossmächte sind längst von der Kernspaltung zur Kernschmelzung übergegangen – den thermonuklearen Atomwaffen mit einer Sprengwirkung von mehreren Millionen Tonnen TNT auf der Grundlage von Wasserstoffisotopen. Zur Zündung dieser Bomben wird aber weiterhin ein Uran-Sprengsatz benötigt.
Wegerfinden lassen sich die Atomwaffen nicht mehr, doch der Sinn dieser Massenvernichtungsmittel wird zunehmend in Frage gestellt. US-Präsident Barack Obama bezeichnete es 2009 in einer Rede in Prag als eine Pflicht, „weltweit Frieden und Sicherheit ohne Atomwaffen zu schaffen“. Derzeit stehen die Zeichen aber eher auf erneutes Wettrüsten. Zwar haben die USA und Russland zwei Drittel ihrer strategischen Atomwaffen verschrottet, aber beide Staaten modernisieren die restlichen 14´700 Sprengköpfe.
Abschreckung
Die zwischen den USA und Russland abgeschlossenen Rüstungskontrollverträge (SALT, START) erfassen auch nur jene Atomwaffenträger, die das Territorium der anderen Seite direkt bedrohen, sowie die Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometer. Die sogenannten taktischen oder Gefechtsfeldwaffen unterliegen keiner Beschränkung. Es handelt sich um Kurzstreckenraketen, Fliegerbomben, Artilleriegeschossen und Atomminen. Die Russen lehnen Verhandlungen darüber mit dem Argument ab, dass sie eine lange Grenze zu verteidigen haben.
Der 1970 in Kraft getretene Atomwaffensperrvertrag (NPT) hat es nicht geschafft, die Tür zum Klub der Atommächte zu schliessen. Indien, Pakistan und Israel haben den NPT nicht unterzeichnet, Nordkorea ist ausgetreten. Auf der anderen Seite haben Brasilien, Argentinien und Südafrika ihre bereits weit fortgeschrittenen Atomwaffenprogramme eingestellt. Die Ukraine, Weissrussland und Kasachstan verzichteten auf die von der Sowjetunion geerbten Atomwaffen. Jetzt streiten sich Politiker: Hätte Russland die Krim annektiert, wenn die Ukraine noch Atomwaffen besitzen würde?
Statussymbole
Etliche Strategen bewerten Atomwaffen als friedenssichernd. Bei der Ausarbeitung des NPT in den sechziger Jahren wollten viele Staaten die „nukleare Option“ nicht aufgeben, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Sogar in der Schweiz bekämpften führende Militärs und konservative Politiker den Vertrag. Schliesslich setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Weiterverbreitung von Atomwaffen die Welt noch unsicherer machen würde.
Schwer ersichtlich ist der Nutzen, den Frankreich und Grossbritannien aus ihren Atomwaffen ziehen. Offensichtlich handelt es sich um Statussymbole, obwohl der Nimbus der Bombe längst verblasst ist. Indiens militärische Überlegenheit auf dem Subkontinent ist geschwunden, seit die Regierung in Delhi ein nukleares Wettrüsten mit Pakistan vom Zaun gebrochen hat. Jetzt halten sich die beiden Staaten gegenseitig mit Atomwaffen in Schach, deren Kosten die wirtschaftliche Entwicklung behindern.
Koreas schwache Option
Für das nordkoreanische Regime stellt das ständige Zündeln mit Atomwaffen eine Lebensversicherung dar. Nur so wird es von der Welt ernst genommen. Nordkorea besitzt wahrscheinlich einige rudimentäre Atombomben, aber keine Zweitschlags-Fähigkeit. Falls das Land einen Atomkrieg beginnen würde, wäre seine Vernichtung unausweichlich.
Iran hat zweifellos am Bau von Atomwaffen gearbeitet. Dafür gibt es viele Indizien. Der Preis wurde der Regierung in Teheran aber zu hoch, vor allem wegen der von dem Weltsicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen. Wenn das am 14. Juli in Wien paraphierte Abkommen mit den USA, Russland, Frankreich, Grossbritannien, China und Deutschland hält, ist ein wichtiges Bollwerk gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen geschaffen.
Obama meinte in seiner Prager Rede, die vollständige nukleare Abrüstung werde wohl nicht zu seinen Lebzeiten erfolgen. Es wird darüber auch nirgends ernsthaft verhandelt. Aus der öffentlichen Debatte ist das Thema weitgehend verschwunden, ausser in Japan.
Auslöschung auf Knopfdruck
Seit dem 6. August 1945 ist nichts mehr wie vorher. Auf die aus heutiger Sicht simple Atombombe, mit der die US Air Force Hiroshima vernichtete, folgten thermonukleare Sprengsätze mit der Wirkung von 50 Megatonnen TNT wie die „Zarbombe“, die Kremlchef Nikita Chruschtschow 1961 über der unbewohnten Insel Nowaja Semlja erprobte. Es wurde möglich, die gesamte Zivilisation und die Umwelt durch einen Knopfdruck auszulöschen.
Während des Ost-West-Konflikts schrammte die Menschheit mehrmals knapp an der Katastrophe vorbei. Der Filmemacher Stanley Kubrick illustrierte die Gefahr meisterhaft in seinem Streifen „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“. Darin schickt US-Luftwaffengeneral Jack D. Ripper ein Geschwader mit Atomwaffen gegen die Sowjetunion los, weil er überzeugt ist, dass die Kommunisten den Amerikanern ihre „kostbaren Körpersäfte“ stehen wollen.
Mit der Bombe leben
Die Hysterie des Kalten Krieges ist in dem Film nur wenig überzeichnet, doch mit viel Glück sind wir heil davongekommen. Aus der „gegenseitig gesicherten Vernichtung“, die eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt unterband, eine weltweit und allzeit gültige Doktrin abzuleiten, wäre indessen sträflich. Wer kann voraussehen, welche religiösen Fanatiker dereinst die pakistanischen Atomwaffen in Besitz nehmen könnten oder ab das bedrängte Regime in Nordkorea nicht einmal einen „erweiterten Selbstmord“ begeht?
Auf der Genfer Abrüstungskonferenz steht die Abschaffung der Atomwaffen seit ewig auf der Tagesordnung. Aber nichts bewegt sich. Schon die Überwachung eines weltweiten Atomwaffenverbots scheint unmöglich, abgesehen vom mangelnden Willen der Grossmächte. Wir haben uns daran gewöhnt, mit der Bombe zu leben, aber lieben dürfen wir sie nicht.